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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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er sich in dem Bild der wohlthätigen Folgen, welche diese bessern Gesetze
mit sich bringen würden. Er glaubt nämlich, der deutsche Episeopat würde
mit beiden Händen zugreifen und sich beeilen, die berechtigten Forderungen
des Staates anzuerkennen. Ja, wenn Herr von Nathusius das auch nur
einem einzigen nüchternen Menschen glaubhaft machen könnte, er würde bald
drei Viertheile, wenn nicht vier Viertheile der deutschen Nation unter seiner
Friedensfahne sammeln. Aber Herr von Nathusius ist ein Schwärmer, der
das tausendjährige Reich sieht. Ruhigen Auges behauptet er, der deutsche
Staat würde es mit dem deutschen Episeopat allein zu thun haben, der sich
lediglich seinerseits mit dem Vatikan in Vernehmen zu setzen hätte. Wenn
so etwas mit der ruhigsten Miene vorgetragen wird, glaubt man einen
Augenblick selbst zu träumen. Am Ende war das ganze vatikanische Concil
mit allen schreienden Beweisen von der Bedeutungslosigkeit und Unterwürfig¬
keit des deutschen Episcopates ein bloßer Traum. Aber ach, wie schade, daß
Herr von Nathusius - Ludom träumt und daß wir nur gar zu sehr die Last
der Wirklichkeit empfinden müssen.

Aber Herr von Nathusius hat Frieden mit der römischen Kirche, wenig¬
stens in Deutschland geschlossen, er hat den Frieden, weil er glaubt, er könne
ihn jeden Augenblick haben. Sehn wir nun zu, was dieser Friede für
Früchte bringt. Denn in der Ausmalung der Früchte ist der Verfasser weit
positiver, als in der Angabe der Mittel, wie die Früchte gezeitigt werden
sollen. Herr von Nathusius sieht allerdings voraus, daß die Centrumsfrak¬
tion noch längere Zeit, vielleicht dauernd fortbestehen wird, auch wenn der
Culturkampf zu Ende ist. Aber das ist ein ganz gutes Ding, denn die Cen¬
trumsfraktion wird mit der Kreuzzeitungspartei zusammen die künftige con-
servative Majorität des Abgeordnetenhauses bilden. Dazu bedarf es ja nur
einer kleinen Verstärkung der Kreuzzeitungspartei, vorausgesetzt, daß, wie nicht
zu bezweifeln, die sog. Neuconservativen sich mit der Kreuzzeitung wiederum
vereinigen. Aber auch die Verstärkung durch neu zu gewinnende Abgeord¬
netensitze ist unzweifelhaft, wenn nur die Regierung nicht mehr die national-
liberale Partei unterstützt. Sie braucht nicht einmal die Kreuzzeitungspartei
zu unterstützen, wenn sie nur derselben nicht entgegenwirkt. Wenn wir dies
nun zugeben, und es könnte ja bei der einen oder andern Wahl einmal so
kommen, so bleibt die Frage: warum denn die Centrumsfraktion ihren natür¬
lichen Bundesgenossen bei der Kreuzzeitung finden foll. Weil, so belehrt uns
Herr von Nathusius, jede andere Partei früher oder später den Kulturkampf
wieder aufnehmen würde. Aber Herr von Nathusius schwärmt schon wieder.
Wer sieht sich denn einen Bundesgenossen anders als darauf an, was er
uns heute bietet? Ist das heute sehr viel, so denken wir mit aller Welt,
brauchen ok vielleicht morgen gar keinen Bundesgenossen. Für den Bundes-


er sich in dem Bild der wohlthätigen Folgen, welche diese bessern Gesetze
mit sich bringen würden. Er glaubt nämlich, der deutsche Episeopat würde
mit beiden Händen zugreifen und sich beeilen, die berechtigten Forderungen
des Staates anzuerkennen. Ja, wenn Herr von Nathusius das auch nur
einem einzigen nüchternen Menschen glaubhaft machen könnte, er würde bald
drei Viertheile, wenn nicht vier Viertheile der deutschen Nation unter seiner
Friedensfahne sammeln. Aber Herr von Nathusius ist ein Schwärmer, der
das tausendjährige Reich sieht. Ruhigen Auges behauptet er, der deutsche
Staat würde es mit dem deutschen Episeopat allein zu thun haben, der sich
lediglich seinerseits mit dem Vatikan in Vernehmen zu setzen hätte. Wenn
so etwas mit der ruhigsten Miene vorgetragen wird, glaubt man einen
Augenblick selbst zu träumen. Am Ende war das ganze vatikanische Concil
mit allen schreienden Beweisen von der Bedeutungslosigkeit und Unterwürfig¬
keit des deutschen Episcopates ein bloßer Traum. Aber ach, wie schade, daß
Herr von Nathusius - Ludom träumt und daß wir nur gar zu sehr die Last
der Wirklichkeit empfinden müssen.

Aber Herr von Nathusius hat Frieden mit der römischen Kirche, wenig¬
stens in Deutschland geschlossen, er hat den Frieden, weil er glaubt, er könne
ihn jeden Augenblick haben. Sehn wir nun zu, was dieser Friede für
Früchte bringt. Denn in der Ausmalung der Früchte ist der Verfasser weit
positiver, als in der Angabe der Mittel, wie die Früchte gezeitigt werden
sollen. Herr von Nathusius sieht allerdings voraus, daß die Centrumsfrak¬
tion noch längere Zeit, vielleicht dauernd fortbestehen wird, auch wenn der
Culturkampf zu Ende ist. Aber das ist ein ganz gutes Ding, denn die Cen¬
trumsfraktion wird mit der Kreuzzeitungspartei zusammen die künftige con-
servative Majorität des Abgeordnetenhauses bilden. Dazu bedarf es ja nur
einer kleinen Verstärkung der Kreuzzeitungspartei, vorausgesetzt, daß, wie nicht
zu bezweifeln, die sog. Neuconservativen sich mit der Kreuzzeitung wiederum
vereinigen. Aber auch die Verstärkung durch neu zu gewinnende Abgeord¬
netensitze ist unzweifelhaft, wenn nur die Regierung nicht mehr die national-
liberale Partei unterstützt. Sie braucht nicht einmal die Kreuzzeitungspartei
zu unterstützen, wenn sie nur derselben nicht entgegenwirkt. Wenn wir dies
nun zugeben, und es könnte ja bei der einen oder andern Wahl einmal so
kommen, so bleibt die Frage: warum denn die Centrumsfraktion ihren natür¬
lichen Bundesgenossen bei der Kreuzzeitung finden foll. Weil, so belehrt uns
Herr von Nathusius, jede andere Partei früher oder später den Kulturkampf
wieder aufnehmen würde. Aber Herr von Nathusius schwärmt schon wieder.
Wer sieht sich denn einen Bundesgenossen anders als darauf an, was er
uns heute bietet? Ist das heute sehr viel, so denken wir mit aller Welt,
brauchen ok vielleicht morgen gar keinen Bundesgenossen. Für den Bundes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/515>, abgerufen am 27.07.2024.