Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nächsten Nachbarn desselben, den braven, aber überaus naiven Richter Pit-
man, eine der amüsantesten Figuren des Buches, und den boshaften und un¬
verschämten Cooley kennen, der Adeler mit seinen spöttischen Witzen die Be¬
folgung ärztlicher Rathschläge in Betreff von Lungenübungen verleidet. Ueber-
aus komisch, wenn auch groteske Uebertreibung, ist im fünften Kapitel die
Geschichte der Frau Professorin der Medicin Magruder, die ihren Gatten
chloroformirt, um dann mit ihm zur Belehrung des in ihrem Hause ver¬
sammelten Auditoriums von Studentinnen allerhand Experimente vorzunehmen.
Das sechste Kapitel macht uns wieder mit einer sehr ergötzlichen Persönlich¬
keit, dem Obersten Bangs, bekannt, der den "Argus", das Tageblatt der
guten Stadt New Castle, redigirt und (wie beiläufig viele seiner Herren
Collegen) der Ueberzeugung lebt, daß auf ihm als dem Gestalter der öffent¬
lichen Meinung im Orte die Blicke Aller mit scheuer Ehrfurcht zu ruhen ver¬
pflichtet seien und er sie dafür mit Herablassung zu behandeln habe. Wir
übergehen eine Reihe andrer hübscher Schnurren, um dem Verfasser mit
einiger Ausführlichkeit das Unglück nacherzählen zu können, welches dem
Selbstgefühl des Obersten infolge des Mißverständnisses einer seiner Specu-
lationen von Seiten seines Unterredacteurs Summer widerfährt.

Bangs ist auf dem Gedanken gekommen, daß es für sein Blatt nützlich
sein könnte, wenn Summer, der poetische Talente hat, jeder bei der Expe¬
dition einlaufenden Todesanzeige ein paar hübsche Verse folgen ließe, und setzt
dieß jenem auseinander. "Ich möchte," sagt er ihm, "daß Sie, wenn der
Tod jemandes angezeigt wird, die Mitglieder der Familie mit Hülfe Ihrer
edlen Kunst trösteten und aufheiterten. Trauern Sie nicht über die Abge¬
schiedenen, sondern fassen Sie vielmehr den Tod von einem heitern Gesichts¬
punkte aus, da er am Ende doch nur der Eintritt in ein besseres Leben ist.
Deshalb möchte ich, daß Sie die Herzenssaiten der Heimgesuchten mit zarter
Hand berührten und versuchten, ihre Gemüther von der Betrachtung der
Schrecken des Grabes abzulenken." -- "Daß sie sich der Verzweiflung ent-
schlügen," unterbricht ihn Summer verständnißvoll, "und ihre Gedanken er¬
höben" -- "Genau, das, was ich im Auge habe! Und zu gleicher Zeit ver¬
binden Sie mit erhebenden Gefühl soviel praktische Mittheilungen, als Sie
aus der Anzeige entnehmen können. Werfen Sie zum Beispiel einen Strahl
von Poesie über die alltäglichen Einzelnheiten des Lebens der Verstorbenen.
Einige für diesen Zweck nützliche Thatsachen kann man von dem Manne er¬
langen, welcher die Anzeige dem Bureau überbringt; andere können Sie
vielleicht durch ihre Phantasie ergänzen." -- "Ich denke, ich kann das ganz
vortrefflich," erwidert Summer. -- "Aber vor allen Dingen," fährt der Oberst
fort, "versuchen Sie die Sache stets im heiteren Lichte zu sehen. Bewirken
Sie, daß gleichsam der Sonnenschein des Lächelns durch den Sturm der


nächsten Nachbarn desselben, den braven, aber überaus naiven Richter Pit-
man, eine der amüsantesten Figuren des Buches, und den boshaften und un¬
verschämten Cooley kennen, der Adeler mit seinen spöttischen Witzen die Be¬
folgung ärztlicher Rathschläge in Betreff von Lungenübungen verleidet. Ueber-
aus komisch, wenn auch groteske Uebertreibung, ist im fünften Kapitel die
Geschichte der Frau Professorin der Medicin Magruder, die ihren Gatten
chloroformirt, um dann mit ihm zur Belehrung des in ihrem Hause ver¬
sammelten Auditoriums von Studentinnen allerhand Experimente vorzunehmen.
Das sechste Kapitel macht uns wieder mit einer sehr ergötzlichen Persönlich¬
keit, dem Obersten Bangs, bekannt, der den „Argus", das Tageblatt der
guten Stadt New Castle, redigirt und (wie beiläufig viele seiner Herren
Collegen) der Ueberzeugung lebt, daß auf ihm als dem Gestalter der öffent¬
lichen Meinung im Orte die Blicke Aller mit scheuer Ehrfurcht zu ruhen ver¬
pflichtet seien und er sie dafür mit Herablassung zu behandeln habe. Wir
übergehen eine Reihe andrer hübscher Schnurren, um dem Verfasser mit
einiger Ausführlichkeit das Unglück nacherzählen zu können, welches dem
Selbstgefühl des Obersten infolge des Mißverständnisses einer seiner Specu-
lationen von Seiten seines Unterredacteurs Summer widerfährt.

Bangs ist auf dem Gedanken gekommen, daß es für sein Blatt nützlich
sein könnte, wenn Summer, der poetische Talente hat, jeder bei der Expe¬
dition einlaufenden Todesanzeige ein paar hübsche Verse folgen ließe, und setzt
dieß jenem auseinander. „Ich möchte," sagt er ihm, „daß Sie, wenn der
Tod jemandes angezeigt wird, die Mitglieder der Familie mit Hülfe Ihrer
edlen Kunst trösteten und aufheiterten. Trauern Sie nicht über die Abge¬
schiedenen, sondern fassen Sie vielmehr den Tod von einem heitern Gesichts¬
punkte aus, da er am Ende doch nur der Eintritt in ein besseres Leben ist.
Deshalb möchte ich, daß Sie die Herzenssaiten der Heimgesuchten mit zarter
Hand berührten und versuchten, ihre Gemüther von der Betrachtung der
Schrecken des Grabes abzulenken." — „Daß sie sich der Verzweiflung ent-
schlügen," unterbricht ihn Summer verständnißvoll, „und ihre Gedanken er¬
höben" — „Genau, das, was ich im Auge habe! Und zu gleicher Zeit ver¬
binden Sie mit erhebenden Gefühl soviel praktische Mittheilungen, als Sie
aus der Anzeige entnehmen können. Werfen Sie zum Beispiel einen Strahl
von Poesie über die alltäglichen Einzelnheiten des Lebens der Verstorbenen.
Einige für diesen Zweck nützliche Thatsachen kann man von dem Manne er¬
langen, welcher die Anzeige dem Bureau überbringt; andere können Sie
vielleicht durch ihre Phantasie ergänzen." — „Ich denke, ich kann das ganz
vortrefflich," erwidert Summer. — „Aber vor allen Dingen," fährt der Oberst
fort, „versuchen Sie die Sache stets im heiteren Lichte zu sehen. Bewirken
Sie, daß gleichsam der Sonnenschein des Lächelns durch den Sturm der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135999"/>
          <p xml:id="ID_1387" prev="#ID_1386"> nächsten Nachbarn desselben, den braven, aber überaus naiven Richter Pit-<lb/>
man, eine der amüsantesten Figuren des Buches, und den boshaften und un¬<lb/>
verschämten Cooley kennen, der Adeler mit seinen spöttischen Witzen die Be¬<lb/>
folgung ärztlicher Rathschläge in Betreff von Lungenübungen verleidet. Ueber-<lb/>
aus komisch, wenn auch groteske Uebertreibung, ist im fünften Kapitel die<lb/>
Geschichte der Frau Professorin der Medicin Magruder, die ihren Gatten<lb/>
chloroformirt, um dann mit ihm zur Belehrung des in ihrem Hause ver¬<lb/>
sammelten Auditoriums von Studentinnen allerhand Experimente vorzunehmen.<lb/>
Das sechste Kapitel macht uns wieder mit einer sehr ergötzlichen Persönlich¬<lb/>
keit, dem Obersten Bangs, bekannt, der den &#x201E;Argus", das Tageblatt der<lb/>
guten Stadt New Castle, redigirt und (wie beiläufig viele seiner Herren<lb/>
Collegen) der Ueberzeugung lebt, daß auf ihm als dem Gestalter der öffent¬<lb/>
lichen Meinung im Orte die Blicke Aller mit scheuer Ehrfurcht zu ruhen ver¬<lb/>
pflichtet seien und er sie dafür mit Herablassung zu behandeln habe. Wir<lb/>
übergehen eine Reihe andrer hübscher Schnurren, um dem Verfasser mit<lb/>
einiger Ausführlichkeit das Unglück nacherzählen zu können, welches dem<lb/>
Selbstgefühl des Obersten infolge des Mißverständnisses einer seiner Specu-<lb/>
lationen von Seiten seines Unterredacteurs Summer widerfährt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1388" next="#ID_1389"> Bangs ist auf dem Gedanken gekommen, daß es für sein Blatt nützlich<lb/>
sein könnte, wenn Summer, der poetische Talente hat, jeder bei der Expe¬<lb/>
dition einlaufenden Todesanzeige ein paar hübsche Verse folgen ließe, und setzt<lb/>
dieß jenem auseinander. &#x201E;Ich möchte," sagt er ihm, &#x201E;daß Sie, wenn der<lb/>
Tod jemandes angezeigt wird, die Mitglieder der Familie mit Hülfe Ihrer<lb/>
edlen Kunst trösteten und aufheiterten. Trauern Sie nicht über die Abge¬<lb/>
schiedenen, sondern fassen Sie vielmehr den Tod von einem heitern Gesichts¬<lb/>
punkte aus, da er am Ende doch nur der Eintritt in ein besseres Leben ist.<lb/>
Deshalb möchte ich, daß Sie die Herzenssaiten der Heimgesuchten mit zarter<lb/>
Hand berührten und versuchten, ihre Gemüther von der Betrachtung der<lb/>
Schrecken des Grabes abzulenken." &#x2014; &#x201E;Daß sie sich der Verzweiflung ent-<lb/>
schlügen," unterbricht ihn Summer verständnißvoll, &#x201E;und ihre Gedanken er¬<lb/>
höben" &#x2014; &#x201E;Genau, das, was ich im Auge habe! Und zu gleicher Zeit ver¬<lb/>
binden Sie mit erhebenden Gefühl soviel praktische Mittheilungen, als Sie<lb/>
aus der Anzeige entnehmen können. Werfen Sie zum Beispiel einen Strahl<lb/>
von Poesie über die alltäglichen Einzelnheiten des Lebens der Verstorbenen.<lb/>
Einige für diesen Zweck nützliche Thatsachen kann man von dem Manne er¬<lb/>
langen, welcher die Anzeige dem Bureau überbringt; andere können Sie<lb/>
vielleicht durch ihre Phantasie ergänzen." &#x2014; &#x201E;Ich denke, ich kann das ganz<lb/>
vortrefflich," erwidert Summer. &#x2014; &#x201E;Aber vor allen Dingen," fährt der Oberst<lb/>
fort, &#x201E;versuchen Sie die Sache stets im heiteren Lichte zu sehen. Bewirken<lb/>
Sie, daß gleichsam der Sonnenschein des Lächelns durch den Sturm der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] nächsten Nachbarn desselben, den braven, aber überaus naiven Richter Pit- man, eine der amüsantesten Figuren des Buches, und den boshaften und un¬ verschämten Cooley kennen, der Adeler mit seinen spöttischen Witzen die Be¬ folgung ärztlicher Rathschläge in Betreff von Lungenübungen verleidet. Ueber- aus komisch, wenn auch groteske Uebertreibung, ist im fünften Kapitel die Geschichte der Frau Professorin der Medicin Magruder, die ihren Gatten chloroformirt, um dann mit ihm zur Belehrung des in ihrem Hause ver¬ sammelten Auditoriums von Studentinnen allerhand Experimente vorzunehmen. Das sechste Kapitel macht uns wieder mit einer sehr ergötzlichen Persönlich¬ keit, dem Obersten Bangs, bekannt, der den „Argus", das Tageblatt der guten Stadt New Castle, redigirt und (wie beiläufig viele seiner Herren Collegen) der Ueberzeugung lebt, daß auf ihm als dem Gestalter der öffent¬ lichen Meinung im Orte die Blicke Aller mit scheuer Ehrfurcht zu ruhen ver¬ pflichtet seien und er sie dafür mit Herablassung zu behandeln habe. Wir übergehen eine Reihe andrer hübscher Schnurren, um dem Verfasser mit einiger Ausführlichkeit das Unglück nacherzählen zu können, welches dem Selbstgefühl des Obersten infolge des Mißverständnisses einer seiner Specu- lationen von Seiten seines Unterredacteurs Summer widerfährt. Bangs ist auf dem Gedanken gekommen, daß es für sein Blatt nützlich sein könnte, wenn Summer, der poetische Talente hat, jeder bei der Expe¬ dition einlaufenden Todesanzeige ein paar hübsche Verse folgen ließe, und setzt dieß jenem auseinander. „Ich möchte," sagt er ihm, „daß Sie, wenn der Tod jemandes angezeigt wird, die Mitglieder der Familie mit Hülfe Ihrer edlen Kunst trösteten und aufheiterten. Trauern Sie nicht über die Abge¬ schiedenen, sondern fassen Sie vielmehr den Tod von einem heitern Gesichts¬ punkte aus, da er am Ende doch nur der Eintritt in ein besseres Leben ist. Deshalb möchte ich, daß Sie die Herzenssaiten der Heimgesuchten mit zarter Hand berührten und versuchten, ihre Gemüther von der Betrachtung der Schrecken des Grabes abzulenken." — „Daß sie sich der Verzweiflung ent- schlügen," unterbricht ihn Summer verständnißvoll, „und ihre Gedanken er¬ höben" — „Genau, das, was ich im Auge habe! Und zu gleicher Zeit ver¬ binden Sie mit erhebenden Gefühl soviel praktische Mittheilungen, als Sie aus der Anzeige entnehmen können. Werfen Sie zum Beispiel einen Strahl von Poesie über die alltäglichen Einzelnheiten des Lebens der Verstorbenen. Einige für diesen Zweck nützliche Thatsachen kann man von dem Manne er¬ langen, welcher die Anzeige dem Bureau überbringt; andere können Sie vielleicht durch ihre Phantasie ergänzen." — „Ich denke, ich kann das ganz vortrefflich," erwidert Summer. — „Aber vor allen Dingen," fährt der Oberst fort, „versuchen Sie die Sache stets im heiteren Lichte zu sehen. Bewirken Sie, daß gleichsam der Sonnenschein des Lächelns durch den Sturm der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/418>, abgerufen am 27.07.2024.