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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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genossen, der heute viel oder alles gewährt, lasse ich zehnmal den stehen, der
heute wenig giebt mit der Versicherung: ich bin treu und ewig, wie die
Felsen. Als ob der gute Bundesgenosse das wissen könnte!

Aber für den Bund des Centrums mit der Kreuzzeitungspartei hat Herr
von Nathusius noch einen andern Grund. Er meint, viele Katholiken seien
doch mit Aufrichtigkeit politische Conservative. Nun liege aber das Princip
des echten politischen Conservatismus in der evangelischen Orthodoxie, folg¬
lich -- ja Herr von Nathusius, daraus würde folgen, daß die conservativen
Katholiken evangelisch würden. Wenn sie aber, was viel wahrscheinlicher ist,
gut römisch bleiben, so werden sie auch den politischen Principien ihrer Kirche
treu bleiben, welches der Kirche dem Staat gegenüber die Waffe der Revolu¬
tion in die Hand giebt, so oft es nöthig ist, dem Princip, mit welchem die
römische Kirche steht und fällt, daß der Staat ihr nicht ebenbürtig, nicht wie
sie göttlichen Ursprungs, nicht wie sie bei sich selbst berechtigt ist, vielmehr
aus ihrer Hand die letzte Gutheißung und Befestigung für Wissen und Ge¬
wissen der Gläubigen empfängt. Das Bündniß der Kreuzzeitung mit dem
Centrum würde lediglich die letztere zur Dienerin machen, ein Schicksal, in
welcher ein Theil der Partei sich definitiv ergeben, welches ein anderer Theil
zu spät mit verzweifelten Mitteln abzuwenden suchen würde.

Folgen wir jetzt Herrn von Nathusius in seine evangelische Kirchenpolitik.
Nach seiner Ansicht scheinen die synodalen Einrichtungen augenblicklich nur
dazu gebraucht zu werden, um eine auf die Spitze getriebene Verstaatlichung
der Kirche zu legalisiren. Wir wissen diesem Satz keinen andern Sinn bei¬
zulegen, als daß der Verfasser in der neuen evangelischen Kirchenverfassung
einmal den Einfluß des landesherrlichen Kirchenregiments zu stark gewahrt sieht
und zweitens vielleicht den Einfluß des Landtages, sofern ohne dessen Zu¬
stimmung keine Aenderungen der kirchlichen Organe und ihrer Competenzen
möglich sind. Statt dessen will der Verfasser den wirklichen Synoden der
evangelischen Kirche, wie er sie nennt, die sich als eine Gemeinschaft von Be-
kennern desselben Glaubens darstellen würden, ferner ihren General-Superin¬
tendenten und Consistorien eine vollständige Freiheit der Bewegung geben;
das landesherrliche Kirchenregiment soll dagegen nur noch als Schutz und
Schirm, als ein Patronat über die Landeskirche für den äußeren Bestand und
die Einheit derselben, für den zu Recht bestehenden Bekenntnißstand und
für die berechtigten kirchlichen Dotationsansprüche geltend gemacht werden. --
Das ist deutlich genug für den Leser, und doch nicht deutlich genug, um den
Verfasser beim Worte zu nehmen. Was kann mit seinen Worten aber an¬
deres gemeint sein, als die Einrichtung einer souveränen Hierarchie auf Grund
der orthodoxen Interpretation des Buchstabens? Auch wir meinen, daß eine
Kirche nur aus Bekennern desselben Glaubens bestehen sollte. Aber auf die


genossen, der heute viel oder alles gewährt, lasse ich zehnmal den stehen, der
heute wenig giebt mit der Versicherung: ich bin treu und ewig, wie die
Felsen. Als ob der gute Bundesgenosse das wissen könnte!

Aber für den Bund des Centrums mit der Kreuzzeitungspartei hat Herr
von Nathusius noch einen andern Grund. Er meint, viele Katholiken seien
doch mit Aufrichtigkeit politische Conservative. Nun liege aber das Princip
des echten politischen Conservatismus in der evangelischen Orthodoxie, folg¬
lich — ja Herr von Nathusius, daraus würde folgen, daß die conservativen
Katholiken evangelisch würden. Wenn sie aber, was viel wahrscheinlicher ist,
gut römisch bleiben, so werden sie auch den politischen Principien ihrer Kirche
treu bleiben, welches der Kirche dem Staat gegenüber die Waffe der Revolu¬
tion in die Hand giebt, so oft es nöthig ist, dem Princip, mit welchem die
römische Kirche steht und fällt, daß der Staat ihr nicht ebenbürtig, nicht wie
sie göttlichen Ursprungs, nicht wie sie bei sich selbst berechtigt ist, vielmehr
aus ihrer Hand die letzte Gutheißung und Befestigung für Wissen und Ge¬
wissen der Gläubigen empfängt. Das Bündniß der Kreuzzeitung mit dem
Centrum würde lediglich die letztere zur Dienerin machen, ein Schicksal, in
welcher ein Theil der Partei sich definitiv ergeben, welches ein anderer Theil
zu spät mit verzweifelten Mitteln abzuwenden suchen würde.

Folgen wir jetzt Herrn von Nathusius in seine evangelische Kirchenpolitik.
Nach seiner Ansicht scheinen die synodalen Einrichtungen augenblicklich nur
dazu gebraucht zu werden, um eine auf die Spitze getriebene Verstaatlichung
der Kirche zu legalisiren. Wir wissen diesem Satz keinen andern Sinn bei¬
zulegen, als daß der Verfasser in der neuen evangelischen Kirchenverfassung
einmal den Einfluß des landesherrlichen Kirchenregiments zu stark gewahrt sieht
und zweitens vielleicht den Einfluß des Landtages, sofern ohne dessen Zu¬
stimmung keine Aenderungen der kirchlichen Organe und ihrer Competenzen
möglich sind. Statt dessen will der Verfasser den wirklichen Synoden der
evangelischen Kirche, wie er sie nennt, die sich als eine Gemeinschaft von Be-
kennern desselben Glaubens darstellen würden, ferner ihren General-Superin¬
tendenten und Consistorien eine vollständige Freiheit der Bewegung geben;
das landesherrliche Kirchenregiment soll dagegen nur noch als Schutz und
Schirm, als ein Patronat über die Landeskirche für den äußeren Bestand und
die Einheit derselben, für den zu Recht bestehenden Bekenntnißstand und
für die berechtigten kirchlichen Dotationsansprüche geltend gemacht werden. —
Das ist deutlich genug für den Leser, und doch nicht deutlich genug, um den
Verfasser beim Worte zu nehmen. Was kann mit seinen Worten aber an¬
deres gemeint sein, als die Einrichtung einer souveränen Hierarchie auf Grund
der orthodoxen Interpretation des Buchstabens? Auch wir meinen, daß eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/516>, abgerufen am 27.07.2024.