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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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wollen ihm seine Ablehnung einmal gestatten, wir wollen nun selbst gottes¬
dienstliche Handlungen in Betracht ziehen, die mit ihrem unmittelbaren In¬
halt nicht den Strafgesetzen des Staates zuwider laufen. Soll der Staat
waffenlos sein, wenn gottesdienstliche Handlungen mittelbar zum Angriffs¬
mittel gegen den Staat gemacht werden, wenn Abendmahl und Beichte dienen,
den Ungehorsam gegen den Staat zu entflammen? Soll der Staat solchen
Kirchendienern nicht den Wirkungskreis entziehen, soll er keine Bürgschaft
fordern, daß die Verwalter so einflußreicher Cultusmittel nicht sein, des
Staates Todfeinde sind und die Gnadenmittel der Kirche, deren Diener sie
sind, nicht spenden, um die Gesinnung gegen den Staat zu vergiften? Herr
von Nathusius möge uns sagen, ob die Forderungen, die aus seinen Worten
folgen, nicht Ungeheuerlichkeiten sind, und ob er uns dadurch nicht das Recht
giebt, seine Grundsätze für völlig unannehmbar zu erklären?

Das zweite falsche Princip, aus welchem die Maigesetze geflossen sein
sollen, ist nach Herrn von Nathusius die sogenannte Parität. Nun geben
wir ihm darin vollkommen recht: diese sogenannte paritätische Behandlung
aller Religionsbekenntnisse ist einer der Gipfel der Absurdität, welche unserer
Zeit zu ersteigen gelingt. Wie Herr von Gerlach einst den Satz, alle Preußen
sind vor dem Gesetz gleich, witzig und dialektisch richtig dahin interpretirte:
alle Preußen sind vor dem Gesetz ungleich, so kann die vernünftige und wirk¬
liche Parität nur darin liegen, daß jede Religionsgesellschaft nach ihrer
historischen Bedeutung, also von feder andern vollkommen verschieden behan¬
delt wird. Damit würde allerdings die Geltung der Maigesetze auf die
evangelische Kirche Beschränkungen und Veränderungen zu unterliegen haben.
Wir gehen auch gern mit unserm Versasser so weit, zu verlangen, daß die
Gesetze, welche die Stellung der römischen Kirche einerseits, der evangelischen
andererseits regeln, formell von einander vollkommen zu trennen sind. Allein
daraus folgt noch nichts gegen den Inhalt der Maigesetze, so weit sie sich
aus die römische Kirche beziehen.

Es ist nun ein außerordentlich bedauerlicher Mangel, daß die Position
des Herrn von Nathusius in Bezug auf die römische Kirche so wenig
positiv, so wenig genau und eingehend ist. Er will das Auffichtsrecht des
Staates und das,jus circa, sacra in vollem Maße gewahrt wissen. Sehr
löblich. Aber dann muß er auch die Maigesetze bewahren. Er sagt uns
leider kein Wort, wie er mit ganz andern Gesetzen jenes Recht bewahren will
und bewahren zu können glaubt. Er tadelt an den Maigesetzen außer den
von ihm verworfenen Grundsätzen der Omnipotenz und der Parität noch den
Charakter von Einrichtungen ad non Aber er sagt uns kein Wort, wie
sich seine bessern Gesetze, mit denen er das unentbehrliche Recht des Staates
wahren will, nach Form und Inhalt ausnehmen sollen. Desto mehr ergeht


wollen ihm seine Ablehnung einmal gestatten, wir wollen nun selbst gottes¬
dienstliche Handlungen in Betracht ziehen, die mit ihrem unmittelbaren In¬
halt nicht den Strafgesetzen des Staates zuwider laufen. Soll der Staat
waffenlos sein, wenn gottesdienstliche Handlungen mittelbar zum Angriffs¬
mittel gegen den Staat gemacht werden, wenn Abendmahl und Beichte dienen,
den Ungehorsam gegen den Staat zu entflammen? Soll der Staat solchen
Kirchendienern nicht den Wirkungskreis entziehen, soll er keine Bürgschaft
fordern, daß die Verwalter so einflußreicher Cultusmittel nicht sein, des
Staates Todfeinde sind und die Gnadenmittel der Kirche, deren Diener sie
sind, nicht spenden, um die Gesinnung gegen den Staat zu vergiften? Herr
von Nathusius möge uns sagen, ob die Forderungen, die aus seinen Worten
folgen, nicht Ungeheuerlichkeiten sind, und ob er uns dadurch nicht das Recht
giebt, seine Grundsätze für völlig unannehmbar zu erklären?

Das zweite falsche Princip, aus welchem die Maigesetze geflossen sein
sollen, ist nach Herrn von Nathusius die sogenannte Parität. Nun geben
wir ihm darin vollkommen recht: diese sogenannte paritätische Behandlung
aller Religionsbekenntnisse ist einer der Gipfel der Absurdität, welche unserer
Zeit zu ersteigen gelingt. Wie Herr von Gerlach einst den Satz, alle Preußen
sind vor dem Gesetz gleich, witzig und dialektisch richtig dahin interpretirte:
alle Preußen sind vor dem Gesetz ungleich, so kann die vernünftige und wirk¬
liche Parität nur darin liegen, daß jede Religionsgesellschaft nach ihrer
historischen Bedeutung, also von feder andern vollkommen verschieden behan¬
delt wird. Damit würde allerdings die Geltung der Maigesetze auf die
evangelische Kirche Beschränkungen und Veränderungen zu unterliegen haben.
Wir gehen auch gern mit unserm Versasser so weit, zu verlangen, daß die
Gesetze, welche die Stellung der römischen Kirche einerseits, der evangelischen
andererseits regeln, formell von einander vollkommen zu trennen sind. Allein
daraus folgt noch nichts gegen den Inhalt der Maigesetze, so weit sie sich
aus die römische Kirche beziehen.

Es ist nun ein außerordentlich bedauerlicher Mangel, daß die Position
des Herrn von Nathusius in Bezug auf die römische Kirche so wenig
positiv, so wenig genau und eingehend ist. Er will das Auffichtsrecht des
Staates und das,jus circa, sacra in vollem Maße gewahrt wissen. Sehr
löblich. Aber dann muß er auch die Maigesetze bewahren. Er sagt uns
leider kein Wort, wie er mit ganz andern Gesetzen jenes Recht bewahren will
und bewahren zu können glaubt. Er tadelt an den Maigesetzen außer den
von ihm verworfenen Grundsätzen der Omnipotenz und der Parität noch den
Charakter von Einrichtungen ad non Aber er sagt uns kein Wort, wie
sich seine bessern Gesetze, mit denen er das unentbehrliche Recht des Staates
wahren will, nach Form und Inhalt ausnehmen sollen. Desto mehr ergeht


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[0514] wollen ihm seine Ablehnung einmal gestatten, wir wollen nun selbst gottes¬ dienstliche Handlungen in Betracht ziehen, die mit ihrem unmittelbaren In¬ halt nicht den Strafgesetzen des Staates zuwider laufen. Soll der Staat waffenlos sein, wenn gottesdienstliche Handlungen mittelbar zum Angriffs¬ mittel gegen den Staat gemacht werden, wenn Abendmahl und Beichte dienen, den Ungehorsam gegen den Staat zu entflammen? Soll der Staat solchen Kirchendienern nicht den Wirkungskreis entziehen, soll er keine Bürgschaft fordern, daß die Verwalter so einflußreicher Cultusmittel nicht sein, des Staates Todfeinde sind und die Gnadenmittel der Kirche, deren Diener sie sind, nicht spenden, um die Gesinnung gegen den Staat zu vergiften? Herr von Nathusius möge uns sagen, ob die Forderungen, die aus seinen Worten folgen, nicht Ungeheuerlichkeiten sind, und ob er uns dadurch nicht das Recht giebt, seine Grundsätze für völlig unannehmbar zu erklären? Das zweite falsche Princip, aus welchem die Maigesetze geflossen sein sollen, ist nach Herrn von Nathusius die sogenannte Parität. Nun geben wir ihm darin vollkommen recht: diese sogenannte paritätische Behandlung aller Religionsbekenntnisse ist einer der Gipfel der Absurdität, welche unserer Zeit zu ersteigen gelingt. Wie Herr von Gerlach einst den Satz, alle Preußen sind vor dem Gesetz gleich, witzig und dialektisch richtig dahin interpretirte: alle Preußen sind vor dem Gesetz ungleich, so kann die vernünftige und wirk¬ liche Parität nur darin liegen, daß jede Religionsgesellschaft nach ihrer historischen Bedeutung, also von feder andern vollkommen verschieden behan¬ delt wird. Damit würde allerdings die Geltung der Maigesetze auf die evangelische Kirche Beschränkungen und Veränderungen zu unterliegen haben. Wir gehen auch gern mit unserm Versasser so weit, zu verlangen, daß die Gesetze, welche die Stellung der römischen Kirche einerseits, der evangelischen andererseits regeln, formell von einander vollkommen zu trennen sind. Allein daraus folgt noch nichts gegen den Inhalt der Maigesetze, so weit sie sich aus die römische Kirche beziehen. Es ist nun ein außerordentlich bedauerlicher Mangel, daß die Position des Herrn von Nathusius in Bezug auf die römische Kirche so wenig positiv, so wenig genau und eingehend ist. Er will das Auffichtsrecht des Staates und das,jus circa, sacra in vollem Maße gewahrt wissen. Sehr löblich. Aber dann muß er auch die Maigesetze bewahren. Er sagt uns leider kein Wort, wie er mit ganz andern Gesetzen jenes Recht bewahren will und bewahren zu können glaubt. Er tadelt an den Maigesetzen außer den von ihm verworfenen Grundsätzen der Omnipotenz und der Parität noch den Charakter von Einrichtungen ad non Aber er sagt uns kein Wort, wie sich seine bessern Gesetze, mit denen er das unentbehrliche Recht des Staates wahren will, nach Form und Inhalt ausnehmen sollen. Desto mehr ergeht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/514>, abgerufen am 27.07.2024.