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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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die Akademie in Se. Petersburg ihre Gründung, und auch die beiden Generale
Bruat und Rapp fanden manchen Lorbeer in weiter Fremde. Kurzum es
geht entschieden ein internationaler Zug durch Colmars Ruhm. Am popu¬
lärsten und bekanntesten in Deutschland jedoch ist ohne Zweifel Gottlieb
Konrad Pfeffel, der Dichter so mancher sinniger Fabel, die heute noch im
Munde des Volkes lebt. Auch seine Verdienste sind durch ein Denkmal
geehrt.

Dunkel wie ihr alter Name Columbia, ist auch die älteste Geschichte der
Stadt, wahrscheinlich hat sie sich um eine Pfalz der fränkischen Könige an¬
gesiedelt, was den drolligen Mythus freilich nicht ausschloß, daß sie schon zu
Herkules' Zeiten entstanden sei. Es wird hinzugesetzt, daß der Elsäßer Wein
damals den tapferen Halbgott entschieden überwältigt habe und daß der
letztere sich gezwungen sah, bei Colmar etwas auszuschlafen, was unter Christen
nicht genannt werden soll. Als er erwachte und von dannen zog, vergaß er
überdies seine Keule, die nun ins Stadtwappen gestellt ward und auf welcher
der Spezialist noch jetzt die Qenssis von Colmar stützen mag. wenn es ihm
Spaß macht.

In der Zeit der Karolinger wird Colmar häufig genannt, selbst ein
Reichstag (wider die Normanen) ward unter Carl dem Dicken dort gehalten,
und auch jene verhängnißvolle Stätte, wo der schwache Ludwig von seinen
Söhnen verrathen wurde, weist auf die Nähe von Colmar hin. Bekanntermaßen
streiten sich zwar drei verschiedene Orte um diese Begebenheit, im Volksmunde
aber heißt das nahe Blachfeld bei Sigolsheim noch heute das Lügenseld.

Die spätere Kaiserzeit und vor allem die Politik der Staufen brachte
Colmar zur hohen städtischen Blüthe und die Bürger blieben sich auch jeder¬
zeit bewußt, wem sie diese Wohlfahrt verdankten. Unerschütterlich standen sie
zum Kaiser, bis die bekannte Katastrophe eintrat und dteLändergier Ludwig's XIV.
sich auch Elsaß erzwang. Selbst auf dem platten Lande betrachtete man
damals den Uebergang an Frankreich als tiefes Unglück, ja wie ein Ver¬
brechen an der Nation, was mochte erst eine Stadt, wie Colmar dabei em¬
pfinden, die an das höchste Maß von Freiheit gewöhnt war und nun mit
einmal das höchste Maß despotischer Willkürherrschaft erfuhr. Es muß ihr
gewesen sein, als wäre das ihr Todestag.

Mit diesen Gedanken sah ich hinab vom Thurme in die Stadt, und
wie es der Zufall fügte, kam eben ein Leichenzug, langsam und pomphaft
aus der Kirche hervor. Es war ein schönes jugendfrisches Mägdlein, das
nun hinweggerissen war aus dem Kreise ihres Hauses und dieses Schmerz¬
gefühl das könnten alle Worte vom Himmelreich, die der Priester da drunten
sprach, und alle pomphaften Posaunenstöße des Chorals nicht übertönen.

Unwillkürlich mußte ich an die Zeit der Reunionskammern denken und


die Akademie in Se. Petersburg ihre Gründung, und auch die beiden Generale
Bruat und Rapp fanden manchen Lorbeer in weiter Fremde. Kurzum es
geht entschieden ein internationaler Zug durch Colmars Ruhm. Am popu¬
lärsten und bekanntesten in Deutschland jedoch ist ohne Zweifel Gottlieb
Konrad Pfeffel, der Dichter so mancher sinniger Fabel, die heute noch im
Munde des Volkes lebt. Auch seine Verdienste sind durch ein Denkmal
geehrt.

Dunkel wie ihr alter Name Columbia, ist auch die älteste Geschichte der
Stadt, wahrscheinlich hat sie sich um eine Pfalz der fränkischen Könige an¬
gesiedelt, was den drolligen Mythus freilich nicht ausschloß, daß sie schon zu
Herkules' Zeiten entstanden sei. Es wird hinzugesetzt, daß der Elsäßer Wein
damals den tapferen Halbgott entschieden überwältigt habe und daß der
letztere sich gezwungen sah, bei Colmar etwas auszuschlafen, was unter Christen
nicht genannt werden soll. Als er erwachte und von dannen zog, vergaß er
überdies seine Keule, die nun ins Stadtwappen gestellt ward und auf welcher
der Spezialist noch jetzt die Qenssis von Colmar stützen mag. wenn es ihm
Spaß macht.

In der Zeit der Karolinger wird Colmar häufig genannt, selbst ein
Reichstag (wider die Normanen) ward unter Carl dem Dicken dort gehalten,
und auch jene verhängnißvolle Stätte, wo der schwache Ludwig von seinen
Söhnen verrathen wurde, weist auf die Nähe von Colmar hin. Bekanntermaßen
streiten sich zwar drei verschiedene Orte um diese Begebenheit, im Volksmunde
aber heißt das nahe Blachfeld bei Sigolsheim noch heute das Lügenseld.

Die spätere Kaiserzeit und vor allem die Politik der Staufen brachte
Colmar zur hohen städtischen Blüthe und die Bürger blieben sich auch jeder¬
zeit bewußt, wem sie diese Wohlfahrt verdankten. Unerschütterlich standen sie
zum Kaiser, bis die bekannte Katastrophe eintrat und dteLändergier Ludwig's XIV.
sich auch Elsaß erzwang. Selbst auf dem platten Lande betrachtete man
damals den Uebergang an Frankreich als tiefes Unglück, ja wie ein Ver¬
brechen an der Nation, was mochte erst eine Stadt, wie Colmar dabei em¬
pfinden, die an das höchste Maß von Freiheit gewöhnt war und nun mit
einmal das höchste Maß despotischer Willkürherrschaft erfuhr. Es muß ihr
gewesen sein, als wäre das ihr Todestag.

Mit diesen Gedanken sah ich hinab vom Thurme in die Stadt, und
wie es der Zufall fügte, kam eben ein Leichenzug, langsam und pomphaft
aus der Kirche hervor. Es war ein schönes jugendfrisches Mägdlein, das
nun hinweggerissen war aus dem Kreise ihres Hauses und dieses Schmerz¬
gefühl das könnten alle Worte vom Himmelreich, die der Priester da drunten
sprach, und alle pomphaften Posaunenstöße des Chorals nicht übertönen.

Unwillkürlich mußte ich an die Zeit der Reunionskammern denken und


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[0464] die Akademie in Se. Petersburg ihre Gründung, und auch die beiden Generale Bruat und Rapp fanden manchen Lorbeer in weiter Fremde. Kurzum es geht entschieden ein internationaler Zug durch Colmars Ruhm. Am popu¬ lärsten und bekanntesten in Deutschland jedoch ist ohne Zweifel Gottlieb Konrad Pfeffel, der Dichter so mancher sinniger Fabel, die heute noch im Munde des Volkes lebt. Auch seine Verdienste sind durch ein Denkmal geehrt. Dunkel wie ihr alter Name Columbia, ist auch die älteste Geschichte der Stadt, wahrscheinlich hat sie sich um eine Pfalz der fränkischen Könige an¬ gesiedelt, was den drolligen Mythus freilich nicht ausschloß, daß sie schon zu Herkules' Zeiten entstanden sei. Es wird hinzugesetzt, daß der Elsäßer Wein damals den tapferen Halbgott entschieden überwältigt habe und daß der letztere sich gezwungen sah, bei Colmar etwas auszuschlafen, was unter Christen nicht genannt werden soll. Als er erwachte und von dannen zog, vergaß er überdies seine Keule, die nun ins Stadtwappen gestellt ward und auf welcher der Spezialist noch jetzt die Qenssis von Colmar stützen mag. wenn es ihm Spaß macht. In der Zeit der Karolinger wird Colmar häufig genannt, selbst ein Reichstag (wider die Normanen) ward unter Carl dem Dicken dort gehalten, und auch jene verhängnißvolle Stätte, wo der schwache Ludwig von seinen Söhnen verrathen wurde, weist auf die Nähe von Colmar hin. Bekanntermaßen streiten sich zwar drei verschiedene Orte um diese Begebenheit, im Volksmunde aber heißt das nahe Blachfeld bei Sigolsheim noch heute das Lügenseld. Die spätere Kaiserzeit und vor allem die Politik der Staufen brachte Colmar zur hohen städtischen Blüthe und die Bürger blieben sich auch jeder¬ zeit bewußt, wem sie diese Wohlfahrt verdankten. Unerschütterlich standen sie zum Kaiser, bis die bekannte Katastrophe eintrat und dteLändergier Ludwig's XIV. sich auch Elsaß erzwang. Selbst auf dem platten Lande betrachtete man damals den Uebergang an Frankreich als tiefes Unglück, ja wie ein Ver¬ brechen an der Nation, was mochte erst eine Stadt, wie Colmar dabei em¬ pfinden, die an das höchste Maß von Freiheit gewöhnt war und nun mit einmal das höchste Maß despotischer Willkürherrschaft erfuhr. Es muß ihr gewesen sein, als wäre das ihr Todestag. Mit diesen Gedanken sah ich hinab vom Thurme in die Stadt, und wie es der Zufall fügte, kam eben ein Leichenzug, langsam und pomphaft aus der Kirche hervor. Es war ein schönes jugendfrisches Mägdlein, das nun hinweggerissen war aus dem Kreise ihres Hauses und dieses Schmerz¬ gefühl das könnten alle Worte vom Himmelreich, die der Priester da drunten sprach, und alle pomphaften Posaunenstöße des Chorals nicht übertönen. Unwillkürlich mußte ich an die Zeit der Reunionskammern denken und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/464>, abgerufen am 23.11.2024.