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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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wenn diese Waffe so abgenutzt ist, daß sie gar nicht mehr verletzt, so lohnt
es sich auch nicht, sie dem Gegner zu entreißen. Wie dem sei, wir glauben
seine eigene Partei sowohl, als alle anderen Parteien müssen es dem Ver¬
fasser Dank wissen, daß er endlich einmal ein positives Programm seiner
Partei aufgestellt hat. Denn daran hat es wirklich gefehlt, Freund und
Feind waren bisher nicht im Stande! zu erkennen, wo die Kreuzzeitungs¬
opposition hinaus wolle, zu welchem wirklichen, ernsthaften Ziel. Denn der
Sturz einer etwa am Ruder befindlichen Regierung dadurch, daß man dieser
Negierung alle Wege erschwert, ist kein ernsthaftes, geschweige denn ein
patriotisches Spiel. Keiner Partei, die auf ernste Beachtung Anspruch machen
will, ist es erlaubt, zu sagen: Laßt uns nur erst ans Ruder kommen, dann
wird sich zeigen, was zu thun ist.

Herr von Nathustus-Ludom unternimmt es also, zu zeigen, was die
Kreuzzeitungspartei thun würde und thun müßte, wenn sie ans Ruder käme,
und er ist sichtlich der Ueberzeugung, etwas Annehmbares und Ausführbares
vorgelegt zu haben, so zwar, daß er den Beweis geliefert zu haben glaubt,
es sei lediglich eine von den Anhängern des heutigen Ministeriums zu ihrer
eigenen Beruhigung erfundene Phrase, wenn sie sagen, die Kreuzzeitungspartei
sei nicht regierungsfähig. Folgen wir nunmehr dem Verfasser in seinen con-
servativen Positionen; denn nicht eine einzelne, sondern eine ganze Reihe von
Positionen stellt er auf und gewinnt uns damit den Zuruf ab: Um so
besser! --

Die erste Position ist die Beseitigung des Kulturkampfes, positiv ausge¬
drückt: die Herstellung des Friedens mit der römischen Kirche. Und zwar
sollen die falschen Prinzipien des jetzigen Kulturkampfes aufgegeben werden.
Es sind deren zwei. Zuerst die Omnipotenz des Staates. Der Staat soll
vielmehr anerkennen, daß die Kirche eine auf ihrem Gebiet autonome göttliche
Institution sei. In Folge dieser Anerkennung soll sich der Staat für alle
Fälle enthalten, geistliche Amtshandlungen als solche zu verbieten, und Kirchen¬
diener als solche abzusetzen. Aber wie? Wer sagt denn nun, was geistliche
Amtshandlungen sind und wer Kirchendiener sind? Es giebt ketzerische Sekten
in Rußland, welche als gottesdienstliche Handlungen Castrationen und
Stuprationen vornehmen. Soll das geduldet werden? Und wenn nicht, wenn
der Staat dennoch sagt: Ich bestrafe diese Handlungen, obwohl ich überzeugt
bin. daß diejenigen, welche sie verüben, in einem aufrichtigen Wahn, göttliche
Gebote zu erfüllen, handeln: wenn der Staat so spricht, wirft er sich damit
nicht zum obersten Richter auch in religiösen Dingen auf, ergreift er nicht,
was Herr von Nathusius die Omnipotenz nennt, d. h. das oberste Recht
auf dem ganzen Gebiet der irdischen Erscheinung? Nur aus Willkür konnte
Herr von Nathusius dieses und ähnliche Beispiele ablehnen. Aber wir


wenn diese Waffe so abgenutzt ist, daß sie gar nicht mehr verletzt, so lohnt
es sich auch nicht, sie dem Gegner zu entreißen. Wie dem sei, wir glauben
seine eigene Partei sowohl, als alle anderen Parteien müssen es dem Ver¬
fasser Dank wissen, daß er endlich einmal ein positives Programm seiner
Partei aufgestellt hat. Denn daran hat es wirklich gefehlt, Freund und
Feind waren bisher nicht im Stande! zu erkennen, wo die Kreuzzeitungs¬
opposition hinaus wolle, zu welchem wirklichen, ernsthaften Ziel. Denn der
Sturz einer etwa am Ruder befindlichen Regierung dadurch, daß man dieser
Negierung alle Wege erschwert, ist kein ernsthaftes, geschweige denn ein
patriotisches Spiel. Keiner Partei, die auf ernste Beachtung Anspruch machen
will, ist es erlaubt, zu sagen: Laßt uns nur erst ans Ruder kommen, dann
wird sich zeigen, was zu thun ist.

Herr von Nathustus-Ludom unternimmt es also, zu zeigen, was die
Kreuzzeitungspartei thun würde und thun müßte, wenn sie ans Ruder käme,
und er ist sichtlich der Ueberzeugung, etwas Annehmbares und Ausführbares
vorgelegt zu haben, so zwar, daß er den Beweis geliefert zu haben glaubt,
es sei lediglich eine von den Anhängern des heutigen Ministeriums zu ihrer
eigenen Beruhigung erfundene Phrase, wenn sie sagen, die Kreuzzeitungspartei
sei nicht regierungsfähig. Folgen wir nunmehr dem Verfasser in seinen con-
servativen Positionen; denn nicht eine einzelne, sondern eine ganze Reihe von
Positionen stellt er auf und gewinnt uns damit den Zuruf ab: Um so
besser! —

Die erste Position ist die Beseitigung des Kulturkampfes, positiv ausge¬
drückt: die Herstellung des Friedens mit der römischen Kirche. Und zwar
sollen die falschen Prinzipien des jetzigen Kulturkampfes aufgegeben werden.
Es sind deren zwei. Zuerst die Omnipotenz des Staates. Der Staat soll
vielmehr anerkennen, daß die Kirche eine auf ihrem Gebiet autonome göttliche
Institution sei. In Folge dieser Anerkennung soll sich der Staat für alle
Fälle enthalten, geistliche Amtshandlungen als solche zu verbieten, und Kirchen¬
diener als solche abzusetzen. Aber wie? Wer sagt denn nun, was geistliche
Amtshandlungen sind und wer Kirchendiener sind? Es giebt ketzerische Sekten
in Rußland, welche als gottesdienstliche Handlungen Castrationen und
Stuprationen vornehmen. Soll das geduldet werden? Und wenn nicht, wenn
der Staat dennoch sagt: Ich bestrafe diese Handlungen, obwohl ich überzeugt
bin. daß diejenigen, welche sie verüben, in einem aufrichtigen Wahn, göttliche
Gebote zu erfüllen, handeln: wenn der Staat so spricht, wirft er sich damit
nicht zum obersten Richter auch in religiösen Dingen auf, ergreift er nicht,
was Herr von Nathusius die Omnipotenz nennt, d. h. das oberste Recht
auf dem ganzen Gebiet der irdischen Erscheinung? Nur aus Willkür konnte
Herr von Nathusius dieses und ähnliche Beispiele ablehnen. Aber wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/513>, abgerufen am 27.11.2024.