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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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verdrießlich. Seine guten Mitbürger, die Elbinger, extraHirten, als sie für
seine Anstellung in Preußen sich in Berlin verwandten, aus der Feder des
preußischen Ministers, das geflügelte Wort vom beschränkten Unterthanen-
Verstände. Albrecht überließ die Wortführung und Vertretung in der Ange¬
legenheit willig und bescheiden an Dahlmann, und noch 2S Jahre später,
am 17. November 1862, als wir Albrecht im Namen der leipziger Burschen¬
schafter einen Lorbeerkranz überreichten, legte er diesen auf das Haupt Dahl-
mann's, "da dieser ihm und den andern Genossen damals Führer gewesen."
Gleichwohl ist Albrecht's maßvolles Wesen, sein durchdringendes, knappes
Urtheil nicht nur in allen Schritten und Schriften , welche von den sieben
Göttingern gemeinsam ausgingen, unverkennbar; sondern wir danken ihm
auch die entschieden klarste, ruhigste und überzeugendste Schrift über die
Katastrophe, die einzige zugleich, welche selbst den Argwohn und die Mi߬
gunst der Censur passtrte.

Daß die sächsische Regierung dem abgesetzten Professor Albrecht an der
Landesuniversität Leipzig eine Freistätte gewährte, soll immer rühmend aner¬
kannt werden, wenn auch unzweifelhaft der größere Vortheil bei Gewinnung
dieser Kraft auf Seite der Regierung war und Albrecht während der nächsten
Jahrzehnte sich nicht gerade einer besondern Gunst der Dresdner Staatslenker
erfreute. Auf besondere Beliebtheit in Dresden konnte er auch billigerweise
keinen Anspruch machen, da er im Frankfurter Parlament zu den hervor¬
ragendsten Köpfen der Erbkaiserpartei, in Leipzig zu den "rennenden" Pro¬
fessoren gehörte, die den Staatsstreich des Herrn von Beust im Jahre 1849
mit derselben Offenheit als Verfassungsverletzung erklärten und verurthetlten,
wie Albrecht im Jahre 1837 den hannöverschen Rechtsbruch, und da endlich
Albrecht in seinen Staatsrechtsvorlesungen keinen Zweifel darüber ließ, daß
der reactivirte Bundestag zu Unrecht bestehe.

Die Verfasfungsarbeit in Frankfurt a. M., an der Albrecht zuerst als
einer der Vertrauensmänner des Bundestages, dann als Mitglied der deut¬
schen Nationalversammlung Antheil zu nehmen berufen war, hat er von An¬
fang an sehr pessimisch angesehen. Ihm war undenkbar, daß aus dem Schooße
einer großen parlamentarischen, aus den widerspruchsvollsten und über die
Hauptfrage, die nationale Staatsform, uneinigsten und unklarsten Elementen
bestehenden Versammlung heraus ein leidliches Verfassungswerk geboren werden
könnte. Er hielt es für äußerst unwahrscheinlich, daß die Regierungen dieses
Verfassungswerk genehmigen würden, wenn es zu Stande käme. Mit diesen
düsteren Vorahnungen verließ er schon im Sommer 1848 die Paulskirche,
um nur noch in einem regen, häufig sehr maßgebenden Briefwechsel mit
Dahlmann und andern Führern der Frankfurter Erbkaiserpartei seine patrio-


verdrießlich. Seine guten Mitbürger, die Elbinger, extraHirten, als sie für
seine Anstellung in Preußen sich in Berlin verwandten, aus der Feder des
preußischen Ministers, das geflügelte Wort vom beschränkten Unterthanen-
Verstände. Albrecht überließ die Wortführung und Vertretung in der Ange¬
legenheit willig und bescheiden an Dahlmann, und noch 2S Jahre später,
am 17. November 1862, als wir Albrecht im Namen der leipziger Burschen¬
schafter einen Lorbeerkranz überreichten, legte er diesen auf das Haupt Dahl-
mann's, „da dieser ihm und den andern Genossen damals Führer gewesen."
Gleichwohl ist Albrecht's maßvolles Wesen, sein durchdringendes, knappes
Urtheil nicht nur in allen Schritten und Schriften , welche von den sieben
Göttingern gemeinsam ausgingen, unverkennbar; sondern wir danken ihm
auch die entschieden klarste, ruhigste und überzeugendste Schrift über die
Katastrophe, die einzige zugleich, welche selbst den Argwohn und die Mi߬
gunst der Censur passtrte.

Daß die sächsische Regierung dem abgesetzten Professor Albrecht an der
Landesuniversität Leipzig eine Freistätte gewährte, soll immer rühmend aner¬
kannt werden, wenn auch unzweifelhaft der größere Vortheil bei Gewinnung
dieser Kraft auf Seite der Regierung war und Albrecht während der nächsten
Jahrzehnte sich nicht gerade einer besondern Gunst der Dresdner Staatslenker
erfreute. Auf besondere Beliebtheit in Dresden konnte er auch billigerweise
keinen Anspruch machen, da er im Frankfurter Parlament zu den hervor¬
ragendsten Köpfen der Erbkaiserpartei, in Leipzig zu den „rennenden" Pro¬
fessoren gehörte, die den Staatsstreich des Herrn von Beust im Jahre 1849
mit derselben Offenheit als Verfassungsverletzung erklärten und verurthetlten,
wie Albrecht im Jahre 1837 den hannöverschen Rechtsbruch, und da endlich
Albrecht in seinen Staatsrechtsvorlesungen keinen Zweifel darüber ließ, daß
der reactivirte Bundestag zu Unrecht bestehe.

Die Verfasfungsarbeit in Frankfurt a. M., an der Albrecht zuerst als
einer der Vertrauensmänner des Bundestages, dann als Mitglied der deut¬
schen Nationalversammlung Antheil zu nehmen berufen war, hat er von An¬
fang an sehr pessimisch angesehen. Ihm war undenkbar, daß aus dem Schooße
einer großen parlamentarischen, aus den widerspruchsvollsten und über die
Hauptfrage, die nationale Staatsform, uneinigsten und unklarsten Elementen
bestehenden Versammlung heraus ein leidliches Verfassungswerk geboren werden
könnte. Er hielt es für äußerst unwahrscheinlich, daß die Regierungen dieses
Verfassungswerk genehmigen würden, wenn es zu Stande käme. Mit diesen
düsteren Vorahnungen verließ er schon im Sommer 1848 die Paulskirche,
um nur noch in einem regen, häufig sehr maßgebenden Briefwechsel mit
Dahlmann und andern Führern der Frankfurter Erbkaiserpartei seine patrio-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/370>, abgerufen am 27.07.2024.