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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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an die Freiheit von Colmar, die sie damals auch als Leiche hinausgetragen,
mit dem Pompe feierlicher Tröstungen, unter dem Nachklang der Trompeten¬
stöße des 30jährigen Krieges. Die lieblichste Tochter, die blühendste Provinz,
unser Elsaß war hinweggerissen aus dem deutschen Hause.

Seltsam sah mich der Wächter des Thurmes an; ob er mir wohl an
den Augen ablas, woran ich dachte? Ich glaube nicht, denn er hämmerte
bald behaglich weiter und pfiff mit den Vöglein um die Wette, die er in
kleinen Käfigen züchtete.

Der Stiefel, der als Wahrzeichen an seiner Thüre steht und die goldge¬
fiederten Sänger, das alles muß mithelfen zum täglichen Brod -- denn er
selbst hat ja 4--5 Junge im Nest, blonde rothbackige Rangen, "'s ist wohl
recht mühsam sie zu nähren und zur Schule zu schicken, aber besser sind doch
immer sechse, als wenn's nur ein einziger wär'", sprach der lustige Thurm¬
wart. -- "Ein Kind ist ein Kreuzkind."

Nun wahrlich dies "Kreuz" hatte er nicht zu besorgen, denn während
er noch sprach, braust uns das kleine Volk schon ungeduldig um die Beine,
der eine griff nach dem Wächterhorn und der andere sah sich die farbigen
Bilder an, die so ästhetisch an den Wänden hingen -- lauter Unglücksfälle
nach dem Vorbild der realistischen Schule. Napoleon dankt ab in Fontaine-
Vleau, Kullmann schießt in Kisstngen auf Btsmarck, Bazatne übergibt die
Festung Metz .und irgendwo brennt irgend etwas ab. Dies Capitel freilich
hat da oben auch seine praktische Seite, ringsherum auf der steinernen Brü¬
stung sind scharfe Linien el ngeritzt, die genau auf jene 37 Ortschaften Visiren,
die hier in unserem Sehkreis liegen. Sie dienen dem Thürmer zur Orienttrung
bei jedem Brand auf viele Meilen in der Runde. Auch die Namen der ein¬
zelnen Wächter sind seit 170 Jahren hier in den Stein gemeißelt, einer von
ihnen hat fast 60 Jahre seines Amtes gewaltet.

So lassen wir die Blicke schweifen und von der Stadt hinweg blickt unser
Auge in das Land der Vogesen. die sich hier im Halbkreis amphitheatralisch er¬
heben. Reicher Wald deckt das Gehänge der Berge, drüben winkt die Wall¬
fahrtskirche zu den drei Aehren, überall auf den Höhen thronen Ruinen,
Hoheneck, Holandsverg. Windeck. Plizburg und viele andere. Das Thal aber,
das sich vor uns eröffnet, führt uns in das Gebiet der alten berühmten
Abtei von Münster.

Zur Zeit der fränkischen Könige, als hier noch Bär und Ur durch die
Forsten zogen, kamen die Glaubensboten, die der heilige Gregor ausgesandt,
und lichteten zum erstenmale die Wildniß. Erst später sammelten sich die
Mönche und wo die beiden Bäche der Feast zusammenfließen, ward etwa um
660 ein kleines Kloster errichtet, dessen Abt Gotwinus war und das nach
dem heil. Gregorius genannt ist. Diese Bezeichnung wurde später auf das


an die Freiheit von Colmar, die sie damals auch als Leiche hinausgetragen,
mit dem Pompe feierlicher Tröstungen, unter dem Nachklang der Trompeten¬
stöße des 30jährigen Krieges. Die lieblichste Tochter, die blühendste Provinz,
unser Elsaß war hinweggerissen aus dem deutschen Hause.

Seltsam sah mich der Wächter des Thurmes an; ob er mir wohl an
den Augen ablas, woran ich dachte? Ich glaube nicht, denn er hämmerte
bald behaglich weiter und pfiff mit den Vöglein um die Wette, die er in
kleinen Käfigen züchtete.

Der Stiefel, der als Wahrzeichen an seiner Thüre steht und die goldge¬
fiederten Sänger, das alles muß mithelfen zum täglichen Brod — denn er
selbst hat ja 4—5 Junge im Nest, blonde rothbackige Rangen, „'s ist wohl
recht mühsam sie zu nähren und zur Schule zu schicken, aber besser sind doch
immer sechse, als wenn's nur ein einziger wär'", sprach der lustige Thurm¬
wart. — „Ein Kind ist ein Kreuzkind."

Nun wahrlich dies „Kreuz" hatte er nicht zu besorgen, denn während
er noch sprach, braust uns das kleine Volk schon ungeduldig um die Beine,
der eine griff nach dem Wächterhorn und der andere sah sich die farbigen
Bilder an, die so ästhetisch an den Wänden hingen — lauter Unglücksfälle
nach dem Vorbild der realistischen Schule. Napoleon dankt ab in Fontaine-
Vleau, Kullmann schießt in Kisstngen auf Btsmarck, Bazatne übergibt die
Festung Metz .und irgendwo brennt irgend etwas ab. Dies Capitel freilich
hat da oben auch seine praktische Seite, ringsherum auf der steinernen Brü¬
stung sind scharfe Linien el ngeritzt, die genau auf jene 37 Ortschaften Visiren,
die hier in unserem Sehkreis liegen. Sie dienen dem Thürmer zur Orienttrung
bei jedem Brand auf viele Meilen in der Runde. Auch die Namen der ein¬
zelnen Wächter sind seit 170 Jahren hier in den Stein gemeißelt, einer von
ihnen hat fast 60 Jahre seines Amtes gewaltet.

So lassen wir die Blicke schweifen und von der Stadt hinweg blickt unser
Auge in das Land der Vogesen. die sich hier im Halbkreis amphitheatralisch er¬
heben. Reicher Wald deckt das Gehänge der Berge, drüben winkt die Wall¬
fahrtskirche zu den drei Aehren, überall auf den Höhen thronen Ruinen,
Hoheneck, Holandsverg. Windeck. Plizburg und viele andere. Das Thal aber,
das sich vor uns eröffnet, führt uns in das Gebiet der alten berühmten
Abtei von Münster.

Zur Zeit der fränkischen Könige, als hier noch Bär und Ur durch die
Forsten zogen, kamen die Glaubensboten, die der heilige Gregor ausgesandt,
und lichteten zum erstenmale die Wildniß. Erst später sammelten sich die
Mönche und wo die beiden Bäche der Feast zusammenfließen, ward etwa um
660 ein kleines Kloster errichtet, dessen Abt Gotwinus war und das nach
dem heil. Gregorius genannt ist. Diese Bezeichnung wurde später auf das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/465>, abgerufen am 23.11.2024.