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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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mühsam abgerichtet von Jugend auf, um den Dienst eines Rades im Räder¬
werk des bürgerlichen Lebens, oft genug nur den einer Spindel oder Schraube
zu vollziehen. Den Verlust der natürlichen Freiheit, wie sie der Wilde ge¬
nießt, fühlen wir nie, weil man nicht verlieren kann -- was man nicht be¬
sessen hat." Oder wir besaßen sie im Paradies der Kindheit, ehe die Schule
anging. Oder ein Rousseau fühlt den Verlust und sehnt sich nach dem
Naturzustande. Und halb im Ernst, halb im Scherz stimmt Goethe in diesen
Ruf ein:


Nichts Ganzes habt ihr allzusammt!
Habt eures Ursprungs vergessen,
Euch zu Sklaven versessen,
Euch in Häuser gemauert,
Euch in Sitten vertrauert,
Kennt die goldenen Zeiten
Nur als Märchen, von weiten!

Den Ersatz bietet uns die geistige Freiheit, die wir in Ideen finden, die
Erhebung in das Allgemeinmenschliche, welche Kunst und Wissenschaft uns
gewähren, die Liebe, der Aufschwung zum Ewigen und Unendlichen.

Daß auch Aegypten eine Steinzeit hatte, ebenso das semitische Alterthum,
dafür zeugt die religiöse Sitte, wenn für die Beschneidung das urthümliche
Secirmesser beibehalten wird. So schreibt auch der Chinese das Beil mit dem
Schriftzug des Steins. Eine neue Epoche aber wird durch den Gebrauch des
Metalls bezeichnet, und zwar sind es die Schneidewerkzeuge, auf die es hier
ankommt, ob sie von Stein, von Erz, von Eisen sind; andere Geräthe hat
man auch in der Eisenzeit aus Stein und Erz, und durch den Handel kommt
einzelnes Eisenwerk zu Stämmen, die für sich noch das Metall nicht zu gewinnen
wissen. Das Kupfer findet sich häufig gediegen und ist leicht aus seiner
Vererzung auszuscheiden; ein Zusatz von Zinn gibt ihm größere Härte und
macht es zur Bronze. Die Eisen- und Stahlbereitung bietet größere Schwierig¬
keiten, die Ueberwindung derselben aber auch volleren Gewinn. Das Eisen
lag zuerst in Meteorsteinen vor; dafür spricht das griechische Wort Meros,
das es an die Gestirne, Mera, knüpft, so wie das Aegyptische davep" das
vom Himmel Herabgefallene bedeutet. Schmiedekunst und Weberei treffen wir
überall bei den Turaniern. Damit hängt denn der Uebergang vom Jägerleben
zur Viehzucht, zum Hirtenthum und zum Ackerbau zusammen. In turanischen
Gräbern der Urzeit aber findet sich bereits die Bronze in der Mischung, welche
10-1S"/<> Zinn zum Kupfer setzt, und da diese nun die gewöhnliche ist, so
scheint sie von Turaniern ausgegangen und von ihnen aus die Bronze verbreitet
worden zu sein. Zinn und Kupfer mußten beide häufig sein, wo die Bronze
erfunden werden sollte; das weist uns aus die Gegenden des Kaukasus und


mühsam abgerichtet von Jugend auf, um den Dienst eines Rades im Räder¬
werk des bürgerlichen Lebens, oft genug nur den einer Spindel oder Schraube
zu vollziehen. Den Verlust der natürlichen Freiheit, wie sie der Wilde ge¬
nießt, fühlen wir nie, weil man nicht verlieren kann — was man nicht be¬
sessen hat." Oder wir besaßen sie im Paradies der Kindheit, ehe die Schule
anging. Oder ein Rousseau fühlt den Verlust und sehnt sich nach dem
Naturzustande. Und halb im Ernst, halb im Scherz stimmt Goethe in diesen
Ruf ein:


Nichts Ganzes habt ihr allzusammt!
Habt eures Ursprungs vergessen,
Euch zu Sklaven versessen,
Euch in Häuser gemauert,
Euch in Sitten vertrauert,
Kennt die goldenen Zeiten
Nur als Märchen, von weiten!

Den Ersatz bietet uns die geistige Freiheit, die wir in Ideen finden, die
Erhebung in das Allgemeinmenschliche, welche Kunst und Wissenschaft uns
gewähren, die Liebe, der Aufschwung zum Ewigen und Unendlichen.

Daß auch Aegypten eine Steinzeit hatte, ebenso das semitische Alterthum,
dafür zeugt die religiöse Sitte, wenn für die Beschneidung das urthümliche
Secirmesser beibehalten wird. So schreibt auch der Chinese das Beil mit dem
Schriftzug des Steins. Eine neue Epoche aber wird durch den Gebrauch des
Metalls bezeichnet, und zwar sind es die Schneidewerkzeuge, auf die es hier
ankommt, ob sie von Stein, von Erz, von Eisen sind; andere Geräthe hat
man auch in der Eisenzeit aus Stein und Erz, und durch den Handel kommt
einzelnes Eisenwerk zu Stämmen, die für sich noch das Metall nicht zu gewinnen
wissen. Das Kupfer findet sich häufig gediegen und ist leicht aus seiner
Vererzung auszuscheiden; ein Zusatz von Zinn gibt ihm größere Härte und
macht es zur Bronze. Die Eisen- und Stahlbereitung bietet größere Schwierig¬
keiten, die Ueberwindung derselben aber auch volleren Gewinn. Das Eisen
lag zuerst in Meteorsteinen vor; dafür spricht das griechische Wort Meros,
das es an die Gestirne, Mera, knüpft, so wie das Aegyptische davep« das
vom Himmel Herabgefallene bedeutet. Schmiedekunst und Weberei treffen wir
überall bei den Turaniern. Damit hängt denn der Uebergang vom Jägerleben
zur Viehzucht, zum Hirtenthum und zum Ackerbau zusammen. In turanischen
Gräbern der Urzeit aber findet sich bereits die Bronze in der Mischung, welche
10-1S"/<> Zinn zum Kupfer setzt, und da diese nun die gewöhnliche ist, so
scheint sie von Turaniern ausgegangen und von ihnen aus die Bronze verbreitet
worden zu sein. Zinn und Kupfer mußten beide häufig sein, wo die Bronze
erfunden werden sollte; das weist uns aus die Gegenden des Kaukasus und


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[0452] mühsam abgerichtet von Jugend auf, um den Dienst eines Rades im Räder¬ werk des bürgerlichen Lebens, oft genug nur den einer Spindel oder Schraube zu vollziehen. Den Verlust der natürlichen Freiheit, wie sie der Wilde ge¬ nießt, fühlen wir nie, weil man nicht verlieren kann — was man nicht be¬ sessen hat." Oder wir besaßen sie im Paradies der Kindheit, ehe die Schule anging. Oder ein Rousseau fühlt den Verlust und sehnt sich nach dem Naturzustande. Und halb im Ernst, halb im Scherz stimmt Goethe in diesen Ruf ein: Nichts Ganzes habt ihr allzusammt! Habt eures Ursprungs vergessen, Euch zu Sklaven versessen, Euch in Häuser gemauert, Euch in Sitten vertrauert, Kennt die goldenen Zeiten Nur als Märchen, von weiten! Den Ersatz bietet uns die geistige Freiheit, die wir in Ideen finden, die Erhebung in das Allgemeinmenschliche, welche Kunst und Wissenschaft uns gewähren, die Liebe, der Aufschwung zum Ewigen und Unendlichen. Daß auch Aegypten eine Steinzeit hatte, ebenso das semitische Alterthum, dafür zeugt die religiöse Sitte, wenn für die Beschneidung das urthümliche Secirmesser beibehalten wird. So schreibt auch der Chinese das Beil mit dem Schriftzug des Steins. Eine neue Epoche aber wird durch den Gebrauch des Metalls bezeichnet, und zwar sind es die Schneidewerkzeuge, auf die es hier ankommt, ob sie von Stein, von Erz, von Eisen sind; andere Geräthe hat man auch in der Eisenzeit aus Stein und Erz, und durch den Handel kommt einzelnes Eisenwerk zu Stämmen, die für sich noch das Metall nicht zu gewinnen wissen. Das Kupfer findet sich häufig gediegen und ist leicht aus seiner Vererzung auszuscheiden; ein Zusatz von Zinn gibt ihm größere Härte und macht es zur Bronze. Die Eisen- und Stahlbereitung bietet größere Schwierig¬ keiten, die Ueberwindung derselben aber auch volleren Gewinn. Das Eisen lag zuerst in Meteorsteinen vor; dafür spricht das griechische Wort Meros, das es an die Gestirne, Mera, knüpft, so wie das Aegyptische davep« das vom Himmel Herabgefallene bedeutet. Schmiedekunst und Weberei treffen wir überall bei den Turaniern. Damit hängt denn der Uebergang vom Jägerleben zur Viehzucht, zum Hirtenthum und zum Ackerbau zusammen. In turanischen Gräbern der Urzeit aber findet sich bereits die Bronze in der Mischung, welche 10-1S"/<> Zinn zum Kupfer setzt, und da diese nun die gewöhnliche ist, so scheint sie von Turaniern ausgegangen und von ihnen aus die Bronze verbreitet worden zu sein. Zinn und Kupfer mußten beide häufig sein, wo die Bronze erfunden werden sollte; das weist uns aus die Gegenden des Kaukasus und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/452>, abgerufen am 27.11.2024.