Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.Minister des Innern. Analog wollen nun auch die Kreisstädte nicht unter Dazu beantragte der Abg. Eugen Richter noch für alle möglichen Selbst - Dieser Unsinn wurde nun freilich nicht angenommen. Aber die Es läßt sich leider nicht leugnen, daß der Zeitpunkt eingetreten, wo die Minister des Innern. Analog wollen nun auch die Kreisstädte nicht unter Dazu beantragte der Abg. Eugen Richter noch für alle möglichen Selbst - Dieser Unsinn wurde nun freilich nicht angenommen. Aber die Es läßt sich leider nicht leugnen, daß der Zeitpunkt eingetreten, wo die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135976"/> <p xml:id="ID_1309" prev="#ID_1308"> Minister des Innern. Analog wollen nun auch die Kreisstädte nicht unter<lb/> dem Kreis-Ausschuß stehen, sondern direkt unter dem Bezirksrath, Regierungs¬<lb/> präsidenten u. s. w. Aber auch die Herren Amtsvorsteher wollen schon nicht<lb/> mehr unter Landrath und Kreisausschuß stehen, Organe, die ihnen viel zu<lb/> gleichartig sind, sondern direkt unter den Regierungspräsidenten, Bezirksrath<lb/> u. s. w. Dabei hat die brave Commission sich bemüht, die Institution des<lb/> Regierungspräsidenten, auf welcher der administrative Zusammenhalt des<lb/> Preußischen Staates in Wahrheit ruht, als provisorisch hinzustellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1310"> Dazu beantragte der Abg. Eugen Richter noch für alle möglichen Selbst -<lb/> Verwaltungsacte die Cafsationsfähigkeit durch das Oberverwaltungsgericht.<lb/> Es ist ordentlich spaßhaft zu sehen, wie diese Wuth nach Decentralisation<lb/> d. h. nach gleicher Selbstständigkeit aller Organe zur schönsten Centralisation<lb/> führt, zur unmittelbaren Direktion aller durch das Centrum, sei es mit<lb/> richterlichen oder administrativen Formen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1311"> Dieser Unsinn wurde nun freilich nicht angenommen. Aber die<lb/> ganze Organisation der Selbstverwaltung, wie sie bis jetzt unternommen<lb/> worden, ist ein Experiment im übelsten Sinn. Jedes neue Werk ist ein<lb/> Experiment, d. h. eine unerprobte Schöpfung; das ist seine Ehre. Das<lb/> Declamiren der Fortschrittepartei gegen die Experimentalpolitik, d. h. gegen<lb/> den Fortschritt beweist nur die naive Bewußtlosigkeit dieser Partei über ihre<lb/> eigenen Phrasen. Allein wenn einem Werk an die Stirn geschrieben ist, daß<lb/> seine Construction mit allen Gesetzen der Physik, hier der socialen und poli¬<lb/> tischen Physik, im Widerspruch stehen, ist es ein Experiment im, schlechten<lb/> Sinne, ein Experiment, dem man ansteht, daß die Veranstalter nächstens auf<lb/> der Nase liegen. Wir hoffen auf ein unbekanntes Ereigniß, in Folge dessen<lb/> die Regierung erklärt, sie sei der Penelopenarbeit bei dieser Selbstverwaltung<lb/> satt und werde sich daran begeben, nach 5 bis 10 Jahren ein Werk aus<lb/> einem Gusse nach ernsten, also möglichen Principien vorzulegen. Alle Ein¬<lb/> zelheiten dieser Penelopenarbeit, mit der sich Regierung und beide Häuser des<lb/> Landtags um die Wette bemühen, hier vorzulegen, lohnt wirklich nicht der<lb/> Mühe. Das Abgeordnetenhaus widmete derselben am 23. Mai noch eine<lb/> Abendsitzung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1312" next="#ID_1313"> Es läßt sich leider nicht leugnen, daß der Zeitpunkt eingetreten, wo die<lb/> Gesetzgebungsmaschinerie zwar noch arbeitet, sogar in dem alten Gange, wo<lb/> aber die Qualität des Gelieferten sich eben so schnell verschlechtert, als es<lb/> producirt wird. Von vielen Gesetzen, die heute zu Stande kommen, kann<lb/> Man nur nachsagen: ein schlechtes Gesetz ist immerhin besser, als gar ketns.<lb/> Die geistige Kraft der Nation auf dem Gebiet der wirklichen, die Bedürfnisse<lb/> treffenden Staatsorganisation ist z. Z. völlig erschöpft. Das Haus soll<lb/> aber nach dem neuen Plan fertig gebaut werden, gleichviel ob der eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0395]
Minister des Innern. Analog wollen nun auch die Kreisstädte nicht unter
dem Kreis-Ausschuß stehen, sondern direkt unter dem Bezirksrath, Regierungs¬
präsidenten u. s. w. Aber auch die Herren Amtsvorsteher wollen schon nicht
mehr unter Landrath und Kreisausschuß stehen, Organe, die ihnen viel zu
gleichartig sind, sondern direkt unter den Regierungspräsidenten, Bezirksrath
u. s. w. Dabei hat die brave Commission sich bemüht, die Institution des
Regierungspräsidenten, auf welcher der administrative Zusammenhalt des
Preußischen Staates in Wahrheit ruht, als provisorisch hinzustellen.
Dazu beantragte der Abg. Eugen Richter noch für alle möglichen Selbst -
Verwaltungsacte die Cafsationsfähigkeit durch das Oberverwaltungsgericht.
Es ist ordentlich spaßhaft zu sehen, wie diese Wuth nach Decentralisation
d. h. nach gleicher Selbstständigkeit aller Organe zur schönsten Centralisation
führt, zur unmittelbaren Direktion aller durch das Centrum, sei es mit
richterlichen oder administrativen Formen.
Dieser Unsinn wurde nun freilich nicht angenommen. Aber die
ganze Organisation der Selbstverwaltung, wie sie bis jetzt unternommen
worden, ist ein Experiment im übelsten Sinn. Jedes neue Werk ist ein
Experiment, d. h. eine unerprobte Schöpfung; das ist seine Ehre. Das
Declamiren der Fortschrittepartei gegen die Experimentalpolitik, d. h. gegen
den Fortschritt beweist nur die naive Bewußtlosigkeit dieser Partei über ihre
eigenen Phrasen. Allein wenn einem Werk an die Stirn geschrieben ist, daß
seine Construction mit allen Gesetzen der Physik, hier der socialen und poli¬
tischen Physik, im Widerspruch stehen, ist es ein Experiment im, schlechten
Sinne, ein Experiment, dem man ansteht, daß die Veranstalter nächstens auf
der Nase liegen. Wir hoffen auf ein unbekanntes Ereigniß, in Folge dessen
die Regierung erklärt, sie sei der Penelopenarbeit bei dieser Selbstverwaltung
satt und werde sich daran begeben, nach 5 bis 10 Jahren ein Werk aus
einem Gusse nach ernsten, also möglichen Principien vorzulegen. Alle Ein¬
zelheiten dieser Penelopenarbeit, mit der sich Regierung und beide Häuser des
Landtags um die Wette bemühen, hier vorzulegen, lohnt wirklich nicht der
Mühe. Das Abgeordnetenhaus widmete derselben am 23. Mai noch eine
Abendsitzung.
Es läßt sich leider nicht leugnen, daß der Zeitpunkt eingetreten, wo die
Gesetzgebungsmaschinerie zwar noch arbeitet, sogar in dem alten Gange, wo
aber die Qualität des Gelieferten sich eben so schnell verschlechtert, als es
producirt wird. Von vielen Gesetzen, die heute zu Stande kommen, kann
Man nur nachsagen: ein schlechtes Gesetz ist immerhin besser, als gar ketns.
Die geistige Kraft der Nation auf dem Gebiet der wirklichen, die Bedürfnisse
treffenden Staatsorganisation ist z. Z. völlig erschöpft. Das Haus soll
aber nach dem neuen Plan fertig gebaut werden, gleichviel ob der eine
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