Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.wird, der nun den Begriff verwirklicht, den Organismus des selbstbewußten Ob es uranfänglich eine einzige Zelle war, aus welcher alles Lebendige Der Mensch erhebt sich über die Natur, indem er zugleich als Natur¬ wird, der nun den Begriff verwirklicht, den Organismus des selbstbewußten Ob es uranfänglich eine einzige Zelle war, aus welcher alles Lebendige Der Mensch erhebt sich über die Natur, indem er zugleich als Natur¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136028"/> <p xml:id="ID_1491" prev="#ID_1490"> wird, der nun den Begriff verwirklicht, den Organismus des selbstbewußten<lb/> Geistes darzustellen, der nun für viele Jahrtausende seinen Typus bewahrt. So<lb/> haben wir nichts Unnatürliches, und kein anderes Wunder als das immerdar<lb/> sich vollziehende, bei der Entstehung jedes Menschen gegenwärtige, daß die<lb/> Eltern den natürlichen und gemüthlichen Stoff bieten für die Gestaltung<lb/> einer neuen Lebensidee, eines eigenthümlichen Gottesgedankens.</p><lb/> <p xml:id="ID_1492"> Ob es uranfänglich eine einzige Zelle war, aus welcher alles Lebendige<lb/> auf Erden hervorgegangen, ob viele mit verschiedenen Richtungen und Bil¬<lb/> dungsgesetzen, das vermögen wir heute nicht zu begründen; nur daß die An¬<lb/> fänge einfach sein mußten um sich erhalten zu können, nur daß die vielglie-<lb/> derigen Organismen andere einfachere zur Voraussetzung haben, die ihnen die<lb/> Lebensbedingungen boten, das können wir sagen, und können uns freuen,<lb/> wenn die Naturforschung immer klarer die Verwandtschaften der Geschlechter,<lb/> die zusammenhängende Kette des Emporgangs nachweist, auch wenn die<lb/> Phantasie des Menschen hier noch oft ihr eigenes Spiel treibt neben der<lb/> Urphantasie, der Schöpferin der Typen und des Weltplans.</p><lb/> <p xml:id="ID_1493" next="#ID_1494"> Der Mensch erhebt sich über die Natur, indem er zugleich als Natur¬<lb/> wesen innerhalb ihrer stehen bleibt, in die sittliche Weltordnung, als deren<lb/> Glied er durch die Ideen des Wahren, Guten, Schönen, durch Staat und<lb/> Religion, durch Sprache, Kunst und Wissenschaft sich von den Thieren unter¬<lb/> scheidet; aber langsam muß er diese geistigen Güter in sich selbst verarbeiten,<lb/> denn dem Geist eignet nur, was er sich selbst zum Bewußtsein bringt. Selbst¬<lb/> vervollkommnung ist des Menschen Bestimmung; das Ziel der Entwickelung,<lb/> das Bildungsgesetz trägt er in sich wie die Eichel den Baum, wie das El<lb/> den Adler, und in seinem Bewußtsein erfaßt er als die Idee das Vollkom¬<lb/> mene, das Göttliche und Ewige; er ahnt es; was es sei, das zu erkennen,<lb/> ist eine Lebensaufgabe des ganzen Geschlechts. Der Menschenleib aber war<lb/> als Organismus des Geistes für diesen bestimmt; im ersten Menschenkeim,<lb/> der im Schooße der Thierheit aufwuchs, war der aufrechte Gang angelegt.<lb/> Denn wie wol wir uns aufrichten und aufrecht behaupten durch den Willen,<lb/> die Möglichkeit dies zu thun muß vorhanden sein; ja die Einrichtung des<lb/> Leibes kommt dem Geist anregend entgegen. Unser Fuß mit Ballen und<lb/> Fersenbein, die Kniegelenke, die Lenden sind für den Stand gebaut, und<lb/> stehen wir, so ruht der Kopf beweglich auf dem Halswirbel, ohne daß es uns<lb/> Mühe macht ihn zu tragen; das ist sogleich der Fall, wir ermüden von seiner<lb/> Last sowie wir nach Art der Thiere aus allen Vieren gehen oder kriechen;<lb/> auch die Elbogen sind dafür nicht eingerichtet. Goethe schreibt in seinem<lb/> letzten Brief, an dem Tag seines Erkrankens zum Tode, an Wilhelm von<lb/> Humboldt: „Die Thiere werden durch ihre Organe belehrt, sagten die Alten;<lb/> ich setze hinzu-, die Menschen gleichfalls; sie haben jedoch den Vorzug ihr!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
wird, der nun den Begriff verwirklicht, den Organismus des selbstbewußten
Geistes darzustellen, der nun für viele Jahrtausende seinen Typus bewahrt. So
haben wir nichts Unnatürliches, und kein anderes Wunder als das immerdar
sich vollziehende, bei der Entstehung jedes Menschen gegenwärtige, daß die
Eltern den natürlichen und gemüthlichen Stoff bieten für die Gestaltung
einer neuen Lebensidee, eines eigenthümlichen Gottesgedankens.
Ob es uranfänglich eine einzige Zelle war, aus welcher alles Lebendige
auf Erden hervorgegangen, ob viele mit verschiedenen Richtungen und Bil¬
dungsgesetzen, das vermögen wir heute nicht zu begründen; nur daß die An¬
fänge einfach sein mußten um sich erhalten zu können, nur daß die vielglie-
derigen Organismen andere einfachere zur Voraussetzung haben, die ihnen die
Lebensbedingungen boten, das können wir sagen, und können uns freuen,
wenn die Naturforschung immer klarer die Verwandtschaften der Geschlechter,
die zusammenhängende Kette des Emporgangs nachweist, auch wenn die
Phantasie des Menschen hier noch oft ihr eigenes Spiel treibt neben der
Urphantasie, der Schöpferin der Typen und des Weltplans.
Der Mensch erhebt sich über die Natur, indem er zugleich als Natur¬
wesen innerhalb ihrer stehen bleibt, in die sittliche Weltordnung, als deren
Glied er durch die Ideen des Wahren, Guten, Schönen, durch Staat und
Religion, durch Sprache, Kunst und Wissenschaft sich von den Thieren unter¬
scheidet; aber langsam muß er diese geistigen Güter in sich selbst verarbeiten,
denn dem Geist eignet nur, was er sich selbst zum Bewußtsein bringt. Selbst¬
vervollkommnung ist des Menschen Bestimmung; das Ziel der Entwickelung,
das Bildungsgesetz trägt er in sich wie die Eichel den Baum, wie das El
den Adler, und in seinem Bewußtsein erfaßt er als die Idee das Vollkom¬
mene, das Göttliche und Ewige; er ahnt es; was es sei, das zu erkennen,
ist eine Lebensaufgabe des ganzen Geschlechts. Der Menschenleib aber war
als Organismus des Geistes für diesen bestimmt; im ersten Menschenkeim,
der im Schooße der Thierheit aufwuchs, war der aufrechte Gang angelegt.
Denn wie wol wir uns aufrichten und aufrecht behaupten durch den Willen,
die Möglichkeit dies zu thun muß vorhanden sein; ja die Einrichtung des
Leibes kommt dem Geist anregend entgegen. Unser Fuß mit Ballen und
Fersenbein, die Kniegelenke, die Lenden sind für den Stand gebaut, und
stehen wir, so ruht der Kopf beweglich auf dem Halswirbel, ohne daß es uns
Mühe macht ihn zu tragen; das ist sogleich der Fall, wir ermüden von seiner
Last sowie wir nach Art der Thiere aus allen Vieren gehen oder kriechen;
auch die Elbogen sind dafür nicht eingerichtet. Goethe schreibt in seinem
letzten Brief, an dem Tag seines Erkrankens zum Tode, an Wilhelm von
Humboldt: „Die Thiere werden durch ihre Organe belehrt, sagten die Alten;
ich setze hinzu-, die Menschen gleichfalls; sie haben jedoch den Vorzug ihr!
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