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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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sich dagegen erklärt, indem sie der Deputationsminorität beitrat. Nach
unserer Meinung mit vollkommenem Recht. Man hätte nur eine neue, kost¬
spielige Behörde geschaffen, für die es an einem inneren Bedürfnisse fehlt.
Auch würde es für die betreffenden Mitglieder des Kreisausschusses keine
kleine Zumuthung sein, in ununterbrochenem Zusammenhange diese zeit¬
raubenden und dabei wenig interessanten Arbeiten erledigen zu müssen. Dazu
kommt das Mißliche einer Einrichtung, welche eine fremde Behörde Aus¬
gaben beschließen läßt, welche erst wieder durch die Bezirksverbände aufgebracht
werden müssen.

Nur ein Umstand könnte allenfalls für das Projekt sprechen. Die Re¬
daction d. Bl. hat in einer Anmerkung zu dem Landgraff'schen Aufsatze
(S. 197) geäußert, die Neugestaltung der inneren Verwaltung vom Jahre
1874 stände in der Hauptsache noch "auf dem Papier". Bezüglich der Kreis¬
verfassung ist dieß in gewissem Sinne unstreitig der Fall. Die Kreisaus¬
schüsse sind nur in einzelnen Theilen des aufsichtsführenden und verwaltungs¬
rechtlichen Geschäftskreises der Kreishauptmannschasten thätig. Die Sitzungen
sind zwar öffentlich, aber kein Zuhörer findet sich ein. Das Institut ist bis-
her noch nicht in Fleisch und Blut des Volkes übergegangen, hätte man den
Kreisausschüssen die Landarmenangelegenheiten überwiesen, so wäre dieß viel¬
leicht der Anfang und gewissermaßen der Kristallisationspunkt einer selbstver¬
waltenden Thätigkeit der einzelnen Kreise geworden.

Vielleicht -- wir unserseits theilen diese Meinung nicht! Die Entwickelung
der heutigen Verhältnisse strebt einestheils der Centralisation bei den obersten
Staatsbehörden, anderseits der Decentralisation durch Uebertragung wichtiger
administrativer Funktionen an die Gemeinden zu. Für eine principielle Ge¬
staltung (wenn man diesen Ausdruck für ein Land von dem Umfange Sachsens
überhaupt gebrauchen kann) ist nirgends Aussicht oder Neigung vorhanden.

Versuche, die Bezirksarmenvereine zu Landarmenzwecken zu gestalten, sind
allerdings gemacht, wenigstens sind Verhandlungen zu diesem Zwecke gepflogen
worden, jedoch ohne wesentlichen Erfolg, weil die gegenwärtige Organisation
dieser Vereine solchen Umgestaltungen widerstrebt.

So wird also schließlich doch nichts anderes übrig bleiben, als
den Bezirken die Function von Landarmenverbänden zu übertragen.
Diese Bezirke durchschnittlich von der nämlichen Größe, wie die preu-
ßischen Kreise -- sind bereits für Zwecke der Selbstverwaltung or-
ganisirt. Sie besitzen juristische Persönlichkeit, haben ein bedeutendes
Vermögen, dessen Nutzungen sie zur Errichtung von Bezirksanstalten
verwenden können und auch zum Theil bereits verwendet haben. Sie besitzen
außerdem das Recht, Anleihen aufzunehmen und Bezirkssteuern zu erheben.
Sie haben serner ständige Organe in den Bezirksversammlungen und Bezirks-


sich dagegen erklärt, indem sie der Deputationsminorität beitrat. Nach
unserer Meinung mit vollkommenem Recht. Man hätte nur eine neue, kost¬
spielige Behörde geschaffen, für die es an einem inneren Bedürfnisse fehlt.
Auch würde es für die betreffenden Mitglieder des Kreisausschusses keine
kleine Zumuthung sein, in ununterbrochenem Zusammenhange diese zeit¬
raubenden und dabei wenig interessanten Arbeiten erledigen zu müssen. Dazu
kommt das Mißliche einer Einrichtung, welche eine fremde Behörde Aus¬
gaben beschließen läßt, welche erst wieder durch die Bezirksverbände aufgebracht
werden müssen.

Nur ein Umstand könnte allenfalls für das Projekt sprechen. Die Re¬
daction d. Bl. hat in einer Anmerkung zu dem Landgraff'schen Aufsatze
(S. 197) geäußert, die Neugestaltung der inneren Verwaltung vom Jahre
1874 stände in der Hauptsache noch „auf dem Papier". Bezüglich der Kreis¬
verfassung ist dieß in gewissem Sinne unstreitig der Fall. Die Kreisaus¬
schüsse sind nur in einzelnen Theilen des aufsichtsführenden und verwaltungs¬
rechtlichen Geschäftskreises der Kreishauptmannschasten thätig. Die Sitzungen
sind zwar öffentlich, aber kein Zuhörer findet sich ein. Das Institut ist bis-
her noch nicht in Fleisch und Blut des Volkes übergegangen, hätte man den
Kreisausschüssen die Landarmenangelegenheiten überwiesen, so wäre dieß viel¬
leicht der Anfang und gewissermaßen der Kristallisationspunkt einer selbstver¬
waltenden Thätigkeit der einzelnen Kreise geworden.

Vielleicht — wir unserseits theilen diese Meinung nicht! Die Entwickelung
der heutigen Verhältnisse strebt einestheils der Centralisation bei den obersten
Staatsbehörden, anderseits der Decentralisation durch Uebertragung wichtiger
administrativer Funktionen an die Gemeinden zu. Für eine principielle Ge¬
staltung (wenn man diesen Ausdruck für ein Land von dem Umfange Sachsens
überhaupt gebrauchen kann) ist nirgends Aussicht oder Neigung vorhanden.

Versuche, die Bezirksarmenvereine zu Landarmenzwecken zu gestalten, sind
allerdings gemacht, wenigstens sind Verhandlungen zu diesem Zwecke gepflogen
worden, jedoch ohne wesentlichen Erfolg, weil die gegenwärtige Organisation
dieser Vereine solchen Umgestaltungen widerstrebt.

So wird also schließlich doch nichts anderes übrig bleiben, als
den Bezirken die Function von Landarmenverbänden zu übertragen.
Diese Bezirke durchschnittlich von der nämlichen Größe, wie die preu-
ßischen Kreise — sind bereits für Zwecke der Selbstverwaltung or-
ganisirt. Sie besitzen juristische Persönlichkeit, haben ein bedeutendes
Vermögen, dessen Nutzungen sie zur Errichtung von Bezirksanstalten
verwenden können und auch zum Theil bereits verwendet haben. Sie besitzen
außerdem das Recht, Anleihen aufzunehmen und Bezirkssteuern zu erheben.
Sie haben serner ständige Organe in den Bezirksversammlungen und Bezirks-


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[0039] sich dagegen erklärt, indem sie der Deputationsminorität beitrat. Nach unserer Meinung mit vollkommenem Recht. Man hätte nur eine neue, kost¬ spielige Behörde geschaffen, für die es an einem inneren Bedürfnisse fehlt. Auch würde es für die betreffenden Mitglieder des Kreisausschusses keine kleine Zumuthung sein, in ununterbrochenem Zusammenhange diese zeit¬ raubenden und dabei wenig interessanten Arbeiten erledigen zu müssen. Dazu kommt das Mißliche einer Einrichtung, welche eine fremde Behörde Aus¬ gaben beschließen läßt, welche erst wieder durch die Bezirksverbände aufgebracht werden müssen. Nur ein Umstand könnte allenfalls für das Projekt sprechen. Die Re¬ daction d. Bl. hat in einer Anmerkung zu dem Landgraff'schen Aufsatze (S. 197) geäußert, die Neugestaltung der inneren Verwaltung vom Jahre 1874 stände in der Hauptsache noch „auf dem Papier". Bezüglich der Kreis¬ verfassung ist dieß in gewissem Sinne unstreitig der Fall. Die Kreisaus¬ schüsse sind nur in einzelnen Theilen des aufsichtsführenden und verwaltungs¬ rechtlichen Geschäftskreises der Kreishauptmannschasten thätig. Die Sitzungen sind zwar öffentlich, aber kein Zuhörer findet sich ein. Das Institut ist bis- her noch nicht in Fleisch und Blut des Volkes übergegangen, hätte man den Kreisausschüssen die Landarmenangelegenheiten überwiesen, so wäre dieß viel¬ leicht der Anfang und gewissermaßen der Kristallisationspunkt einer selbstver¬ waltenden Thätigkeit der einzelnen Kreise geworden. Vielleicht — wir unserseits theilen diese Meinung nicht! Die Entwickelung der heutigen Verhältnisse strebt einestheils der Centralisation bei den obersten Staatsbehörden, anderseits der Decentralisation durch Uebertragung wichtiger administrativer Funktionen an die Gemeinden zu. Für eine principielle Ge¬ staltung (wenn man diesen Ausdruck für ein Land von dem Umfange Sachsens überhaupt gebrauchen kann) ist nirgends Aussicht oder Neigung vorhanden. Versuche, die Bezirksarmenvereine zu Landarmenzwecken zu gestalten, sind allerdings gemacht, wenigstens sind Verhandlungen zu diesem Zwecke gepflogen worden, jedoch ohne wesentlichen Erfolg, weil die gegenwärtige Organisation dieser Vereine solchen Umgestaltungen widerstrebt. So wird also schließlich doch nichts anderes übrig bleiben, als den Bezirken die Function von Landarmenverbänden zu übertragen. Diese Bezirke durchschnittlich von der nämlichen Größe, wie die preu- ßischen Kreise — sind bereits für Zwecke der Selbstverwaltung or- ganisirt. Sie besitzen juristische Persönlichkeit, haben ein bedeutendes Vermögen, dessen Nutzungen sie zur Errichtung von Bezirksanstalten verwenden können und auch zum Theil bereits verwendet haben. Sie besitzen außerdem das Recht, Anleihen aufzunehmen und Bezirkssteuern zu erheben. Sie haben serner ständige Organe in den Bezirksversammlungen und Bezirks-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/39>, abgerufen am 27.07.2024.