Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Organ zur Würdigung des Schönen in der Dichtkunst haben, hört man
hastige Schritte auf der Treppe, und einen Augenblick später schießt ein Mann
in mittleren Jahren plötzlich herein, ergreift den Obersten bei seinen spärlichen
Haaren und stößt sein vorgebeugtes Haupt drei oder viermal mit Gewalt
auf den Tisch nieder. Nachdem er sich der Heftigkeit seiner Aufregung auf
diese Weise entledigt hat, hält er den Kopf des Redacteurs mit der einen
Hand nieder und schüttelt ihn gelegentlich bei einer Stelle seiner Rede, die
er betont haben will; mit der andern Hand aber ergreift er die Zeitung,
indem er sagt: "Sie schändlicher alter ruchloser Kerl! Sie ekelhafter Vam-
pyr! Sie grauköpfiger alter Schuft! Was soll das heißen, daß Sie in
dieses Ihr Blatt solchen Blödsinn über meinen verstorbenen Sohn setzen?
Was soll das heißen, daß Sie solche fürchterliche Gassenhauerwitze wie diese
abdrucken, Sie verkommner und verlotterter Dintenlecker -- Sie alberner
Federfuchser. Sie!

O begräbt mir mein Barthelchen draußen im Wald,
An ein wunderschön Fleckchen im Grund,
Wo die Hummel hinsummt und der Specht um ihn singt
Und die Krabbelwanz' hüpft in der Rund.
Und in Wintertagen, wo Schnee und wo Schlamm
Sein Bettchen bedeckt wie ein Tuch,
Fährt sein Bruder Artemas mit Schwesterchen Jane
Im Schlitten zu ihm auf Besuch.

Ich will Ihnen lehren, von Krabbelwanzen, die in der Runde hüpfen,
zu schwatzen. Ich will Sie über Schlamm unterrichten. Ich werde Ihren
verrückten alten Verstand über die Frage aufklären, ob Spechte singen. Was
wissen Sie denn von Artemas und Jane, Sie lumpiger Raubgesell, Sie ver¬
ächtlicher Schlächter der englischen Sprache! Mit 'nem Schlitten hinaus¬
gehen! Ich werde Sie in einem Leichenwagen hinaus befördern, bevor ich
fertig bin mit Ihnen, bedauernswürdiger Tollhäusler, der Sie sind." --
Bei jedem Satze giebt dieser grobe Besuch dem Kopfe des Redacteurs einen
neuen Stoß, daß er an den Tisch anprallt. Als diese Uebung beendet ist,
erklärt ihm Bangs die Sache und bittet zugleich in der demüthigsten Weise
um Entschuldigung, indem er zu gleicher Zeit seinem Peiniger Aussicht er¬
öffnet, Herrn Summer, der in wenigen Augenblicken erscheinen müsse, durch¬
zuhauen. -- "Die Verrätherei dieses Mannes", murmelt der Dichter dem
Factor zu, "ist geradezu schrecklich. Verlangte er nicht von mir, ich solle einen
Strahl von Poesie über Alltagsdinge fallen lassen? Wäre dieser Wunsch
mir nicht maßgebend gewesen, so würde es mir nicht eingefallen sein, von
Spechten und Wanzen zu reden. Der Mensch hatte etwas gegen meine in
der Runde hüpfenden Krabbelwanzen einzuwenden. Weiß denn der Pinsel


Grenzboten it 187K. 53

Organ zur Würdigung des Schönen in der Dichtkunst haben, hört man
hastige Schritte auf der Treppe, und einen Augenblick später schießt ein Mann
in mittleren Jahren plötzlich herein, ergreift den Obersten bei seinen spärlichen
Haaren und stößt sein vorgebeugtes Haupt drei oder viermal mit Gewalt
auf den Tisch nieder. Nachdem er sich der Heftigkeit seiner Aufregung auf
diese Weise entledigt hat, hält er den Kopf des Redacteurs mit der einen
Hand nieder und schüttelt ihn gelegentlich bei einer Stelle seiner Rede, die
er betont haben will; mit der andern Hand aber ergreift er die Zeitung,
indem er sagt: „Sie schändlicher alter ruchloser Kerl! Sie ekelhafter Vam-
pyr! Sie grauköpfiger alter Schuft! Was soll das heißen, daß Sie in
dieses Ihr Blatt solchen Blödsinn über meinen verstorbenen Sohn setzen?
Was soll das heißen, daß Sie solche fürchterliche Gassenhauerwitze wie diese
abdrucken, Sie verkommner und verlotterter Dintenlecker — Sie alberner
Federfuchser. Sie!

O begräbt mir mein Barthelchen draußen im Wald,
An ein wunderschön Fleckchen im Grund,
Wo die Hummel hinsummt und der Specht um ihn singt
Und die Krabbelwanz' hüpft in der Rund.
Und in Wintertagen, wo Schnee und wo Schlamm
Sein Bettchen bedeckt wie ein Tuch,
Fährt sein Bruder Artemas mit Schwesterchen Jane
Im Schlitten zu ihm auf Besuch.

Ich will Ihnen lehren, von Krabbelwanzen, die in der Runde hüpfen,
zu schwatzen. Ich will Sie über Schlamm unterrichten. Ich werde Ihren
verrückten alten Verstand über die Frage aufklären, ob Spechte singen. Was
wissen Sie denn von Artemas und Jane, Sie lumpiger Raubgesell, Sie ver¬
ächtlicher Schlächter der englischen Sprache! Mit 'nem Schlitten hinaus¬
gehen! Ich werde Sie in einem Leichenwagen hinaus befördern, bevor ich
fertig bin mit Ihnen, bedauernswürdiger Tollhäusler, der Sie sind." —
Bei jedem Satze giebt dieser grobe Besuch dem Kopfe des Redacteurs einen
neuen Stoß, daß er an den Tisch anprallt. Als diese Uebung beendet ist,
erklärt ihm Bangs die Sache und bittet zugleich in der demüthigsten Weise
um Entschuldigung, indem er zu gleicher Zeit seinem Peiniger Aussicht er¬
öffnet, Herrn Summer, der in wenigen Augenblicken erscheinen müsse, durch¬
zuhauen. — „Die Verrätherei dieses Mannes", murmelt der Dichter dem
Factor zu, „ist geradezu schrecklich. Verlangte er nicht von mir, ich solle einen
Strahl von Poesie über Alltagsdinge fallen lassen? Wäre dieser Wunsch
mir nicht maßgebend gewesen, so würde es mir nicht eingefallen sein, von
Spechten und Wanzen zu reden. Der Mensch hatte etwas gegen meine in
der Runde hüpfenden Krabbelwanzen einzuwenden. Weiß denn der Pinsel


Grenzboten it 187K. 53
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136002"/>
          <p xml:id="ID_1405" prev="#ID_1404"> Organ zur Würdigung des Schönen in der Dichtkunst haben, hört man<lb/>
hastige Schritte auf der Treppe, und einen Augenblick später schießt ein Mann<lb/>
in mittleren Jahren plötzlich herein, ergreift den Obersten bei seinen spärlichen<lb/>
Haaren und stößt sein vorgebeugtes Haupt drei oder viermal mit Gewalt<lb/>
auf den Tisch nieder. Nachdem er sich der Heftigkeit seiner Aufregung auf<lb/>
diese Weise entledigt hat, hält er den Kopf des Redacteurs mit der einen<lb/>
Hand nieder und schüttelt ihn gelegentlich bei einer Stelle seiner Rede, die<lb/>
er betont haben will; mit der andern Hand aber ergreift er die Zeitung,<lb/>
indem er sagt: &#x201E;Sie schändlicher alter ruchloser Kerl! Sie ekelhafter Vam-<lb/>
pyr! Sie grauköpfiger alter Schuft! Was soll das heißen, daß Sie in<lb/>
dieses Ihr Blatt solchen Blödsinn über meinen verstorbenen Sohn setzen?<lb/>
Was soll das heißen, daß Sie solche fürchterliche Gassenhauerwitze wie diese<lb/>
abdrucken, Sie verkommner und verlotterter Dintenlecker &#x2014; Sie alberner<lb/>
Federfuchser. Sie!</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_10" type="poem">
            <l> O begräbt mir mein Barthelchen draußen im Wald,<lb/>
An ein wunderschön Fleckchen im Grund,<lb/>
Wo die Hummel hinsummt und der Specht um ihn singt<lb/>
Und die Krabbelwanz' hüpft in der Rund.<lb/>
Und in Wintertagen, wo Schnee und wo Schlamm<lb/>
Sein Bettchen bedeckt wie ein Tuch,<lb/>
Fährt sein Bruder Artemas mit Schwesterchen Jane<lb/>
Im Schlitten zu ihm auf Besuch.<lb/></l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1406" next="#ID_1407"> Ich will Ihnen lehren, von Krabbelwanzen, die in der Runde hüpfen,<lb/>
zu schwatzen. Ich will Sie über Schlamm unterrichten. Ich werde Ihren<lb/>
verrückten alten Verstand über die Frage aufklären, ob Spechte singen. Was<lb/>
wissen Sie denn von Artemas und Jane, Sie lumpiger Raubgesell, Sie ver¬<lb/>
ächtlicher Schlächter der englischen Sprache! Mit 'nem Schlitten hinaus¬<lb/>
gehen! Ich werde Sie in einem Leichenwagen hinaus befördern, bevor ich<lb/>
fertig bin mit Ihnen, bedauernswürdiger Tollhäusler, der Sie sind." &#x2014;<lb/>
Bei jedem Satze giebt dieser grobe Besuch dem Kopfe des Redacteurs einen<lb/>
neuen Stoß, daß er an den Tisch anprallt. Als diese Uebung beendet ist,<lb/>
erklärt ihm Bangs die Sache und bittet zugleich in der demüthigsten Weise<lb/>
um Entschuldigung, indem er zu gleicher Zeit seinem Peiniger Aussicht er¬<lb/>
öffnet, Herrn Summer, der in wenigen Augenblicken erscheinen müsse, durch¬<lb/>
zuhauen. &#x2014; &#x201E;Die Verrätherei dieses Mannes", murmelt der Dichter dem<lb/>
Factor zu, &#x201E;ist geradezu schrecklich. Verlangte er nicht von mir, ich solle einen<lb/>
Strahl von Poesie über Alltagsdinge fallen lassen? Wäre dieser Wunsch<lb/>
mir nicht maßgebend gewesen, so würde es mir nicht eingefallen sein, von<lb/>
Spechten und Wanzen zu reden. Der Mensch hatte etwas gegen meine in<lb/>
der Runde hüpfenden Krabbelwanzen einzuwenden. Weiß denn der Pinsel</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten it 187K. 53</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] Organ zur Würdigung des Schönen in der Dichtkunst haben, hört man hastige Schritte auf der Treppe, und einen Augenblick später schießt ein Mann in mittleren Jahren plötzlich herein, ergreift den Obersten bei seinen spärlichen Haaren und stößt sein vorgebeugtes Haupt drei oder viermal mit Gewalt auf den Tisch nieder. Nachdem er sich der Heftigkeit seiner Aufregung auf diese Weise entledigt hat, hält er den Kopf des Redacteurs mit der einen Hand nieder und schüttelt ihn gelegentlich bei einer Stelle seiner Rede, die er betont haben will; mit der andern Hand aber ergreift er die Zeitung, indem er sagt: „Sie schändlicher alter ruchloser Kerl! Sie ekelhafter Vam- pyr! Sie grauköpfiger alter Schuft! Was soll das heißen, daß Sie in dieses Ihr Blatt solchen Blödsinn über meinen verstorbenen Sohn setzen? Was soll das heißen, daß Sie solche fürchterliche Gassenhauerwitze wie diese abdrucken, Sie verkommner und verlotterter Dintenlecker — Sie alberner Federfuchser. Sie! O begräbt mir mein Barthelchen draußen im Wald, An ein wunderschön Fleckchen im Grund, Wo die Hummel hinsummt und der Specht um ihn singt Und die Krabbelwanz' hüpft in der Rund. Und in Wintertagen, wo Schnee und wo Schlamm Sein Bettchen bedeckt wie ein Tuch, Fährt sein Bruder Artemas mit Schwesterchen Jane Im Schlitten zu ihm auf Besuch. Ich will Ihnen lehren, von Krabbelwanzen, die in der Runde hüpfen, zu schwatzen. Ich will Sie über Schlamm unterrichten. Ich werde Ihren verrückten alten Verstand über die Frage aufklären, ob Spechte singen. Was wissen Sie denn von Artemas und Jane, Sie lumpiger Raubgesell, Sie ver¬ ächtlicher Schlächter der englischen Sprache! Mit 'nem Schlitten hinaus¬ gehen! Ich werde Sie in einem Leichenwagen hinaus befördern, bevor ich fertig bin mit Ihnen, bedauernswürdiger Tollhäusler, der Sie sind." — Bei jedem Satze giebt dieser grobe Besuch dem Kopfe des Redacteurs einen neuen Stoß, daß er an den Tisch anprallt. Als diese Uebung beendet ist, erklärt ihm Bangs die Sache und bittet zugleich in der demüthigsten Weise um Entschuldigung, indem er zu gleicher Zeit seinem Peiniger Aussicht er¬ öffnet, Herrn Summer, der in wenigen Augenblicken erscheinen müsse, durch¬ zuhauen. — „Die Verrätherei dieses Mannes", murmelt der Dichter dem Factor zu, „ist geradezu schrecklich. Verlangte er nicht von mir, ich solle einen Strahl von Poesie über Alltagsdinge fallen lassen? Wäre dieser Wunsch mir nicht maßgebend gewesen, so würde es mir nicht eingefallen sein, von Spechten und Wanzen zu reden. Der Mensch hatte etwas gegen meine in der Runde hüpfenden Krabbelwanzen einzuwenden. Weiß denn der Pinsel Grenzboten it 187K. 53

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/421>, abgerufen am 27.11.2024.