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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Mommsen's Ausführungen wenden sich daher in dem zweiten der
oben erwähnten Artikel gegen diejenigen Universitäten, welche die Forderung
der obligatorischen, gedruckten Dissertation nicht kennen und den Doctorgrad blos
auf Grund eines mündlichen Examens verleihen. Es sind dies die vier Uni¬
versitäten: Jena, Heidelberg, Freiburg, Gießen, welche alle die
Dissertation nur in Ausnahmefällen fordern. Mommsen constatirt den
Unfug, der nach seiner Ansicht aus diesen Promotionen entsteht und fordert
Zusammenschluß der strengeren Universitäten, um sich gegen die Folgen jener
Promotionen zu schützen und die genannten Universitäten zu größerer
Strenge zu zwingen. Da in diesem Artikel verschiedene wunde Stellen sehr
unsanft berührt werden, da Mommsen vor allem nichts beschönigt und das
schwarze immer schwarz, niemals grau geschweige denn weiß nennt, so sind
durch seine Ausführungen viele zartbesaitete Gemüther verletzt worden. Nach
dieser Seite hin sind einige Entgegnungen erfolgt, die hier berührt werden
sollen. Denn es steht zu fürchten, daß die bisher klare Streitfrage durch
Vermengung mit Persönlichen verdunkelt werde.

Freilich eine Sorge ist allen diesen benommen worden. Denn der
preußische Cultusminister hat es in einem an den Curator einer ungenannten
Universität gerichteten Erlasse*) entschieden abgelehnt, eine Vereinbarun g
mit anderen nichtpreußischen Regierungen oder Universitäten
über das Promotionswesen zu treffen, worauf doch Mommsen's
Vorschläge hinausliefen, aber ich weiß nur nicht, ob das ein Trost ist für
jene Anhänger des alten Brauches. Denn der preußische Cultusminister mo-
tivirt diesen Bescheid damit, daß sich solche Festsetzungen nur auf die Minima
des zu Leistenden beziehen könnten. Er sagt geradezu: "Solche Minimalfest¬
setzungen möchten hier und da zu einer gewissen Hebung der Institution bei¬
tragen, wo jetzt vielleicht ein vorzugsweise niederes Niveau besteht; im Allge¬
meinen aber würden sie die Bedeutung der Doctorwürde auf einen gewissen
mittleren Grad und zwar unter die Stufe fixiren, welche ich auf den
preußischen Universitäten dauernd bewahrt zu sehen wünschen muß." Also
selbst wenn jene Universitäten ihre Anforderungen steigern, so genügen sie
noch nicht preußischen Ansprüchen. Dieses Urtheil ist hart und für uns bitter.
Ist es auch gerecht? Ich fürchte ja.

Der Criminalist Heinze hat nun in einem sehr weitläufigen Aufsatze
in der Allgemeinen Zeitung zu Augsburg**) die Praxis der vier genannten
Universitäten gegenüber Mommsen's strengen Ansichten, welche wie wir sehen,
auch die des preußischen Cultusministeriums sind, nicht ungeschickt vertheidigt.




') Siehe R. u. Se. A. Vom 24. Mai.
") Siehe Beilage zur Allgemeinen Zeitung Ur. 124 von Mittwoch dem 3. Mai:
"Herr Dr. Th. Mommsen und die Promotionsreform."

Mommsen's Ausführungen wenden sich daher in dem zweiten der
oben erwähnten Artikel gegen diejenigen Universitäten, welche die Forderung
der obligatorischen, gedruckten Dissertation nicht kennen und den Doctorgrad blos
auf Grund eines mündlichen Examens verleihen. Es sind dies die vier Uni¬
versitäten: Jena, Heidelberg, Freiburg, Gießen, welche alle die
Dissertation nur in Ausnahmefällen fordern. Mommsen constatirt den
Unfug, der nach seiner Ansicht aus diesen Promotionen entsteht und fordert
Zusammenschluß der strengeren Universitäten, um sich gegen die Folgen jener
Promotionen zu schützen und die genannten Universitäten zu größerer
Strenge zu zwingen. Da in diesem Artikel verschiedene wunde Stellen sehr
unsanft berührt werden, da Mommsen vor allem nichts beschönigt und das
schwarze immer schwarz, niemals grau geschweige denn weiß nennt, so sind
durch seine Ausführungen viele zartbesaitete Gemüther verletzt worden. Nach
dieser Seite hin sind einige Entgegnungen erfolgt, die hier berührt werden
sollen. Denn es steht zu fürchten, daß die bisher klare Streitfrage durch
Vermengung mit Persönlichen verdunkelt werde.

Freilich eine Sorge ist allen diesen benommen worden. Denn der
preußische Cultusminister hat es in einem an den Curator einer ungenannten
Universität gerichteten Erlasse*) entschieden abgelehnt, eine Vereinbarun g
mit anderen nichtpreußischen Regierungen oder Universitäten
über das Promotionswesen zu treffen, worauf doch Mommsen's
Vorschläge hinausliefen, aber ich weiß nur nicht, ob das ein Trost ist für
jene Anhänger des alten Brauches. Denn der preußische Cultusminister mo-
tivirt diesen Bescheid damit, daß sich solche Festsetzungen nur auf die Minima
des zu Leistenden beziehen könnten. Er sagt geradezu: „Solche Minimalfest¬
setzungen möchten hier und da zu einer gewissen Hebung der Institution bei¬
tragen, wo jetzt vielleicht ein vorzugsweise niederes Niveau besteht; im Allge¬
meinen aber würden sie die Bedeutung der Doctorwürde auf einen gewissen
mittleren Grad und zwar unter die Stufe fixiren, welche ich auf den
preußischen Universitäten dauernd bewahrt zu sehen wünschen muß." Also
selbst wenn jene Universitäten ihre Anforderungen steigern, so genügen sie
noch nicht preußischen Ansprüchen. Dieses Urtheil ist hart und für uns bitter.
Ist es auch gerecht? Ich fürchte ja.

Der Criminalist Heinze hat nun in einem sehr weitläufigen Aufsatze
in der Allgemeinen Zeitung zu Augsburg**) die Praxis der vier genannten
Universitäten gegenüber Mommsen's strengen Ansichten, welche wie wir sehen,
auch die des preußischen Cultusministeriums sind, nicht ungeschickt vertheidigt.




') Siehe R. u. Se. A. Vom 24. Mai.
") Siehe Beilage zur Allgemeinen Zeitung Ur. 124 von Mittwoch dem 3. Mai:
„Herr Dr. Th. Mommsen und die Promotionsreform."
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[0456] Mommsen's Ausführungen wenden sich daher in dem zweiten der oben erwähnten Artikel gegen diejenigen Universitäten, welche die Forderung der obligatorischen, gedruckten Dissertation nicht kennen und den Doctorgrad blos auf Grund eines mündlichen Examens verleihen. Es sind dies die vier Uni¬ versitäten: Jena, Heidelberg, Freiburg, Gießen, welche alle die Dissertation nur in Ausnahmefällen fordern. Mommsen constatirt den Unfug, der nach seiner Ansicht aus diesen Promotionen entsteht und fordert Zusammenschluß der strengeren Universitäten, um sich gegen die Folgen jener Promotionen zu schützen und die genannten Universitäten zu größerer Strenge zu zwingen. Da in diesem Artikel verschiedene wunde Stellen sehr unsanft berührt werden, da Mommsen vor allem nichts beschönigt und das schwarze immer schwarz, niemals grau geschweige denn weiß nennt, so sind durch seine Ausführungen viele zartbesaitete Gemüther verletzt worden. Nach dieser Seite hin sind einige Entgegnungen erfolgt, die hier berührt werden sollen. Denn es steht zu fürchten, daß die bisher klare Streitfrage durch Vermengung mit Persönlichen verdunkelt werde. Freilich eine Sorge ist allen diesen benommen worden. Denn der preußische Cultusminister hat es in einem an den Curator einer ungenannten Universität gerichteten Erlasse*) entschieden abgelehnt, eine Vereinbarun g mit anderen nichtpreußischen Regierungen oder Universitäten über das Promotionswesen zu treffen, worauf doch Mommsen's Vorschläge hinausliefen, aber ich weiß nur nicht, ob das ein Trost ist für jene Anhänger des alten Brauches. Denn der preußische Cultusminister mo- tivirt diesen Bescheid damit, daß sich solche Festsetzungen nur auf die Minima des zu Leistenden beziehen könnten. Er sagt geradezu: „Solche Minimalfest¬ setzungen möchten hier und da zu einer gewissen Hebung der Institution bei¬ tragen, wo jetzt vielleicht ein vorzugsweise niederes Niveau besteht; im Allge¬ meinen aber würden sie die Bedeutung der Doctorwürde auf einen gewissen mittleren Grad und zwar unter die Stufe fixiren, welche ich auf den preußischen Universitäten dauernd bewahrt zu sehen wünschen muß." Also selbst wenn jene Universitäten ihre Anforderungen steigern, so genügen sie noch nicht preußischen Ansprüchen. Dieses Urtheil ist hart und für uns bitter. Ist es auch gerecht? Ich fürchte ja. Der Criminalist Heinze hat nun in einem sehr weitläufigen Aufsatze in der Allgemeinen Zeitung zu Augsburg**) die Praxis der vier genannten Universitäten gegenüber Mommsen's strengen Ansichten, welche wie wir sehen, auch die des preußischen Cultusministeriums sind, nicht ungeschickt vertheidigt. ') Siehe R. u. Se. A. Vom 24. Mai. ") Siehe Beilage zur Allgemeinen Zeitung Ur. 124 von Mittwoch dem 3. Mai: „Herr Dr. Th. Mommsen und die Promotionsreform."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/456>, abgerufen am 27.07.2024.