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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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treues Aushalten. Besonders glänzend erhebt sich ihre That auf dem dunkeln
Hintergrunde, den leider die träge und feige Masse der übrigen Professoren
bildet. Diese begannen, wie Wilhelm Grimm sagt, sich "zu entblättern, gleich
den Bäumen des Herbstes bei einem Nachtfrost; da sah man viele in nackten
Reisern, des Laubes beraubt, womit sie sich in dem Umgang des gewöhn¬
lichen Lebens verhüllten." Männer von europäischem und unsterblichem Ruhm
wie Herbart legten sich dem Despoten knechtisch zu Füßen, ja der Rector der
Universität Bergmann ließ es geschehen, daß das offizielle Blatt der Regierung
ihm eine Rede unterschob, die er nach dem Schritte der sieben Göttinger College"
an der Spitze einer Universitätsdeputation vor dem Könige in Rothenkirchen
gehalten haben sollte, und in welcher lügenhafter Weise ihm eine entschiedene
Mißbilligung der Sieben in den Mund gelegt wurde!

Die Rache des Königs gegen die ungetreuen königlichen Diener blieb
nicht aus. Am 14. December wurden Albrecht, Dahlmann, Gervinus, die
Brüder Grimm, Ewald und Weber ihrer Professuren enthoben; Dahlmann,
Gervinus und Jacob Grimm auch des Landes verwiesen. Damit war für
sie alle das Loos der Verbannung gesprochen.

Die Aufregung über den Schritt und das Schicksal der Göttinger Sieben,
die Begeisterung für das "strahlende Siebengestirn", das in der tiefsten Nacht
des Bundestages aufgegangen, war in ganz Deutschland ungeheuer. Ein-
trächtiglich arbeiteten Männer wie der alte Reimer, Gustav Harkort und
Johann Jacoby zusammen, um das Lebensschtcksal der tapferen Männer vor
Entbehrung und Sorge sicher zu stellen. In Lied und Wort und That
wurde noch jahrelang ihre That gefeiert. Die academtsche Jugend hat daran
für lange Zeit den Sinn für den alten, durch den Bundestag, die Carlsbader
Beschlüsse und die Mainzer Centraluntersuchungscommisston verdunkelten, und
verpöntem Idealismus von neuem gekräftigt.

Albrecht's Verhalten bei dieser wichtigsten Katastrophe seines Lebens ent-
sprach durchaus seiner Natur. Ihm erschien der Protest gegen den Ver-
fafsungsbruch als ein einfaches Gebot der Pflicht; der Gedanke, daß er die
Willkür des Königs in seinen Staatsrechts-Vorlesungen der Jugend an Stelle
der gebrochenen Verfassung als das Staatsgrundgesetz hinstellen könne, war
ihm einfach lächerlich und unmöglich. Ihm war daher auch von Anfang an
sonnenklar, daß er seinen Lehrstuhl verlassen müsse, wenn die Verfassung ge-
brochen werde. Die vielen und intensiven Bezugnahmen auf Eide, die bet
andern mehr pathetisch angelegten Naturen unter seinen Schicksalsgenossen
damals eine so große Rolle spielten, machten auf Albrecht weniger Eindruck.
Ihm stand die Rechtsfrage unerschütterlich fest und diese schrieb ihm sein
Verhalten vor. Ihm war das große Geräusch, welches seine That hervorrief,
das Bewußtsein beim gemeinen Manne äußerst populär zu sein, einigermaßen


treues Aushalten. Besonders glänzend erhebt sich ihre That auf dem dunkeln
Hintergrunde, den leider die träge und feige Masse der übrigen Professoren
bildet. Diese begannen, wie Wilhelm Grimm sagt, sich „zu entblättern, gleich
den Bäumen des Herbstes bei einem Nachtfrost; da sah man viele in nackten
Reisern, des Laubes beraubt, womit sie sich in dem Umgang des gewöhn¬
lichen Lebens verhüllten." Männer von europäischem und unsterblichem Ruhm
wie Herbart legten sich dem Despoten knechtisch zu Füßen, ja der Rector der
Universität Bergmann ließ es geschehen, daß das offizielle Blatt der Regierung
ihm eine Rede unterschob, die er nach dem Schritte der sieben Göttinger College»
an der Spitze einer Universitätsdeputation vor dem Könige in Rothenkirchen
gehalten haben sollte, und in welcher lügenhafter Weise ihm eine entschiedene
Mißbilligung der Sieben in den Mund gelegt wurde!

Die Rache des Königs gegen die ungetreuen königlichen Diener blieb
nicht aus. Am 14. December wurden Albrecht, Dahlmann, Gervinus, die
Brüder Grimm, Ewald und Weber ihrer Professuren enthoben; Dahlmann,
Gervinus und Jacob Grimm auch des Landes verwiesen. Damit war für
sie alle das Loos der Verbannung gesprochen.

Die Aufregung über den Schritt und das Schicksal der Göttinger Sieben,
die Begeisterung für das „strahlende Siebengestirn", das in der tiefsten Nacht
des Bundestages aufgegangen, war in ganz Deutschland ungeheuer. Ein-
trächtiglich arbeiteten Männer wie der alte Reimer, Gustav Harkort und
Johann Jacoby zusammen, um das Lebensschtcksal der tapferen Männer vor
Entbehrung und Sorge sicher zu stellen. In Lied und Wort und That
wurde noch jahrelang ihre That gefeiert. Die academtsche Jugend hat daran
für lange Zeit den Sinn für den alten, durch den Bundestag, die Carlsbader
Beschlüsse und die Mainzer Centraluntersuchungscommisston verdunkelten, und
verpöntem Idealismus von neuem gekräftigt.

Albrecht's Verhalten bei dieser wichtigsten Katastrophe seines Lebens ent-
sprach durchaus seiner Natur. Ihm erschien der Protest gegen den Ver-
fafsungsbruch als ein einfaches Gebot der Pflicht; der Gedanke, daß er die
Willkür des Königs in seinen Staatsrechts-Vorlesungen der Jugend an Stelle
der gebrochenen Verfassung als das Staatsgrundgesetz hinstellen könne, war
ihm einfach lächerlich und unmöglich. Ihm war daher auch von Anfang an
sonnenklar, daß er seinen Lehrstuhl verlassen müsse, wenn die Verfassung ge-
brochen werde. Die vielen und intensiven Bezugnahmen auf Eide, die bet
andern mehr pathetisch angelegten Naturen unter seinen Schicksalsgenossen
damals eine so große Rolle spielten, machten auf Albrecht weniger Eindruck.
Ihm stand die Rechtsfrage unerschütterlich fest und diese schrieb ihm sein
Verhalten vor. Ihm war das große Geräusch, welches seine That hervorrief,
das Bewußtsein beim gemeinen Manne äußerst populär zu sein, einigermaßen


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[0369] treues Aushalten. Besonders glänzend erhebt sich ihre That auf dem dunkeln Hintergrunde, den leider die träge und feige Masse der übrigen Professoren bildet. Diese begannen, wie Wilhelm Grimm sagt, sich „zu entblättern, gleich den Bäumen des Herbstes bei einem Nachtfrost; da sah man viele in nackten Reisern, des Laubes beraubt, womit sie sich in dem Umgang des gewöhn¬ lichen Lebens verhüllten." Männer von europäischem und unsterblichem Ruhm wie Herbart legten sich dem Despoten knechtisch zu Füßen, ja der Rector der Universität Bergmann ließ es geschehen, daß das offizielle Blatt der Regierung ihm eine Rede unterschob, die er nach dem Schritte der sieben Göttinger College» an der Spitze einer Universitätsdeputation vor dem Könige in Rothenkirchen gehalten haben sollte, und in welcher lügenhafter Weise ihm eine entschiedene Mißbilligung der Sieben in den Mund gelegt wurde! Die Rache des Königs gegen die ungetreuen königlichen Diener blieb nicht aus. Am 14. December wurden Albrecht, Dahlmann, Gervinus, die Brüder Grimm, Ewald und Weber ihrer Professuren enthoben; Dahlmann, Gervinus und Jacob Grimm auch des Landes verwiesen. Damit war für sie alle das Loos der Verbannung gesprochen. Die Aufregung über den Schritt und das Schicksal der Göttinger Sieben, die Begeisterung für das „strahlende Siebengestirn", das in der tiefsten Nacht des Bundestages aufgegangen, war in ganz Deutschland ungeheuer. Ein- trächtiglich arbeiteten Männer wie der alte Reimer, Gustav Harkort und Johann Jacoby zusammen, um das Lebensschtcksal der tapferen Männer vor Entbehrung und Sorge sicher zu stellen. In Lied und Wort und That wurde noch jahrelang ihre That gefeiert. Die academtsche Jugend hat daran für lange Zeit den Sinn für den alten, durch den Bundestag, die Carlsbader Beschlüsse und die Mainzer Centraluntersuchungscommisston verdunkelten, und verpöntem Idealismus von neuem gekräftigt. Albrecht's Verhalten bei dieser wichtigsten Katastrophe seines Lebens ent- sprach durchaus seiner Natur. Ihm erschien der Protest gegen den Ver- fafsungsbruch als ein einfaches Gebot der Pflicht; der Gedanke, daß er die Willkür des Königs in seinen Staatsrechts-Vorlesungen der Jugend an Stelle der gebrochenen Verfassung als das Staatsgrundgesetz hinstellen könne, war ihm einfach lächerlich und unmöglich. Ihm war daher auch von Anfang an sonnenklar, daß er seinen Lehrstuhl verlassen müsse, wenn die Verfassung ge- brochen werde. Die vielen und intensiven Bezugnahmen auf Eide, die bet andern mehr pathetisch angelegten Naturen unter seinen Schicksalsgenossen damals eine so große Rolle spielten, machten auf Albrecht weniger Eindruck. Ihm stand die Rechtsfrage unerschütterlich fest und diese schrieb ihm sein Verhalten vor. Ihm war das große Geräusch, welches seine That hervorrief, das Bewußtsein beim gemeinen Manne äußerst populär zu sein, einigermaßen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/369>, abgerufen am 27.11.2024.