Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Da dieser Aufsatz in hohem Maaße danach angethan ist, das Urtheil unklar
Denkender zu verwirren, so soll er hier ausführlicher besprochen und wider¬
legt werden. Alles was Heinze Th. Mommsen persönlich vorwirft, bleibt
jedoch bei Seite. Es handelt sich für mich nur um die Sache. Mag
Mommsen auch durch die Form manchen verletzt haben, in der Sache selbst
hat er jedenfalls völlig Recht gehabt.

Zwischen Mommsen und Heinze besteht zunächst ein fundamentaler Dis-
sensus über die an die Promovenden zu stellenden Anforderungen, dann über
die Bedeutung des Doctorgrades. Eines erklärt sich aus dem anderen. Für
Mommsen ist der Doctorgrad eine wissenschaftliche Auszeichnung, für Heinze
eine Art Decoration. Der Abneigung gegen die gedruckte Dissertation steht
bei Heinze wie gewöhnlich zur Seite eine besondere Vorliebe für die Oeffent-
lichkeit der mündlichen Prüfung, welche nach seiner Ansicht die "bedenklichen",
oder, wie Mommsen sagt, die "heimlichen" Promotionen unmöglich macht.
Beide Punkte sollen ein wenig beleuchtet werden.

Zunächst ist eine geradezu überwältigende Majorität von Universitäts¬
lehrern für die strengere Anschauung, welche den Doctorgrad nur für eine
wissenschaftliche Leistung verliehen wissen will. Höchstens die meisten, aber
bei weitem nicht alle Professoren der vier Universitäten Jena, Heidelberg,
Freiburg, Gießen scheinen anderer Meinung zu sein. Diese wollen ihn
für ein bloßes Wissen verleihen. Es ist ganz unmöglich, daß diese
vier Universitäten sich isoliren. Eine solche kleine Minorität hat sich einfach
den Einrichtungen der Majorität zu fügen, wenn sie gleiche Rechte mit dieser
beansprucht. Es liegt klar auf der Hand, daß die Grade der vier genannten
Universitäten nur deshalb so begehrt sind, weil sie von denen der andern
nicht zu unterscheiden sind. Der Streit über die an den Promovenden zu
stellenden Anforderungen ist daher praktisch eigentlich bedeutungslos. Jene
vier Universitäten werden sich zum Anschlusse bequemen müssen. Nur um
die Zeit desselben kann es sich noch handeln. Einen Sonderbund, wie ihn
Heinze vorschlägt, können sie nicht aufrecht erhalten; sie denken auch nicht
daran, ihn zu schließen. Ein Gesetzesparagraph steht ihm zwar nicht ent¬
gegen; er würde aber den wissenschaftlichen Ruin dieser kleinen deutschen
Universitäten ebenso sicher als schnell herbeiführen. Das weiß man auch in
Jena, Heidelberg, Freiburg und Gießen so gut als in Berlin, mag man sonst
über die Promotionsfrage denken wie man will.

Aber Heinze verneint überhaupt die Opportunist der Dissertationen, er
bezweifelt, daß wirklich tüchtige Leistungen geliefert werden können. Er be¬
ruft sich dabei außer auf seine eigenen Erfahrungen auf die Autorität von
Vangerow's. Nun ist in wissenschaftlichen Fragen von Vangerow doch wohl
auch für Juristen keine absolute Autorität. Und über Heinze's frühere Er-


Da dieser Aufsatz in hohem Maaße danach angethan ist, das Urtheil unklar
Denkender zu verwirren, so soll er hier ausführlicher besprochen und wider¬
legt werden. Alles was Heinze Th. Mommsen persönlich vorwirft, bleibt
jedoch bei Seite. Es handelt sich für mich nur um die Sache. Mag
Mommsen auch durch die Form manchen verletzt haben, in der Sache selbst
hat er jedenfalls völlig Recht gehabt.

Zwischen Mommsen und Heinze besteht zunächst ein fundamentaler Dis-
sensus über die an die Promovenden zu stellenden Anforderungen, dann über
die Bedeutung des Doctorgrades. Eines erklärt sich aus dem anderen. Für
Mommsen ist der Doctorgrad eine wissenschaftliche Auszeichnung, für Heinze
eine Art Decoration. Der Abneigung gegen die gedruckte Dissertation steht
bei Heinze wie gewöhnlich zur Seite eine besondere Vorliebe für die Oeffent-
lichkeit der mündlichen Prüfung, welche nach seiner Ansicht die „bedenklichen",
oder, wie Mommsen sagt, die „heimlichen" Promotionen unmöglich macht.
Beide Punkte sollen ein wenig beleuchtet werden.

Zunächst ist eine geradezu überwältigende Majorität von Universitäts¬
lehrern für die strengere Anschauung, welche den Doctorgrad nur für eine
wissenschaftliche Leistung verliehen wissen will. Höchstens die meisten, aber
bei weitem nicht alle Professoren der vier Universitäten Jena, Heidelberg,
Freiburg, Gießen scheinen anderer Meinung zu sein. Diese wollen ihn
für ein bloßes Wissen verleihen. Es ist ganz unmöglich, daß diese
vier Universitäten sich isoliren. Eine solche kleine Minorität hat sich einfach
den Einrichtungen der Majorität zu fügen, wenn sie gleiche Rechte mit dieser
beansprucht. Es liegt klar auf der Hand, daß die Grade der vier genannten
Universitäten nur deshalb so begehrt sind, weil sie von denen der andern
nicht zu unterscheiden sind. Der Streit über die an den Promovenden zu
stellenden Anforderungen ist daher praktisch eigentlich bedeutungslos. Jene
vier Universitäten werden sich zum Anschlusse bequemen müssen. Nur um
die Zeit desselben kann es sich noch handeln. Einen Sonderbund, wie ihn
Heinze vorschlägt, können sie nicht aufrecht erhalten; sie denken auch nicht
daran, ihn zu schließen. Ein Gesetzesparagraph steht ihm zwar nicht ent¬
gegen; er würde aber den wissenschaftlichen Ruin dieser kleinen deutschen
Universitäten ebenso sicher als schnell herbeiführen. Das weiß man auch in
Jena, Heidelberg, Freiburg und Gießen so gut als in Berlin, mag man sonst
über die Promotionsfrage denken wie man will.

Aber Heinze verneint überhaupt die Opportunist der Dissertationen, er
bezweifelt, daß wirklich tüchtige Leistungen geliefert werden können. Er be¬
ruft sich dabei außer auf seine eigenen Erfahrungen auf die Autorität von
Vangerow's. Nun ist in wissenschaftlichen Fragen von Vangerow doch wohl
auch für Juristen keine absolute Autorität. Und über Heinze's frühere Er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136038"/>
          <p xml:id="ID_1516" prev="#ID_1515"> Da dieser Aufsatz in hohem Maaße danach angethan ist, das Urtheil unklar<lb/>
Denkender zu verwirren, so soll er hier ausführlicher besprochen und wider¬<lb/>
legt werden. Alles was Heinze Th. Mommsen persönlich vorwirft, bleibt<lb/>
jedoch bei Seite. Es handelt sich für mich nur um die Sache. Mag<lb/>
Mommsen auch durch die Form manchen verletzt haben, in der Sache selbst<lb/>
hat er jedenfalls völlig Recht gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1517"> Zwischen Mommsen und Heinze besteht zunächst ein fundamentaler Dis-<lb/>
sensus über die an die Promovenden zu stellenden Anforderungen, dann über<lb/>
die Bedeutung des Doctorgrades. Eines erklärt sich aus dem anderen. Für<lb/>
Mommsen ist der Doctorgrad eine wissenschaftliche Auszeichnung, für Heinze<lb/>
eine Art Decoration. Der Abneigung gegen die gedruckte Dissertation steht<lb/>
bei Heinze wie gewöhnlich zur Seite eine besondere Vorliebe für die Oeffent-<lb/>
lichkeit der mündlichen Prüfung, welche nach seiner Ansicht die &#x201E;bedenklichen",<lb/>
oder, wie Mommsen sagt, die &#x201E;heimlichen" Promotionen unmöglich macht.<lb/>
Beide Punkte sollen ein wenig beleuchtet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1518"> Zunächst ist eine geradezu überwältigende Majorität von Universitäts¬<lb/>
lehrern für die strengere Anschauung, welche den Doctorgrad nur für eine<lb/>
wissenschaftliche Leistung verliehen wissen will. Höchstens die meisten, aber<lb/>
bei weitem nicht alle Professoren der vier Universitäten Jena, Heidelberg,<lb/>
Freiburg, Gießen scheinen anderer Meinung zu sein. Diese wollen ihn<lb/>
für ein bloßes Wissen verleihen. Es ist ganz unmöglich, daß diese<lb/>
vier Universitäten sich isoliren. Eine solche kleine Minorität hat sich einfach<lb/>
den Einrichtungen der Majorität zu fügen, wenn sie gleiche Rechte mit dieser<lb/>
beansprucht. Es liegt klar auf der Hand, daß die Grade der vier genannten<lb/>
Universitäten nur deshalb so begehrt sind, weil sie von denen der andern<lb/>
nicht zu unterscheiden sind. Der Streit über die an den Promovenden zu<lb/>
stellenden Anforderungen ist daher praktisch eigentlich bedeutungslos. Jene<lb/>
vier Universitäten werden sich zum Anschlusse bequemen müssen. Nur um<lb/>
die Zeit desselben kann es sich noch handeln. Einen Sonderbund, wie ihn<lb/>
Heinze vorschlägt, können sie nicht aufrecht erhalten; sie denken auch nicht<lb/>
daran, ihn zu schließen. Ein Gesetzesparagraph steht ihm zwar nicht ent¬<lb/>
gegen; er würde aber den wissenschaftlichen Ruin dieser kleinen deutschen<lb/>
Universitäten ebenso sicher als schnell herbeiführen. Das weiß man auch in<lb/>
Jena, Heidelberg, Freiburg und Gießen so gut als in Berlin, mag man sonst<lb/>
über die Promotionsfrage denken wie man will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1519" next="#ID_1520"> Aber Heinze verneint überhaupt die Opportunist der Dissertationen, er<lb/>
bezweifelt, daß wirklich tüchtige Leistungen geliefert werden können. Er be¬<lb/>
ruft sich dabei außer auf seine eigenen Erfahrungen auf die Autorität von<lb/>
Vangerow's. Nun ist in wissenschaftlichen Fragen von Vangerow doch wohl<lb/>
auch für Juristen keine absolute Autorität. Und über Heinze's frühere Er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] Da dieser Aufsatz in hohem Maaße danach angethan ist, das Urtheil unklar Denkender zu verwirren, so soll er hier ausführlicher besprochen und wider¬ legt werden. Alles was Heinze Th. Mommsen persönlich vorwirft, bleibt jedoch bei Seite. Es handelt sich für mich nur um die Sache. Mag Mommsen auch durch die Form manchen verletzt haben, in der Sache selbst hat er jedenfalls völlig Recht gehabt. Zwischen Mommsen und Heinze besteht zunächst ein fundamentaler Dis- sensus über die an die Promovenden zu stellenden Anforderungen, dann über die Bedeutung des Doctorgrades. Eines erklärt sich aus dem anderen. Für Mommsen ist der Doctorgrad eine wissenschaftliche Auszeichnung, für Heinze eine Art Decoration. Der Abneigung gegen die gedruckte Dissertation steht bei Heinze wie gewöhnlich zur Seite eine besondere Vorliebe für die Oeffent- lichkeit der mündlichen Prüfung, welche nach seiner Ansicht die „bedenklichen", oder, wie Mommsen sagt, die „heimlichen" Promotionen unmöglich macht. Beide Punkte sollen ein wenig beleuchtet werden. Zunächst ist eine geradezu überwältigende Majorität von Universitäts¬ lehrern für die strengere Anschauung, welche den Doctorgrad nur für eine wissenschaftliche Leistung verliehen wissen will. Höchstens die meisten, aber bei weitem nicht alle Professoren der vier Universitäten Jena, Heidelberg, Freiburg, Gießen scheinen anderer Meinung zu sein. Diese wollen ihn für ein bloßes Wissen verleihen. Es ist ganz unmöglich, daß diese vier Universitäten sich isoliren. Eine solche kleine Minorität hat sich einfach den Einrichtungen der Majorität zu fügen, wenn sie gleiche Rechte mit dieser beansprucht. Es liegt klar auf der Hand, daß die Grade der vier genannten Universitäten nur deshalb so begehrt sind, weil sie von denen der andern nicht zu unterscheiden sind. Der Streit über die an den Promovenden zu stellenden Anforderungen ist daher praktisch eigentlich bedeutungslos. Jene vier Universitäten werden sich zum Anschlusse bequemen müssen. Nur um die Zeit desselben kann es sich noch handeln. Einen Sonderbund, wie ihn Heinze vorschlägt, können sie nicht aufrecht erhalten; sie denken auch nicht daran, ihn zu schließen. Ein Gesetzesparagraph steht ihm zwar nicht ent¬ gegen; er würde aber den wissenschaftlichen Ruin dieser kleinen deutschen Universitäten ebenso sicher als schnell herbeiführen. Das weiß man auch in Jena, Heidelberg, Freiburg und Gießen so gut als in Berlin, mag man sonst über die Promotionsfrage denken wie man will. Aber Heinze verneint überhaupt die Opportunist der Dissertationen, er bezweifelt, daß wirklich tüchtige Leistungen geliefert werden können. Er be¬ ruft sich dabei außer auf seine eigenen Erfahrungen auf die Autorität von Vangerow's. Nun ist in wissenschaftlichen Fragen von Vangerow doch wohl auch für Juristen keine absolute Autorität. Und über Heinze's frühere Er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/457>, abgerufen am 27.11.2024.