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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Kuh dem Maß.

Die elementaren Ereignisse der letzten Wochen, die fast den ganzen Contt-
nent in Noth und Schrecken versetzten, haben hier nicht so unheilvolle Spuren
hinterlassen, wie drüben jenseits des Rheines. Doch hatten auch wir beklagens-
werthe Verheerungen durch Stürme und Wasserfluthen in Menge. Sämmt¬
liche kleinen Bergflüßchen, die Ill, die Feast, die Lauch, die Dotter, die Reusch
und wie sie alle heißen mögen, die in normalem Zustande die elsässtsche
Tiefebene zwischen Rhein und Vogesen zu einem so fruchtbaren Paradies¬
garten gestalten, waren über ihre Ufer getreten und hatten zum Theil Dämme
und Schleußen durchbrochen. Einzelne Ortschaften litten bedeutend von der
Wassernoth, und der Landbau hat allenthalben vielfache Störungen und Ein¬
bußen erlitten, die schwer zu ersetzen sind. Der elsässische Landmann und
Rebbauer sieht daher in diesem Jahre mit etwas sorgenvoller Miene dem
kommenden Frühjahr entgegen und berechnet schon jetzt seine Verluste bei
einer etwaigen, voraussichtlich nicht sehr günstigen Korn- und Weinernte.
Für das Elsaß ist eben die Landwirthschaft und der Weinbau und ihr Ge¬
deihen conäitiv Line; <ma non seiner glücklichen Existenz und der Zufriedenheit
seiner Bewohner. Das hat das vorige reiche Wein- und Obstjahr zur Genüge
bewiesen, das mit einem Schlage eine dem neuen System günstigere Wand¬
lung der Gemüther bei Hoch und Niedrig vollzogen hat, als dies selbst die
liberalsten und zuvorkommendsten Schritte der Regierung der Bevölkerung
gegenüber vermocht haben würden.

Auch die Industrie hat sich hier früher von ihrer derzeitigen Nieder¬
lage erholt, als in den übrigen Gauen des deutschen Vaterlandes -- wahr¬
scheinlich ein günstiger Rückschlag aus dem benachbarten Frankreich. Schon
im vorigen Jahre konnte man aus einigen unserer vorzüglichsten industriellen
Gegenden des Oberelsasses Stimmen hören, die auf Grund positiver That¬
sachen ein baldiges Wiederaufleben derselben in ihrer alten Blüthe constatirten.
Wenn dem Lande Gelegenheit geboten wird, in der bisherigen Weise sich
ruhig und friedlich weiter zu entwickeln, so ist sichere Hoffnung, daß in nicht
zu ferner Zeit die Regeneration auf allen Gebieten die schönsten Früchte
zeitigen, das Land und seine Bewohnerschaft das Weh und Leid der Annexion
für immer vergessen wird. Dazu gehört aber Ruhe nach Außen und
Zufriedenheit im Innern. Daß letztere nicht zu früh in die Gemüther ein¬
kehre, sondern durch gelegentliche hämische Bemerkungen ab und zu gestört
werde, dafür sorgt leider die französische Presse noch immer mit einem fast
beneidenswerthen Eifer.


Kuh dem Maß.

Die elementaren Ereignisse der letzten Wochen, die fast den ganzen Contt-
nent in Noth und Schrecken versetzten, haben hier nicht so unheilvolle Spuren
hinterlassen, wie drüben jenseits des Rheines. Doch hatten auch wir beklagens-
werthe Verheerungen durch Stürme und Wasserfluthen in Menge. Sämmt¬
liche kleinen Bergflüßchen, die Ill, die Feast, die Lauch, die Dotter, die Reusch
und wie sie alle heißen mögen, die in normalem Zustande die elsässtsche
Tiefebene zwischen Rhein und Vogesen zu einem so fruchtbaren Paradies¬
garten gestalten, waren über ihre Ufer getreten und hatten zum Theil Dämme
und Schleußen durchbrochen. Einzelne Ortschaften litten bedeutend von der
Wassernoth, und der Landbau hat allenthalben vielfache Störungen und Ein¬
bußen erlitten, die schwer zu ersetzen sind. Der elsässische Landmann und
Rebbauer sieht daher in diesem Jahre mit etwas sorgenvoller Miene dem
kommenden Frühjahr entgegen und berechnet schon jetzt seine Verluste bei
einer etwaigen, voraussichtlich nicht sehr günstigen Korn- und Weinernte.
Für das Elsaß ist eben die Landwirthschaft und der Weinbau und ihr Ge¬
deihen conäitiv Line; <ma non seiner glücklichen Existenz und der Zufriedenheit
seiner Bewohner. Das hat das vorige reiche Wein- und Obstjahr zur Genüge
bewiesen, das mit einem Schlage eine dem neuen System günstigere Wand¬
lung der Gemüther bei Hoch und Niedrig vollzogen hat, als dies selbst die
liberalsten und zuvorkommendsten Schritte der Regierung der Bevölkerung
gegenüber vermocht haben würden.

Auch die Industrie hat sich hier früher von ihrer derzeitigen Nieder¬
lage erholt, als in den übrigen Gauen des deutschen Vaterlandes — wahr¬
scheinlich ein günstiger Rückschlag aus dem benachbarten Frankreich. Schon
im vorigen Jahre konnte man aus einigen unserer vorzüglichsten industriellen
Gegenden des Oberelsasses Stimmen hören, die auf Grund positiver That¬
sachen ein baldiges Wiederaufleben derselben in ihrer alten Blüthe constatirten.
Wenn dem Lande Gelegenheit geboten wird, in der bisherigen Weise sich
ruhig und friedlich weiter zu entwickeln, so ist sichere Hoffnung, daß in nicht
zu ferner Zeit die Regeneration auf allen Gebieten die schönsten Früchte
zeitigen, das Land und seine Bewohnerschaft das Weh und Leid der Annexion
für immer vergessen wird. Dazu gehört aber Ruhe nach Außen und
Zufriedenheit im Innern. Daß letztere nicht zu früh in die Gemüther ein¬
kehre, sondern durch gelegentliche hämische Bemerkungen ab und zu gestört
werde, dafür sorgt leider die französische Presse noch immer mit einem fast
beneidenswerthen Eifer.


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[0042] Kuh dem Maß. Die elementaren Ereignisse der letzten Wochen, die fast den ganzen Contt- nent in Noth und Schrecken versetzten, haben hier nicht so unheilvolle Spuren hinterlassen, wie drüben jenseits des Rheines. Doch hatten auch wir beklagens- werthe Verheerungen durch Stürme und Wasserfluthen in Menge. Sämmt¬ liche kleinen Bergflüßchen, die Ill, die Feast, die Lauch, die Dotter, die Reusch und wie sie alle heißen mögen, die in normalem Zustande die elsässtsche Tiefebene zwischen Rhein und Vogesen zu einem so fruchtbaren Paradies¬ garten gestalten, waren über ihre Ufer getreten und hatten zum Theil Dämme und Schleußen durchbrochen. Einzelne Ortschaften litten bedeutend von der Wassernoth, und der Landbau hat allenthalben vielfache Störungen und Ein¬ bußen erlitten, die schwer zu ersetzen sind. Der elsässische Landmann und Rebbauer sieht daher in diesem Jahre mit etwas sorgenvoller Miene dem kommenden Frühjahr entgegen und berechnet schon jetzt seine Verluste bei einer etwaigen, voraussichtlich nicht sehr günstigen Korn- und Weinernte. Für das Elsaß ist eben die Landwirthschaft und der Weinbau und ihr Ge¬ deihen conäitiv Line; <ma non seiner glücklichen Existenz und der Zufriedenheit seiner Bewohner. Das hat das vorige reiche Wein- und Obstjahr zur Genüge bewiesen, das mit einem Schlage eine dem neuen System günstigere Wand¬ lung der Gemüther bei Hoch und Niedrig vollzogen hat, als dies selbst die liberalsten und zuvorkommendsten Schritte der Regierung der Bevölkerung gegenüber vermocht haben würden. Auch die Industrie hat sich hier früher von ihrer derzeitigen Nieder¬ lage erholt, als in den übrigen Gauen des deutschen Vaterlandes — wahr¬ scheinlich ein günstiger Rückschlag aus dem benachbarten Frankreich. Schon im vorigen Jahre konnte man aus einigen unserer vorzüglichsten industriellen Gegenden des Oberelsasses Stimmen hören, die auf Grund positiver That¬ sachen ein baldiges Wiederaufleben derselben in ihrer alten Blüthe constatirten. Wenn dem Lande Gelegenheit geboten wird, in der bisherigen Weise sich ruhig und friedlich weiter zu entwickeln, so ist sichere Hoffnung, daß in nicht zu ferner Zeit die Regeneration auf allen Gebieten die schönsten Früchte zeitigen, das Land und seine Bewohnerschaft das Weh und Leid der Annexion für immer vergessen wird. Dazu gehört aber Ruhe nach Außen und Zufriedenheit im Innern. Daß letztere nicht zu früh in die Gemüther ein¬ kehre, sondern durch gelegentliche hämische Bemerkungen ab und zu gestört werde, dafür sorgt leider die französische Presse noch immer mit einem fast beneidenswerthen Eifer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/42>, abgerufen am 23.11.2024.