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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Dasselbe war der Fall in der vierten Sitzung am 23. März. In der fünften
Sitzung, am 24. März kam das Haushaltsgesetz zur Berathung, das bekannt-
lich vom Herrenhaus nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden
darf. Nach einigen unbedeutenden Erörterungen wird das Haushaltsgesetz
genehmigt und alsdann noch die Nachweisung über die Bestände der Kreis¬
fonds und Provinzialfonds als ausreichend genehmigt.

Bei den Abgeordneten wurde am 20. März die dritte Berathung des
Haushalts vorgenommen. Abgeordneter v. Kardorff mahnte, die unnützen
Erörterungen und aufgestellten Gegenvrojecte über die Staatseinrichtungen
gelegentlich der einzelnen Positionen des Haushalts zu unterlassen, eine Mahn¬
ung, welche bei dem Abgeordneten Virchow keine beifällige Aufnahme fand.
Hierauf ging das Haus zu den einzelnen Theilen des Haushalts über. In
einer früheren Sitzung hatte das Centrumsmttglied, Herr v. Schorlemer ge¬
tadelt, daß das Cultusministerium unter die als Schulprämien zu vertheilenden
Bücher eine Bearbeitung des berühmten Romans Simplicius Simplicissimus
aufgenommen. Ich hatte diese Episode einer der vielen Culturkampfssitzungen
in meinem vorigen Briefe nicht erwähnenswert!) gefunden. Durch das Nach¬
spiel, das die Episode am 20. März erhielt, wird sie aber doch erwähnens¬
wert!). Der Abgeordnete Windthorst-Bielefeld wies nämlich nach, daß die
betreffende Schulaufgabe dem Roman alle Stellen, die für die Jugend an¬
stößig sein können, abgestreift, und daß der Anstoß des Herrn v. Schorlemer
nur durch die patriotischen Stellen erregt sein kann. Die Prophezeiungen
des Romans auf die wiederzuerweckende Herrlichkeit des deutschen Reiches
durch einen großen Helden sind ja den Literaturkundigen bekannt und um
ihrer Merkwürdigkeit willen auch sonst früher oft citirt worden. Nur gerade
seit sie eingetroffen, hat man über der Fülle neuer Arbeit gerade dieser Pro¬
phezeiung weniger gedacht, die doch ein gutes Zeugniß von dem unausrott¬
baren Glauben des deutschen Volkes an sich selbst auch in der schwersten
Zeit ist. -- Nachdem noch einige unerhebliche Dinge bei einzelnen Positionen
des Haushalts zur Sprache gebracht, wurde das Gesetz in dritter Lesung
genehmigt. -- Die Sitzung der Abgeordneten am 21. März können wir über¬
gehen mit ihrer fruchtlosen Erörterung der Frage, ob auf den Volksversamm¬
lungen in der Provinz Posen Polnisch gesprochen werden darf, und mit der Ein¬
führung der Kretsordnung in den Grafschaften Stolberg und Wernigerode unter
gewissen Modifikationen zu Gunsten der dort regierenden gräflichen Familie.

Am 23. März erfolgte die erste Berathung des Gesetzentwurfs über die
Einrichtung einer Provinz Berlin. Der Entwurf wurde einer Commission
von 19 Mitgliedern überwiesen. Auf den Inhalt werden wir erst bei der
0 --r. zweiten Berathung eingehen.




Dasselbe war der Fall in der vierten Sitzung am 23. März. In der fünften
Sitzung, am 24. März kam das Haushaltsgesetz zur Berathung, das bekannt-
lich vom Herrenhaus nur im Ganzen angenommen oder abgelehnt werden
darf. Nach einigen unbedeutenden Erörterungen wird das Haushaltsgesetz
genehmigt und alsdann noch die Nachweisung über die Bestände der Kreis¬
fonds und Provinzialfonds als ausreichend genehmigt.

Bei den Abgeordneten wurde am 20. März die dritte Berathung des
Haushalts vorgenommen. Abgeordneter v. Kardorff mahnte, die unnützen
Erörterungen und aufgestellten Gegenvrojecte über die Staatseinrichtungen
gelegentlich der einzelnen Positionen des Haushalts zu unterlassen, eine Mahn¬
ung, welche bei dem Abgeordneten Virchow keine beifällige Aufnahme fand.
Hierauf ging das Haus zu den einzelnen Theilen des Haushalts über. In
einer früheren Sitzung hatte das Centrumsmttglied, Herr v. Schorlemer ge¬
tadelt, daß das Cultusministerium unter die als Schulprämien zu vertheilenden
Bücher eine Bearbeitung des berühmten Romans Simplicius Simplicissimus
aufgenommen. Ich hatte diese Episode einer der vielen Culturkampfssitzungen
in meinem vorigen Briefe nicht erwähnenswert!) gefunden. Durch das Nach¬
spiel, das die Episode am 20. März erhielt, wird sie aber doch erwähnens¬
wert!). Der Abgeordnete Windthorst-Bielefeld wies nämlich nach, daß die
betreffende Schulaufgabe dem Roman alle Stellen, die für die Jugend an¬
stößig sein können, abgestreift, und daß der Anstoß des Herrn v. Schorlemer
nur durch die patriotischen Stellen erregt sein kann. Die Prophezeiungen
des Romans auf die wiederzuerweckende Herrlichkeit des deutschen Reiches
durch einen großen Helden sind ja den Literaturkundigen bekannt und um
ihrer Merkwürdigkeit willen auch sonst früher oft citirt worden. Nur gerade
seit sie eingetroffen, hat man über der Fülle neuer Arbeit gerade dieser Pro¬
phezeiung weniger gedacht, die doch ein gutes Zeugniß von dem unausrott¬
baren Glauben des deutschen Volkes an sich selbst auch in der schwersten
Zeit ist. — Nachdem noch einige unerhebliche Dinge bei einzelnen Positionen
des Haushalts zur Sprache gebracht, wurde das Gesetz in dritter Lesung
genehmigt. — Die Sitzung der Abgeordneten am 21. März können wir über¬
gehen mit ihrer fruchtlosen Erörterung der Frage, ob auf den Volksversamm¬
lungen in der Provinz Posen Polnisch gesprochen werden darf, und mit der Ein¬
führung der Kretsordnung in den Grafschaften Stolberg und Wernigerode unter
gewissen Modifikationen zu Gunsten der dort regierenden gräflichen Familie.

Am 23. März erfolgte die erste Berathung des Gesetzentwurfs über die
Einrichtung einer Provinz Berlin. Der Entwurf wurde einer Commission
von 19 Mitgliedern überwiesen. Auf den Inhalt werden wir erst bei der
0 —r. zweiten Berathung eingehen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/41>, abgerufen am 23.11.2024.