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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Organe wieder zu belehren." Es ist ja der Lebenskeim, der in unbewußter
Thätigkeit die Organe zum Ausdruck seiner Wesenheit heranbildet, seine
Triebe in ihnen zu Tage fördert, und dadurch kann er mittels ihrer seiner
selbst inne werden. Die Menschenseele hat unbewußt den Leib gestaltet, nun
richtet er sich auf, und gewinnt die Hände frei, und frei ertönt die Stimme
aus der Brust und frei blickt das Auge um sich und auswärts; so wird er
durch seine Organe belehrt, und er belehrt sie wieder, wenn er nun den Laut
artikulirt zur Sprache, wenn er nun den Blick forschend in die Welt dringen
läßt, wenn nun die Hand nach idealen Anschauungen und Phantasien Neues
schafft, den Stein, die Keule zur Waffe macht, um die eigene Kraft zu
stärken, ein Haus baut, Werkzeuge bereitet, Künstlerisches bildet. Die auf¬
rechte Stellung ist das Mittel für das geistige Leben; sie ist der Anlage nach
da, sie bietet die Möglichkeit zu seiner Verwirklichung und gibt den äußeren
Anstoß dazu. So sind Boden, Regen, Sonne Bedingungen für die Rose,
aber die blüht doch nur, weil sie im Kerne ideal vorhanden war. Neben der
Gunst der Umstände ist es "die große Meisterin, die Noth", wie Hölderlin
sie so prächtig bezeichnet, welche die schlummernden Vermögen zur That er¬
weckt und die Wesen antreibt, durch Anstrengung sich zu entwickeln. Der
Mensch greift zum Stein, um sich zu vertheidigen, und die Pertoden des vor¬
geschichtlichen Weltalters charakterisier, sich nach dem Material, das er zu
Schneidewerkzeugen und Waffen verwerthet, als Stein- Erz- und Eisenzeit.

Es steht jetzt erfahrungswissenschaftlich fest, daß der Mensch schon in
Wäldern und Höhlen lebte, als der Genoß von Thieren wie Mammuth und
Höhlenbär, die nun ausgestorben sind, daß er sie jagte, durch Muth und
List überwältigte, in ihr Fell sich hüllte, und ihre Markknochen an rechter
Stelle mit sicher treffendem Schlag zu öffnen verstand. Aus den Splittern
von Knochen und Feuersteinen bildete er sich Nadeln, Pfeil- und Speer¬
spitzen, und er lernte die Steine so zu beHauen, daß sie in einen Stiel einge¬
klemmt oder eingebunden mit Bast oder Sehnen ihm als Hammer oder Beil
dienten. Mit der rohesten Bearbeitung tritt der ästhetische Sinn für Sym¬
metrie hervor. Der Mensch lebt in der Familie, in der hilfreichen Gemein¬
samkeit, an deren Spitze der Vater, der einsichtige starke Führer steht, und es
beginnt eine Theilung der Arbeit nach Altern und Geschlechtern. Die Funde
von Boucher de Perthes im Sommethal bei Abbeville haben durch die Unter¬
suchungen belgischer und schwäbischer Höhlen ihre Bestätigung und Erwei¬
terung erhalten; er selbst hat praktisch dargethan, wie mit einem Kiesel in
einem Holzstiel der Feuersteinknollen sich zu jenen Gerüchen bearbeiten läßt,
und fügt hinzu: der Erste, welcher einen Stein gegen einen andern schlug, um
ihm eine Form zu geben, that zuerst den ersten Meiselhieb für die Monumente


Organe wieder zu belehren." Es ist ja der Lebenskeim, der in unbewußter
Thätigkeit die Organe zum Ausdruck seiner Wesenheit heranbildet, seine
Triebe in ihnen zu Tage fördert, und dadurch kann er mittels ihrer seiner
selbst inne werden. Die Menschenseele hat unbewußt den Leib gestaltet, nun
richtet er sich auf, und gewinnt die Hände frei, und frei ertönt die Stimme
aus der Brust und frei blickt das Auge um sich und auswärts; so wird er
durch seine Organe belehrt, und er belehrt sie wieder, wenn er nun den Laut
artikulirt zur Sprache, wenn er nun den Blick forschend in die Welt dringen
läßt, wenn nun die Hand nach idealen Anschauungen und Phantasien Neues
schafft, den Stein, die Keule zur Waffe macht, um die eigene Kraft zu
stärken, ein Haus baut, Werkzeuge bereitet, Künstlerisches bildet. Die auf¬
rechte Stellung ist das Mittel für das geistige Leben; sie ist der Anlage nach
da, sie bietet die Möglichkeit zu seiner Verwirklichung und gibt den äußeren
Anstoß dazu. So sind Boden, Regen, Sonne Bedingungen für die Rose,
aber die blüht doch nur, weil sie im Kerne ideal vorhanden war. Neben der
Gunst der Umstände ist es „die große Meisterin, die Noth", wie Hölderlin
sie so prächtig bezeichnet, welche die schlummernden Vermögen zur That er¬
weckt und die Wesen antreibt, durch Anstrengung sich zu entwickeln. Der
Mensch greift zum Stein, um sich zu vertheidigen, und die Pertoden des vor¬
geschichtlichen Weltalters charakterisier, sich nach dem Material, das er zu
Schneidewerkzeugen und Waffen verwerthet, als Stein- Erz- und Eisenzeit.

Es steht jetzt erfahrungswissenschaftlich fest, daß der Mensch schon in
Wäldern und Höhlen lebte, als der Genoß von Thieren wie Mammuth und
Höhlenbär, die nun ausgestorben sind, daß er sie jagte, durch Muth und
List überwältigte, in ihr Fell sich hüllte, und ihre Markknochen an rechter
Stelle mit sicher treffendem Schlag zu öffnen verstand. Aus den Splittern
von Knochen und Feuersteinen bildete er sich Nadeln, Pfeil- und Speer¬
spitzen, und er lernte die Steine so zu beHauen, daß sie in einen Stiel einge¬
klemmt oder eingebunden mit Bast oder Sehnen ihm als Hammer oder Beil
dienten. Mit der rohesten Bearbeitung tritt der ästhetische Sinn für Sym¬
metrie hervor. Der Mensch lebt in der Familie, in der hilfreichen Gemein¬
samkeit, an deren Spitze der Vater, der einsichtige starke Führer steht, und es
beginnt eine Theilung der Arbeit nach Altern und Geschlechtern. Die Funde
von Boucher de Perthes im Sommethal bei Abbeville haben durch die Unter¬
suchungen belgischer und schwäbischer Höhlen ihre Bestätigung und Erwei¬
terung erhalten; er selbst hat praktisch dargethan, wie mit einem Kiesel in
einem Holzstiel der Feuersteinknollen sich zu jenen Gerüchen bearbeiten läßt,
und fügt hinzu: der Erste, welcher einen Stein gegen einen andern schlug, um
ihm eine Form zu geben, that zuerst den ersten Meiselhieb für die Monumente


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[0448] Organe wieder zu belehren." Es ist ja der Lebenskeim, der in unbewußter Thätigkeit die Organe zum Ausdruck seiner Wesenheit heranbildet, seine Triebe in ihnen zu Tage fördert, und dadurch kann er mittels ihrer seiner selbst inne werden. Die Menschenseele hat unbewußt den Leib gestaltet, nun richtet er sich auf, und gewinnt die Hände frei, und frei ertönt die Stimme aus der Brust und frei blickt das Auge um sich und auswärts; so wird er durch seine Organe belehrt, und er belehrt sie wieder, wenn er nun den Laut artikulirt zur Sprache, wenn er nun den Blick forschend in die Welt dringen läßt, wenn nun die Hand nach idealen Anschauungen und Phantasien Neues schafft, den Stein, die Keule zur Waffe macht, um die eigene Kraft zu stärken, ein Haus baut, Werkzeuge bereitet, Künstlerisches bildet. Die auf¬ rechte Stellung ist das Mittel für das geistige Leben; sie ist der Anlage nach da, sie bietet die Möglichkeit zu seiner Verwirklichung und gibt den äußeren Anstoß dazu. So sind Boden, Regen, Sonne Bedingungen für die Rose, aber die blüht doch nur, weil sie im Kerne ideal vorhanden war. Neben der Gunst der Umstände ist es „die große Meisterin, die Noth", wie Hölderlin sie so prächtig bezeichnet, welche die schlummernden Vermögen zur That er¬ weckt und die Wesen antreibt, durch Anstrengung sich zu entwickeln. Der Mensch greift zum Stein, um sich zu vertheidigen, und die Pertoden des vor¬ geschichtlichen Weltalters charakterisier, sich nach dem Material, das er zu Schneidewerkzeugen und Waffen verwerthet, als Stein- Erz- und Eisenzeit. Es steht jetzt erfahrungswissenschaftlich fest, daß der Mensch schon in Wäldern und Höhlen lebte, als der Genoß von Thieren wie Mammuth und Höhlenbär, die nun ausgestorben sind, daß er sie jagte, durch Muth und List überwältigte, in ihr Fell sich hüllte, und ihre Markknochen an rechter Stelle mit sicher treffendem Schlag zu öffnen verstand. Aus den Splittern von Knochen und Feuersteinen bildete er sich Nadeln, Pfeil- und Speer¬ spitzen, und er lernte die Steine so zu beHauen, daß sie in einen Stiel einge¬ klemmt oder eingebunden mit Bast oder Sehnen ihm als Hammer oder Beil dienten. Mit der rohesten Bearbeitung tritt der ästhetische Sinn für Sym¬ metrie hervor. Der Mensch lebt in der Familie, in der hilfreichen Gemein¬ samkeit, an deren Spitze der Vater, der einsichtige starke Führer steht, und es beginnt eine Theilung der Arbeit nach Altern und Geschlechtern. Die Funde von Boucher de Perthes im Sommethal bei Abbeville haben durch die Unter¬ suchungen belgischer und schwäbischer Höhlen ihre Bestätigung und Erwei¬ terung erhalten; er selbst hat praktisch dargethan, wie mit einem Kiesel in einem Holzstiel der Feuersteinknollen sich zu jenen Gerüchen bearbeiten läßt, und fügt hinzu: der Erste, welcher einen Stein gegen einen andern schlug, um ihm eine Form zu geben, that zuerst den ersten Meiselhieb für die Monumente

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/448>, abgerufen am 24.11.2024.