Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Paropamisus. Die Schmiedekunst, die Metallarbeit erschien aber den Völkern
selbst als etwas so Wunderbares, daß sie dieselbe den Göttern zuschrieben;
gewöhnlich ist es die im Feuer waltende Gotteskraft, naturgemäß, da diese
Kunst an das Feuer geknüpft ist. Aus der Gegend zwischen Ural und Altai
wurde noch zu Herodot's Zeit die Metallausbeute durch Karawanen zu den
Griechen gebracht, und Kolchos, das Ziel der Argonauten, lockte diese durch
das goldene Vließ. Semiten und Arier aber besaßen Bronze und Eisen
und waren mit der Metallbereitung vertraut, als sie sich zu besondern Völkern
schieden. In der Vorzeit waren die Menschen weit mehr als im historischen
Alterthum auf der Wanderung; sie waren noch nicht seßhaft, sie zogen umher,
bis sie die ihnen zusagende Stätte fanden, und was immer ein Land für die
Cultur Förderndes, besondere Culturformen Bedingendes bieten mochte, es
mußte vom Menschengeist ergriffen, aufgeschlossen und verwerthet werden.

Nun im Besitz des Metalles ist der Mensch nicht mehr an die Natur¬
form des Steins, des Horns und Knochens gebunden, nun schafft er selber
seine Form für den Erzguß und läßt das flüssige Metall sie ausfüllen, und
symmetrisch schwungvolle Linien begegnen uns bei Schwertgriffen und Ringen
wie bei Gefäßen. Parallellinien in einfachem Zug wie in Wellen und Zickzack
aufgelöst oder entfaltet dienen zur Verzierung; die Spirale, die in weiteren
Ringen den Mittelpunkt umkreist, wird beliebt; vertikale und horizontale
Richtungen werden betont, Kreise mit angedeuteten Centrum, Dreiecke, Kreuze
verzieren die Flächen.

Wie die Sprache aus 400 Wurzeln ihre 40000 Wörter bildet und diese
durch Beugung verändert, wie die Natur bei aller Formenfülle doch mit ihren
Motiven sparsam erscheint und ihre Grundformen in stetiger Wiederholung
nach den Daseinsbedingungen der Geschöpfe leise und allmählich gestaltet,
hier verkürzend, dort verlängernd, hier etwas entfaltend, was dort angelegt
bleibt oder abgeworfen wird, so hat auch die Menschheit in der Kunst urälteste
Ueberlieferungen bewahrt, Typen die immer wieder auftauchen und durch die
mannichfaltigsten Umgestaltungen wie ein musikalisches Thema durch die
Variationen hindurchschimmern.

Semper hat die Urkunst in der textilen Kunst erkannt, unter welcher er
alles Binden, Flechten, Weben, Sticken begreift. Von hier haben alle andern
Künste, die Töpferei nicht ausgenommen, ihre Typen und Symbole entlehnt,
während sie selbst ganz selbständig schöpferisch erscheint und ihre Typen aus
sich herausbildet oder von der Natur entnimmt. Er weist darauf hin daß
in der Sprache die Ausdrücke Band, Gurt, Kranz, Futter, Bekleidung, Span¬
nung, Decke, wie sie beim Holzarbeiter oder in der Baukunst vorkommen,
von dem Geflecht oder Gewebe entlehnt sind, mit welchem der Mensch sich
bekleidet. Er weist nach, wie die Mäanderlinie das Ntemengeflecht als Band


Grenzboten II. 187K. 57

Paropamisus. Die Schmiedekunst, die Metallarbeit erschien aber den Völkern
selbst als etwas so Wunderbares, daß sie dieselbe den Göttern zuschrieben;
gewöhnlich ist es die im Feuer waltende Gotteskraft, naturgemäß, da diese
Kunst an das Feuer geknüpft ist. Aus der Gegend zwischen Ural und Altai
wurde noch zu Herodot's Zeit die Metallausbeute durch Karawanen zu den
Griechen gebracht, und Kolchos, das Ziel der Argonauten, lockte diese durch
das goldene Vließ. Semiten und Arier aber besaßen Bronze und Eisen
und waren mit der Metallbereitung vertraut, als sie sich zu besondern Völkern
schieden. In der Vorzeit waren die Menschen weit mehr als im historischen
Alterthum auf der Wanderung; sie waren noch nicht seßhaft, sie zogen umher,
bis sie die ihnen zusagende Stätte fanden, und was immer ein Land für die
Cultur Förderndes, besondere Culturformen Bedingendes bieten mochte, es
mußte vom Menschengeist ergriffen, aufgeschlossen und verwerthet werden.

Nun im Besitz des Metalles ist der Mensch nicht mehr an die Natur¬
form des Steins, des Horns und Knochens gebunden, nun schafft er selber
seine Form für den Erzguß und läßt das flüssige Metall sie ausfüllen, und
symmetrisch schwungvolle Linien begegnen uns bei Schwertgriffen und Ringen
wie bei Gefäßen. Parallellinien in einfachem Zug wie in Wellen und Zickzack
aufgelöst oder entfaltet dienen zur Verzierung; die Spirale, die in weiteren
Ringen den Mittelpunkt umkreist, wird beliebt; vertikale und horizontale
Richtungen werden betont, Kreise mit angedeuteten Centrum, Dreiecke, Kreuze
verzieren die Flächen.

Wie die Sprache aus 400 Wurzeln ihre 40000 Wörter bildet und diese
durch Beugung verändert, wie die Natur bei aller Formenfülle doch mit ihren
Motiven sparsam erscheint und ihre Grundformen in stetiger Wiederholung
nach den Daseinsbedingungen der Geschöpfe leise und allmählich gestaltet,
hier verkürzend, dort verlängernd, hier etwas entfaltend, was dort angelegt
bleibt oder abgeworfen wird, so hat auch die Menschheit in der Kunst urälteste
Ueberlieferungen bewahrt, Typen die immer wieder auftauchen und durch die
mannichfaltigsten Umgestaltungen wie ein musikalisches Thema durch die
Variationen hindurchschimmern.

Semper hat die Urkunst in der textilen Kunst erkannt, unter welcher er
alles Binden, Flechten, Weben, Sticken begreift. Von hier haben alle andern
Künste, die Töpferei nicht ausgenommen, ihre Typen und Symbole entlehnt,
während sie selbst ganz selbständig schöpferisch erscheint und ihre Typen aus
sich herausbildet oder von der Natur entnimmt. Er weist darauf hin daß
in der Sprache die Ausdrücke Band, Gurt, Kranz, Futter, Bekleidung, Span¬
nung, Decke, wie sie beim Holzarbeiter oder in der Baukunst vorkommen,
von dem Geflecht oder Gewebe entlehnt sind, mit welchem der Mensch sich
bekleidet. Er weist nach, wie die Mäanderlinie das Ntemengeflecht als Band


Grenzboten II. 187K. 57
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136034"/>
          <p xml:id="ID_1506" prev="#ID_1505"> Paropamisus. Die Schmiedekunst, die Metallarbeit erschien aber den Völkern<lb/>
selbst als etwas so Wunderbares, daß sie dieselbe den Göttern zuschrieben;<lb/>
gewöhnlich ist es die im Feuer waltende Gotteskraft, naturgemäß, da diese<lb/>
Kunst an das Feuer geknüpft ist. Aus der Gegend zwischen Ural und Altai<lb/>
wurde noch zu Herodot's Zeit die Metallausbeute durch Karawanen zu den<lb/>
Griechen gebracht, und Kolchos, das Ziel der Argonauten, lockte diese durch<lb/>
das goldene Vließ. Semiten und Arier aber besaßen Bronze und Eisen<lb/>
und waren mit der Metallbereitung vertraut, als sie sich zu besondern Völkern<lb/>
schieden. In der Vorzeit waren die Menschen weit mehr als im historischen<lb/>
Alterthum auf der Wanderung; sie waren noch nicht seßhaft, sie zogen umher,<lb/>
bis sie die ihnen zusagende Stätte fanden, und was immer ein Land für die<lb/>
Cultur Förderndes, besondere Culturformen Bedingendes bieten mochte, es<lb/>
mußte vom Menschengeist ergriffen, aufgeschlossen und verwerthet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1507"> Nun im Besitz des Metalles ist der Mensch nicht mehr an die Natur¬<lb/>
form des Steins, des Horns und Knochens gebunden, nun schafft er selber<lb/>
seine Form für den Erzguß und läßt das flüssige Metall sie ausfüllen, und<lb/>
symmetrisch schwungvolle Linien begegnen uns bei Schwertgriffen und Ringen<lb/>
wie bei Gefäßen. Parallellinien in einfachem Zug wie in Wellen und Zickzack<lb/>
aufgelöst oder entfaltet dienen zur Verzierung; die Spirale, die in weiteren<lb/>
Ringen den Mittelpunkt umkreist, wird beliebt; vertikale und horizontale<lb/>
Richtungen werden betont, Kreise mit angedeuteten Centrum, Dreiecke, Kreuze<lb/>
verzieren die Flächen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1508"> Wie die Sprache aus 400 Wurzeln ihre 40000 Wörter bildet und diese<lb/>
durch Beugung verändert, wie die Natur bei aller Formenfülle doch mit ihren<lb/>
Motiven sparsam erscheint und ihre Grundformen in stetiger Wiederholung<lb/>
nach den Daseinsbedingungen der Geschöpfe leise und allmählich gestaltet,<lb/>
hier verkürzend, dort verlängernd, hier etwas entfaltend, was dort angelegt<lb/>
bleibt oder abgeworfen wird, so hat auch die Menschheit in der Kunst urälteste<lb/>
Ueberlieferungen bewahrt, Typen die immer wieder auftauchen und durch die<lb/>
mannichfaltigsten Umgestaltungen wie ein musikalisches Thema durch die<lb/>
Variationen hindurchschimmern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1509" next="#ID_1510"> Semper hat die Urkunst in der textilen Kunst erkannt, unter welcher er<lb/>
alles Binden, Flechten, Weben, Sticken begreift. Von hier haben alle andern<lb/>
Künste, die Töpferei nicht ausgenommen, ihre Typen und Symbole entlehnt,<lb/>
während sie selbst ganz selbständig schöpferisch erscheint und ihre Typen aus<lb/>
sich herausbildet oder von der Natur entnimmt. Er weist darauf hin daß<lb/>
in der Sprache die Ausdrücke Band, Gurt, Kranz, Futter, Bekleidung, Span¬<lb/>
nung, Decke, wie sie beim Holzarbeiter oder in der Baukunst vorkommen,<lb/>
von dem Geflecht oder Gewebe entlehnt sind, mit welchem der Mensch sich<lb/>
bekleidet. Er weist nach, wie die Mäanderlinie das Ntemengeflecht als Band</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 187K. 57</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] Paropamisus. Die Schmiedekunst, die Metallarbeit erschien aber den Völkern selbst als etwas so Wunderbares, daß sie dieselbe den Göttern zuschrieben; gewöhnlich ist es die im Feuer waltende Gotteskraft, naturgemäß, da diese Kunst an das Feuer geknüpft ist. Aus der Gegend zwischen Ural und Altai wurde noch zu Herodot's Zeit die Metallausbeute durch Karawanen zu den Griechen gebracht, und Kolchos, das Ziel der Argonauten, lockte diese durch das goldene Vließ. Semiten und Arier aber besaßen Bronze und Eisen und waren mit der Metallbereitung vertraut, als sie sich zu besondern Völkern schieden. In der Vorzeit waren die Menschen weit mehr als im historischen Alterthum auf der Wanderung; sie waren noch nicht seßhaft, sie zogen umher, bis sie die ihnen zusagende Stätte fanden, und was immer ein Land für die Cultur Förderndes, besondere Culturformen Bedingendes bieten mochte, es mußte vom Menschengeist ergriffen, aufgeschlossen und verwerthet werden. Nun im Besitz des Metalles ist der Mensch nicht mehr an die Natur¬ form des Steins, des Horns und Knochens gebunden, nun schafft er selber seine Form für den Erzguß und läßt das flüssige Metall sie ausfüllen, und symmetrisch schwungvolle Linien begegnen uns bei Schwertgriffen und Ringen wie bei Gefäßen. Parallellinien in einfachem Zug wie in Wellen und Zickzack aufgelöst oder entfaltet dienen zur Verzierung; die Spirale, die in weiteren Ringen den Mittelpunkt umkreist, wird beliebt; vertikale und horizontale Richtungen werden betont, Kreise mit angedeuteten Centrum, Dreiecke, Kreuze verzieren die Flächen. Wie die Sprache aus 400 Wurzeln ihre 40000 Wörter bildet und diese durch Beugung verändert, wie die Natur bei aller Formenfülle doch mit ihren Motiven sparsam erscheint und ihre Grundformen in stetiger Wiederholung nach den Daseinsbedingungen der Geschöpfe leise und allmählich gestaltet, hier verkürzend, dort verlängernd, hier etwas entfaltend, was dort angelegt bleibt oder abgeworfen wird, so hat auch die Menschheit in der Kunst urälteste Ueberlieferungen bewahrt, Typen die immer wieder auftauchen und durch die mannichfaltigsten Umgestaltungen wie ein musikalisches Thema durch die Variationen hindurchschimmern. Semper hat die Urkunst in der textilen Kunst erkannt, unter welcher er alles Binden, Flechten, Weben, Sticken begreift. Von hier haben alle andern Künste, die Töpferei nicht ausgenommen, ihre Typen und Symbole entlehnt, während sie selbst ganz selbständig schöpferisch erscheint und ihre Typen aus sich herausbildet oder von der Natur entnimmt. Er weist darauf hin daß in der Sprache die Ausdrücke Band, Gurt, Kranz, Futter, Bekleidung, Span¬ nung, Decke, wie sie beim Holzarbeiter oder in der Baukunst vorkommen, von dem Geflecht oder Gewebe entlehnt sind, mit welchem der Mensch sich bekleidet. Er weist nach, wie die Mäanderlinie das Ntemengeflecht als Band Grenzboten II. 187K. 57

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/453>, abgerufen am 27.07.2024.