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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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und Schmelztiegel fleißig bei, sondern schaffte auch alle möglichen alten Bücher
herbei, welche Belehrung in Betreff der hochedeln, leider nur so undankbaren
Kunst enthielten. Als er starb, mußte dem Pastor ein gewisser Weichselfelder
bei seinen Versuchen in der Goldbereitung helfen. Derselbe hatte in Jena
Theologie studirt und war dann in einem Dorfe der Pfalz Pfarrer gewesen,
aber wegen unbändigen Trinkens und andrer Ausschweifungen vom Amte
gejagt worden. Er hatte sich darauf nach Gießen begeben und einige Vor¬
lesungen über Medicin gehört. Allein kaum so weit gekommen. daß er ein
Recept schreiben gekonnt, war er auf gut Glück in die Welt gegangen, hatte
eine Zeit lang in den kleinen Herrschaften am Rhein und Main, die zu allem
Schwindel einen günstigen Schauplatz boten, herumgequacksalbert und war
schließlich als Erzieher in das Lauckhard'sche Haus gekommen, wo er im
Verein mit einer trunksüchtigen Schwester des Pastors den Sohn desselben
sittlich zu Grunde richtete. Der ehemalige Theolog war ohne Kenntniß in
den Schulwissenschaften, und noch viel schlimmer stand es mit seinen mora¬
lischen Eigenschaften. Er war fast täglich betrunken, beging in den Nachbar¬
dörfern allerhand Excesse, prügelte sich mit den Bauern und stellte den Mägden
nach. Er machte seinen Zögling zum Vertrauten und Genossen seines un¬
saubern Treibens, und als der Pastor, dessen alchymistische Bestrebungen ihm
wenig Muße ließen, sich um die Erziehung des Knaben zu bekümmern, da¬
hinter kam und den Unhold fortjagte, war es zu spät. Erst im hohen Alter
stellte der alte Lauckhard seine Bemühungen auf dem Gebiete der Alchymie
ein. aber ohne daß er von deren Thorheit und Fruchtlosigkeit überzeugt ge¬
wesen, vielmehr behauptete der philosophisch geschulte Mann noch 1787, bei
dem letzten Besuche, den ihm sein Sohn, damals Gefreiter in einem preußischen
Musketierregiment, von Halle aus machte, daß die Goldkocherei allerdings
eine ausführbare Kunst sei; das Schlimme bei der Sache sei nur, daß man
so viel Lehrgeld geben müsse. "Wer gedenkt hierbei", so bemerkt Prutz zu
dieser Geschichte, ..nicht des Freidenkers Bahrdt, der Christus und seine Jünger
zu einer Art Freimaurerorden machte und dabei ebenfalls auf den Stein der
Weisen losdoctorte, Geister bannte und nach Schätzen grub? Auch das
rationalistische achtzehnte Jahrhundert hatte das Mittelalter noch nicht ganz
überwunden, und der ketzerische Bahrdt und der Spinozist Lauckhard, der in
allen andern Stücken so besonnene und nüchterne Mann -- gleichviel, sie
wüssen ihm beide ihren Tribut abstatten."

Wir sehen, es war in der Pfalz damals sehr übel bestellt um die Kanzel,
und die Schulen waren, wie bemerkt, gleichfalls wenig werth. Dazu aber
ran noch der unselige Einfluß, welchen das benachbarte Frankreich mit seiner
Sittenlosigkeit und seiner lockern Literatur auf diese verwahrloste Bevölkerung
ausüben mußte. In der That beschränkte sich dieser Einfluß nicht auf die


und Schmelztiegel fleißig bei, sondern schaffte auch alle möglichen alten Bücher
herbei, welche Belehrung in Betreff der hochedeln, leider nur so undankbaren
Kunst enthielten. Als er starb, mußte dem Pastor ein gewisser Weichselfelder
bei seinen Versuchen in der Goldbereitung helfen. Derselbe hatte in Jena
Theologie studirt und war dann in einem Dorfe der Pfalz Pfarrer gewesen,
aber wegen unbändigen Trinkens und andrer Ausschweifungen vom Amte
gejagt worden. Er hatte sich darauf nach Gießen begeben und einige Vor¬
lesungen über Medicin gehört. Allein kaum so weit gekommen. daß er ein
Recept schreiben gekonnt, war er auf gut Glück in die Welt gegangen, hatte
eine Zeit lang in den kleinen Herrschaften am Rhein und Main, die zu allem
Schwindel einen günstigen Schauplatz boten, herumgequacksalbert und war
schließlich als Erzieher in das Lauckhard'sche Haus gekommen, wo er im
Verein mit einer trunksüchtigen Schwester des Pastors den Sohn desselben
sittlich zu Grunde richtete. Der ehemalige Theolog war ohne Kenntniß in
den Schulwissenschaften, und noch viel schlimmer stand es mit seinen mora¬
lischen Eigenschaften. Er war fast täglich betrunken, beging in den Nachbar¬
dörfern allerhand Excesse, prügelte sich mit den Bauern und stellte den Mägden
nach. Er machte seinen Zögling zum Vertrauten und Genossen seines un¬
saubern Treibens, und als der Pastor, dessen alchymistische Bestrebungen ihm
wenig Muße ließen, sich um die Erziehung des Knaben zu bekümmern, da¬
hinter kam und den Unhold fortjagte, war es zu spät. Erst im hohen Alter
stellte der alte Lauckhard seine Bemühungen auf dem Gebiete der Alchymie
ein. aber ohne daß er von deren Thorheit und Fruchtlosigkeit überzeugt ge¬
wesen, vielmehr behauptete der philosophisch geschulte Mann noch 1787, bei
dem letzten Besuche, den ihm sein Sohn, damals Gefreiter in einem preußischen
Musketierregiment, von Halle aus machte, daß die Goldkocherei allerdings
eine ausführbare Kunst sei; das Schlimme bei der Sache sei nur, daß man
so viel Lehrgeld geben müsse. „Wer gedenkt hierbei", so bemerkt Prutz zu
dieser Geschichte, ..nicht des Freidenkers Bahrdt, der Christus und seine Jünger
zu einer Art Freimaurerorden machte und dabei ebenfalls auf den Stein der
Weisen losdoctorte, Geister bannte und nach Schätzen grub? Auch das
rationalistische achtzehnte Jahrhundert hatte das Mittelalter noch nicht ganz
überwunden, und der ketzerische Bahrdt und der Spinozist Lauckhard, der in
allen andern Stücken so besonnene und nüchterne Mann — gleichviel, sie
wüssen ihm beide ihren Tribut abstatten."

Wir sehen, es war in der Pfalz damals sehr übel bestellt um die Kanzel,
und die Schulen waren, wie bemerkt, gleichfalls wenig werth. Dazu aber
ran noch der unselige Einfluß, welchen das benachbarte Frankreich mit seiner
Sittenlosigkeit und seiner lockern Literatur auf diese verwahrloste Bevölkerung
ausüben mußte. In der That beschränkte sich dieser Einfluß nicht auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/391>, abgerufen am 26.11.2024.