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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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sollte, ist damit die endgültige Lösung der Frage nur aufgeschoben. Mit
Rücksicht hierauf kommt vielleicht auch der gegenwärtige Beitrag nicht zu spät.

Dr. Landgraff hat bereits in einem früheren Aufsatze (Grenzboten 1870
S. 386 fg.) eine Auseinandersetzung über den vorliegenden Gegenstand geliefert,
die, wenn wir sie recht ansehen, in folgenden Sätzen gipfelt: Das Königreich
Sachsen ist für einen einzigen Landarmenverband zu groß. Die vier Re¬
gierungsbezirke sind hierfür ebenfalls zu ausgedehnt. Auch dienen sie vor¬
wiegend administrativen Zwecken und sind aller Wahrscheinlichkeit nach keine
dauernde Eintheilung.

Viel besser schon eignen sich dazu die amtshauptmannschaftlichen Be¬
zirke. Dieselben haben aber zur Zeit (1870) ebenfalls nur eine administra¬
tive Bedeutung.

Hiernach entsteht die Frage, ob es nicht am zweckmäßigsten sein würde,
die Organisation der Landarmenverbände an die bereits vielfach bestehenden,
auf dem Principe der Freiwilligkeit beruhenden Bezirksarmenvereine anzu¬
schließen. Auf den letzten Vorschlag kommt Dr. L. in seinem neuesten Auf¬
satze nur noch beiläufig zurück. Dagegen erörtert er die Frage, ob sich nicht
die gegenwärtigen amtshauptmannschaftlichen Bezirke als Landarmenverbände
verwenden lassen würden und ist geneigt, diese Frage zu bejahen.

Es ist eigenthümlich, daß weder die Regierungsvorlage, noch der Depu¬
tationsbericht der zweiten Kammer auch nur die Möglichkeit einer solchen
legislatorischen Maßregel in Erwägung gezogen haben. Und eine Erwägung
wenigstens scheint doch der Vorschlag in der That zu verdienen. Bisher hat
das Ministerium des Innern unmittelbar die Functionen einer Landarmen¬
behörde für das Königreich Sachsen versehen. Dieses Verhältniß ist aber,
wie wir bestimmt zu wissen glauben, nicht ferner aufrecht zu erhalten, weil
dem Ministerium dadurch eine solche Fluth von Geschäften zufließt, daß auf
die Dauer andere wichtigere Angelegenheiten darunter leiden müßten. Außer¬
dem ist der ganze Apparat ein ungemein schwerfälliger. Denn bisher mußten
alle Ansprüche an den Landarmenverband erst durch die unteren und mitt¬
leren Instanzen hindurchgehen, ehe sie an das Ministerium gelangten und
denselben Weg, hin und zurück, nach Befinden nochmals Passiren, bis die
Sache erledigt war. Nun könnte man zwar die Mittelinstanz ganz aus dem
Spiele lassen, damit würde aber der erwähnte Uebelstand nicht vermindert,
sondern eher vermehrt, weil dann die angemeldeten Ansprüche meistentheils
in sehr fragwürdiger Gestalt an das Ministerium gelangen würden. Dies
würde aber vermehrte Erörterungen und Schreibereien hervorrufen.

Nach der Regierungsvorlage sollten 4 Landarmenbehörden, in jeder
Kreishauptmannschaft eine, aus einem Mitgliede der letzteren und 2 Mit¬
gliedern des Kreisausschusses bestehend, gebildet werden. Die Kammer hat


sollte, ist damit die endgültige Lösung der Frage nur aufgeschoben. Mit
Rücksicht hierauf kommt vielleicht auch der gegenwärtige Beitrag nicht zu spät.

Dr. Landgraff hat bereits in einem früheren Aufsatze (Grenzboten 1870
S. 386 fg.) eine Auseinandersetzung über den vorliegenden Gegenstand geliefert,
die, wenn wir sie recht ansehen, in folgenden Sätzen gipfelt: Das Königreich
Sachsen ist für einen einzigen Landarmenverband zu groß. Die vier Re¬
gierungsbezirke sind hierfür ebenfalls zu ausgedehnt. Auch dienen sie vor¬
wiegend administrativen Zwecken und sind aller Wahrscheinlichkeit nach keine
dauernde Eintheilung.

Viel besser schon eignen sich dazu die amtshauptmannschaftlichen Be¬
zirke. Dieselben haben aber zur Zeit (1870) ebenfalls nur eine administra¬
tive Bedeutung.

Hiernach entsteht die Frage, ob es nicht am zweckmäßigsten sein würde,
die Organisation der Landarmenverbände an die bereits vielfach bestehenden,
auf dem Principe der Freiwilligkeit beruhenden Bezirksarmenvereine anzu¬
schließen. Auf den letzten Vorschlag kommt Dr. L. in seinem neuesten Auf¬
satze nur noch beiläufig zurück. Dagegen erörtert er die Frage, ob sich nicht
die gegenwärtigen amtshauptmannschaftlichen Bezirke als Landarmenverbände
verwenden lassen würden und ist geneigt, diese Frage zu bejahen.

Es ist eigenthümlich, daß weder die Regierungsvorlage, noch der Depu¬
tationsbericht der zweiten Kammer auch nur die Möglichkeit einer solchen
legislatorischen Maßregel in Erwägung gezogen haben. Und eine Erwägung
wenigstens scheint doch der Vorschlag in der That zu verdienen. Bisher hat
das Ministerium des Innern unmittelbar die Functionen einer Landarmen¬
behörde für das Königreich Sachsen versehen. Dieses Verhältniß ist aber,
wie wir bestimmt zu wissen glauben, nicht ferner aufrecht zu erhalten, weil
dem Ministerium dadurch eine solche Fluth von Geschäften zufließt, daß auf
die Dauer andere wichtigere Angelegenheiten darunter leiden müßten. Außer¬
dem ist der ganze Apparat ein ungemein schwerfälliger. Denn bisher mußten
alle Ansprüche an den Landarmenverband erst durch die unteren und mitt¬
leren Instanzen hindurchgehen, ehe sie an das Ministerium gelangten und
denselben Weg, hin und zurück, nach Befinden nochmals Passiren, bis die
Sache erledigt war. Nun könnte man zwar die Mittelinstanz ganz aus dem
Spiele lassen, damit würde aber der erwähnte Uebelstand nicht vermindert,
sondern eher vermehrt, weil dann die angemeldeten Ansprüche meistentheils
in sehr fragwürdiger Gestalt an das Ministerium gelangen würden. Dies
würde aber vermehrte Erörterungen und Schreibereien hervorrufen.

Nach der Regierungsvorlage sollten 4 Landarmenbehörden, in jeder
Kreishauptmannschaft eine, aus einem Mitgliede der letzteren und 2 Mit¬
gliedern des Kreisausschusses bestehend, gebildet werden. Die Kammer hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/38>, abgerufen am 27.07.2024.