Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

höheren Stände, die das ihren Bauern abgepreßte Geld in Straßburg oder
Paris verpraßten und ihre Söhne meist in französischen Regimentern dienen
ließen, während die Töchter in französischen Klöstern und Penstonen erzogen
wurden. Derselbe erstreckte sich vielmehr bis in den Bürger- und Bauern¬
stand herab, indem man es auch hier für nothwendig hielt, den Kindern
etwas Französisch parliren zu lehren, und indem die Pfälzer als Entgelt für
die vielen verdorbenen Haarkräusler und Putzmachermädchen, die Frankreich
damals als Jugenderzieher und Lehrer nach Deutschland schickte, eine Menge
von Abenteurern aus ihrer Mitte hervorgehen sahen, welche sich als Soldaten,
Kammerdiener, Krämer und Speculanten der verschiedensten Art wohl oder
übel im Lande jenseits des Wasgau durchhalfen und dann, heimgekehrt, durch
ihr böses Beispiel die vaterländischen Sitten nur noch mehr verdarben. Ein
tüchtiger Klerus hätte mit Lehre und Beispiel ein Damm gegen diese Ein¬
flüsse sein können, das Obige hat gezeigt, warum die pfälzer Geistlichen dieß
nicht waren. Es wird auch zum Theil erklären, daß sie wie die Mehrzahl
ihrer Amtsgenossen am Mittelrhein sich, als die französische Revolution aus¬
brach, in die trüben Wogen derselben mit mehr Behagen stürzten als selbst
die Bedrücktesten unter der übrigen Bevölkerung dieser Landstriche.


M. Busch.


Dom preußischen Landtag.

Am 22. Mai stand bet den Abgeordneten ein Gesetz-Entwurf zur ersten
Berathung betreffend den Austritt aus den jüdischen Synagogengemeinden.
Es ist dies, wir wollen nicht sagen ein seltsamer Gegenstand, auch an sich kein
verworrener, aber ein Gegenstand, der durch die heutige Verwirrung in allen
kirchlichen Begriffen mit einer künstlichen Verwirrung auch seinerseits künst¬
lich umgeben wird. Die rechtlichen Verhältnisse der jüdischen Gemeinden be¬
ruhen auf dem Gesetz von 1847, wodurch Friedrich Wilhelm IV. den Juden
scheinbar eine Freiheit nahm, die er den Christen um dieselbe Zeit gewährte.
Durch die damaligen Märzgesetze konnte jeder Christ, Türke, Jude :c. vor
dem Richter den Austritt aus der religiösen Gemeinschaft erklären, der er
bis dahin angehörte, und in Bezug auf Geburtszeugniß und rechtliche Be¬
gründung der Ehe in den reinen Civilstand treten, zu dessen Buchführung
und Ueberwachung die Gerichte angewiesen waren. Außerdem konnten die
also Ausgetretenen mit so viel ihres Gleichen, als sich dazu finden wollten,
neue Religionsgesellschaften bilden. Wer von ihnen aber darnach kein Be-


höheren Stände, die das ihren Bauern abgepreßte Geld in Straßburg oder
Paris verpraßten und ihre Söhne meist in französischen Regimentern dienen
ließen, während die Töchter in französischen Klöstern und Penstonen erzogen
wurden. Derselbe erstreckte sich vielmehr bis in den Bürger- und Bauern¬
stand herab, indem man es auch hier für nothwendig hielt, den Kindern
etwas Französisch parliren zu lehren, und indem die Pfälzer als Entgelt für
die vielen verdorbenen Haarkräusler und Putzmachermädchen, die Frankreich
damals als Jugenderzieher und Lehrer nach Deutschland schickte, eine Menge
von Abenteurern aus ihrer Mitte hervorgehen sahen, welche sich als Soldaten,
Kammerdiener, Krämer und Speculanten der verschiedensten Art wohl oder
übel im Lande jenseits des Wasgau durchhalfen und dann, heimgekehrt, durch
ihr böses Beispiel die vaterländischen Sitten nur noch mehr verdarben. Ein
tüchtiger Klerus hätte mit Lehre und Beispiel ein Damm gegen diese Ein¬
flüsse sein können, das Obige hat gezeigt, warum die pfälzer Geistlichen dieß
nicht waren. Es wird auch zum Theil erklären, daß sie wie die Mehrzahl
ihrer Amtsgenossen am Mittelrhein sich, als die französische Revolution aus¬
brach, in die trüben Wogen derselben mit mehr Behagen stürzten als selbst
die Bedrücktesten unter der übrigen Bevölkerung dieser Landstriche.


M. Busch.


Dom preußischen Landtag.

Am 22. Mai stand bet den Abgeordneten ein Gesetz-Entwurf zur ersten
Berathung betreffend den Austritt aus den jüdischen Synagogengemeinden.
Es ist dies, wir wollen nicht sagen ein seltsamer Gegenstand, auch an sich kein
verworrener, aber ein Gegenstand, der durch die heutige Verwirrung in allen
kirchlichen Begriffen mit einer künstlichen Verwirrung auch seinerseits künst¬
lich umgeben wird. Die rechtlichen Verhältnisse der jüdischen Gemeinden be¬
ruhen auf dem Gesetz von 1847, wodurch Friedrich Wilhelm IV. den Juden
scheinbar eine Freiheit nahm, die er den Christen um dieselbe Zeit gewährte.
Durch die damaligen Märzgesetze konnte jeder Christ, Türke, Jude :c. vor
dem Richter den Austritt aus der religiösen Gemeinschaft erklären, der er
bis dahin angehörte, und in Bezug auf Geburtszeugniß und rechtliche Be¬
gründung der Ehe in den reinen Civilstand treten, zu dessen Buchführung
und Ueberwachung die Gerichte angewiesen waren. Außerdem konnten die
also Ausgetretenen mit so viel ihres Gleichen, als sich dazu finden wollten,
neue Religionsgesellschaften bilden. Wer von ihnen aber darnach kein Be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135973"/>
          <p xml:id="ID_1301" prev="#ID_1300"> höheren Stände, die das ihren Bauern abgepreßte Geld in Straßburg oder<lb/>
Paris verpraßten und ihre Söhne meist in französischen Regimentern dienen<lb/>
ließen, während die Töchter in französischen Klöstern und Penstonen erzogen<lb/>
wurden. Derselbe erstreckte sich vielmehr bis in den Bürger- und Bauern¬<lb/>
stand herab, indem man es auch hier für nothwendig hielt, den Kindern<lb/>
etwas Französisch parliren zu lehren, und indem die Pfälzer als Entgelt für<lb/>
die vielen verdorbenen Haarkräusler und Putzmachermädchen, die Frankreich<lb/>
damals als Jugenderzieher und Lehrer nach Deutschland schickte, eine Menge<lb/>
von Abenteurern aus ihrer Mitte hervorgehen sahen, welche sich als Soldaten,<lb/>
Kammerdiener, Krämer und Speculanten der verschiedensten Art wohl oder<lb/>
übel im Lande jenseits des Wasgau durchhalfen und dann, heimgekehrt, durch<lb/>
ihr böses Beispiel die vaterländischen Sitten nur noch mehr verdarben. Ein<lb/>
tüchtiger Klerus hätte mit Lehre und Beispiel ein Damm gegen diese Ein¬<lb/>
flüsse sein können, das Obige hat gezeigt, warum die pfälzer Geistlichen dieß<lb/>
nicht waren. Es wird auch zum Theil erklären, daß sie wie die Mehrzahl<lb/>
ihrer Amtsgenossen am Mittelrhein sich, als die französische Revolution aus¬<lb/>
brach, in die trüben Wogen derselben mit mehr Behagen stürzten als selbst<lb/>
die Bedrücktesten unter der übrigen Bevölkerung dieser Landstriche.</p><lb/>
          <note type="byline"> M. Busch.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Dom preußischen Landtag.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1302" next="#ID_1303"> Am 22. Mai stand bet den Abgeordneten ein Gesetz-Entwurf zur ersten<lb/>
Berathung betreffend den Austritt aus den jüdischen Synagogengemeinden.<lb/>
Es ist dies, wir wollen nicht sagen ein seltsamer Gegenstand, auch an sich kein<lb/>
verworrener, aber ein Gegenstand, der durch die heutige Verwirrung in allen<lb/>
kirchlichen Begriffen mit einer künstlichen Verwirrung auch seinerseits künst¬<lb/>
lich umgeben wird. Die rechtlichen Verhältnisse der jüdischen Gemeinden be¬<lb/>
ruhen auf dem Gesetz von 1847, wodurch Friedrich Wilhelm IV. den Juden<lb/>
scheinbar eine Freiheit nahm, die er den Christen um dieselbe Zeit gewährte.<lb/>
Durch die damaligen Märzgesetze konnte jeder Christ, Türke, Jude :c. vor<lb/>
dem Richter den Austritt aus der religiösen Gemeinschaft erklären, der er<lb/>
bis dahin angehörte, und in Bezug auf Geburtszeugniß und rechtliche Be¬<lb/>
gründung der Ehe in den reinen Civilstand treten, zu dessen Buchführung<lb/>
und Ueberwachung die Gerichte angewiesen waren. Außerdem konnten die<lb/>
also Ausgetretenen mit so viel ihres Gleichen, als sich dazu finden wollten,<lb/>
neue Religionsgesellschaften bilden.  Wer von ihnen aber darnach kein Be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] höheren Stände, die das ihren Bauern abgepreßte Geld in Straßburg oder Paris verpraßten und ihre Söhne meist in französischen Regimentern dienen ließen, während die Töchter in französischen Klöstern und Penstonen erzogen wurden. Derselbe erstreckte sich vielmehr bis in den Bürger- und Bauern¬ stand herab, indem man es auch hier für nothwendig hielt, den Kindern etwas Französisch parliren zu lehren, und indem die Pfälzer als Entgelt für die vielen verdorbenen Haarkräusler und Putzmachermädchen, die Frankreich damals als Jugenderzieher und Lehrer nach Deutschland schickte, eine Menge von Abenteurern aus ihrer Mitte hervorgehen sahen, welche sich als Soldaten, Kammerdiener, Krämer und Speculanten der verschiedensten Art wohl oder übel im Lande jenseits des Wasgau durchhalfen und dann, heimgekehrt, durch ihr böses Beispiel die vaterländischen Sitten nur noch mehr verdarben. Ein tüchtiger Klerus hätte mit Lehre und Beispiel ein Damm gegen diese Ein¬ flüsse sein können, das Obige hat gezeigt, warum die pfälzer Geistlichen dieß nicht waren. Es wird auch zum Theil erklären, daß sie wie die Mehrzahl ihrer Amtsgenossen am Mittelrhein sich, als die französische Revolution aus¬ brach, in die trüben Wogen derselben mit mehr Behagen stürzten als selbst die Bedrücktesten unter der übrigen Bevölkerung dieser Landstriche. M. Busch. Dom preußischen Landtag. Am 22. Mai stand bet den Abgeordneten ein Gesetz-Entwurf zur ersten Berathung betreffend den Austritt aus den jüdischen Synagogengemeinden. Es ist dies, wir wollen nicht sagen ein seltsamer Gegenstand, auch an sich kein verworrener, aber ein Gegenstand, der durch die heutige Verwirrung in allen kirchlichen Begriffen mit einer künstlichen Verwirrung auch seinerseits künst¬ lich umgeben wird. Die rechtlichen Verhältnisse der jüdischen Gemeinden be¬ ruhen auf dem Gesetz von 1847, wodurch Friedrich Wilhelm IV. den Juden scheinbar eine Freiheit nahm, die er den Christen um dieselbe Zeit gewährte. Durch die damaligen Märzgesetze konnte jeder Christ, Türke, Jude :c. vor dem Richter den Austritt aus der religiösen Gemeinschaft erklären, der er bis dahin angehörte, und in Bezug auf Geburtszeugniß und rechtliche Be¬ gründung der Ehe in den reinen Civilstand treten, zu dessen Buchführung und Ueberwachung die Gerichte angewiesen waren. Außerdem konnten die also Ausgetretenen mit so viel ihres Gleichen, als sich dazu finden wollten, neue Religionsgesellschaften bilden. Wer von ihnen aber darnach kein Be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/392>, abgerufen am 25.11.2024.