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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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mit sicherem Blicke durchzusetzen. Die alte Poesie beherrschte diese Vorbeding'
ungen, die ihr zum Ausdruck des Weitesten und Tiefsten nöthig waren, voll¬
ständig, und so finden wir in ihr allerdings noch nicht das, was die moderne
landschaftliche Poesie leistet, aber doch immer noch bedeutendere und tiefere
Andeutungen eines landschaftlichen Gefühls als in den bildenden Künsten.

Es ist unmöglich, im Hinblick auf das. was die moderne Kunst seit der
Renaissancezeit auf dem Gebiete der Landschaft geleistet, ein anderes Urtheil
über die antike Landschaftsmalerei zu fällen. "In der neuen Zeit sehen wir
in der That Künstler ersten Ranges sich der landschaftlichen Natur als eines
willkommenen Kunstobjectes bemächtigen. Alle jene technischen Vorbedingungen
einer vollendeten Landschaftsmaleret hat die Kunst sich Schritt vor Schritt
erobert, als das durch eine Reihe verschiedener Umstände geweckte moderne
Landschaftsgefühl in die Malerei eindrang. Jetzt traten hochgebildete Männer
als Landschaftsmaler auf, und es gelang ihnen, nicht nur im Geiste der
Schöpfungsgeschichte die Formen der Erdoberfläche und ihrer Pflanzendecke zu
reproduciren, ja dieselben gelegentlich organischer und konsequenter durchzu¬
bilden, als die von tausend Zufälligkeiten abhängige unbeseelte Natur selbst
dies zu thun vermocht, sondern sie verstanden es auch, alle atmosphärischen
Erscheinungen in ihren den Anblick der Erdoberfläche scheinbar beseelenden
und belebenden Wirkungen zu ergründen und bald mit ungeahnter Gro߬
artigkeit und Pracht, bald mit seelenvoller Hingebung und tiefer Innig¬
keit mit den Umrissen der Bodenbildung und des Pflanzenwuchses in Verbin¬
dung zu setzen.

Der moderne Mensch sieht in der landschaftlichen Natur nicht mehr wie
der des Alterthums sich selbst in hundertfachen Ebenbildern, sondern er sieht
in sich selbst nur einen Theil der großen und ganzen Natur, aus ihr hervor¬
gegangen , um in sie zurückzufließen. Im Sinne einer großen Anzahl mo¬
derner Menschen kann die Landschaftsmalerei eine religiöse Kunst sein, und
ist sie es in ihren höchsten Schöpfungen: "sei es, daß wir den unsichtbaren
Geist Gottes in ihren Schöpfungen sich widerspiegeln sehen, sei es, daß die
Schönheit, die Reinheit und der Friede, die das gesammte All durchdringen,
ohne Weiteres auf uns den Eindruck von etwas Heiligem und Erhebendem
machen und damit die Wirkung auch von etwas Bindendem ausüben.

Alle diese Vorbedingungen, die geistigen nicht minder als die technischen,
waren der alten Landschaftsmalerei, wenn auch nicht ganz fremd, so doch nur
in halb unbewußter, ahnender Weise eigen. Kein Wunder daher, daß sie es
zu ähnlichen hohen und tiefen Leistungen, wie die moderne, nicht gebracht
hat, kein Wunder, daß die Landschaft von den Alten wie im Leben so auch
in der Kunst nur als angenehme Zugabe angesehen wurde, die sich deeorattv
vortrefflich verwerthen ließ, und die deeorativ vielleicht anmuthiger verwerthet


mit sicherem Blicke durchzusetzen. Die alte Poesie beherrschte diese Vorbeding'
ungen, die ihr zum Ausdruck des Weitesten und Tiefsten nöthig waren, voll¬
ständig, und so finden wir in ihr allerdings noch nicht das, was die moderne
landschaftliche Poesie leistet, aber doch immer noch bedeutendere und tiefere
Andeutungen eines landschaftlichen Gefühls als in den bildenden Künsten.

Es ist unmöglich, im Hinblick auf das. was die moderne Kunst seit der
Renaissancezeit auf dem Gebiete der Landschaft geleistet, ein anderes Urtheil
über die antike Landschaftsmalerei zu fällen. „In der neuen Zeit sehen wir
in der That Künstler ersten Ranges sich der landschaftlichen Natur als eines
willkommenen Kunstobjectes bemächtigen. Alle jene technischen Vorbedingungen
einer vollendeten Landschaftsmaleret hat die Kunst sich Schritt vor Schritt
erobert, als das durch eine Reihe verschiedener Umstände geweckte moderne
Landschaftsgefühl in die Malerei eindrang. Jetzt traten hochgebildete Männer
als Landschaftsmaler auf, und es gelang ihnen, nicht nur im Geiste der
Schöpfungsgeschichte die Formen der Erdoberfläche und ihrer Pflanzendecke zu
reproduciren, ja dieselben gelegentlich organischer und konsequenter durchzu¬
bilden, als die von tausend Zufälligkeiten abhängige unbeseelte Natur selbst
dies zu thun vermocht, sondern sie verstanden es auch, alle atmosphärischen
Erscheinungen in ihren den Anblick der Erdoberfläche scheinbar beseelenden
und belebenden Wirkungen zu ergründen und bald mit ungeahnter Gro߬
artigkeit und Pracht, bald mit seelenvoller Hingebung und tiefer Innig¬
keit mit den Umrissen der Bodenbildung und des Pflanzenwuchses in Verbin¬
dung zu setzen.

Der moderne Mensch sieht in der landschaftlichen Natur nicht mehr wie
der des Alterthums sich selbst in hundertfachen Ebenbildern, sondern er sieht
in sich selbst nur einen Theil der großen und ganzen Natur, aus ihr hervor¬
gegangen , um in sie zurückzufließen. Im Sinne einer großen Anzahl mo¬
derner Menschen kann die Landschaftsmalerei eine religiöse Kunst sein, und
ist sie es in ihren höchsten Schöpfungen: „sei es, daß wir den unsichtbaren
Geist Gottes in ihren Schöpfungen sich widerspiegeln sehen, sei es, daß die
Schönheit, die Reinheit und der Friede, die das gesammte All durchdringen,
ohne Weiteres auf uns den Eindruck von etwas Heiligem und Erhebendem
machen und damit die Wirkung auch von etwas Bindendem ausüben.

Alle diese Vorbedingungen, die geistigen nicht minder als die technischen,
waren der alten Landschaftsmalerei, wenn auch nicht ganz fremd, so doch nur
in halb unbewußter, ahnender Weise eigen. Kein Wunder daher, daß sie es
zu ähnlichen hohen und tiefen Leistungen, wie die moderne, nicht gebracht
hat, kein Wunder, daß die Landschaft von den Alten wie im Leben so auch
in der Kunst nur als angenehme Zugabe angesehen wurde, die sich deeorattv
vortrefflich verwerthen ließ, und die deeorativ vielleicht anmuthiger verwerthet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/400>, abgerufen am 25.11.2024.