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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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lische Theilnahme an der großen Aufgabe der deutschen Nationalversamm¬
lung zu bekunden.

Nur einmal noch, zwanzig Jahre später, als Albrecht bei seiner Pensio-
nirung durch das Vertrauen des König Johann von Sachsen zum Mitglied
der I. sächsischen Kammer berufen wurde, hat Albrecht einer parlamentarischen
Versammlung angehört. Die Sitzungen der I. Kammer hat er indessen auch
nur wenige Wochen lang nach seiner Ernennung besucht, und nur einmal
das Wort ergriffen, als es sich um die Berathung eines Gesetzentwurfes
über die Patronatsrechte handelte.

Den deutschen Angelegenheiten aber ist Albrecht trotz seiner persönlichen
Zurückgezogenheit von allen politischen Geschäften stets auf das eifrigste, und
im letzten Jahrzehnt auf das freudigste gefolgt. Er war weit entfernt von
der Verbitterung und Verknöcherung seiner einstigen Göttinger Collegen und
Schicksalsgenossen, Gervinus und Ewald; er stand hoch über der doctrinären
Rechthaberei vieler anderer seiner Staatsxechtscollegen oder Frankfurter Kampf¬
genossen, welche .die historische Entwickelung der deutschen Politik und der
deutschen Verfassung als unerlaubte Abweichungen von dem in ihren engen
Köpfen festgefahrenen, unfehlbaren System, verurtheilten. Albrecht hat seiner
Zeit allerdings auch mit Bismarck gegrollt. Aber er hat auch mit rückhalt¬
loser Freude und stolzester Zuversicht den Wandel der deutschen Verfassungs¬
und Machtverhältnisse in den letzten zehn Jahren begrüßt. Er hat namentlich
den Kulturkampf mit Rom und die Rechtsgesetzgebung des Reichstags
bis in seine letzten Tage mit Spannung und Theilnahme verfolgt.

Albrecht war seit dem Anfang der Vierziger Jahre verheirathet. Er
lernte seine spätere Gattin kennen, als er im Zustande tiefster seelischer De¬
pression -- die Reaction gegen die Göttinger Aufregung und die Ueberan¬
strengung mit Collegienlesen in Leipzig machte sich in einem schweren Nerven¬
leiden geltend -- Marienbad in Böhmen besuchte. Hier traf er in Gesell¬
schaft Savigny's die spätere treue und überaus gemüthvolle und liebenswürdige
Gefährtin seines Lebens. Sie war wesentlich jünger als er. ging aber bereits
vor zehn Jahren im Tode ihm voran, indem sie plötzlich am 8. Oetober
1866 der Leipziger Choleraepidemie erlag. Diese Ehe ist kinderlos geblieben.
Gleichwohl wird die Häuslichkeit Albrecht's Jedem, der dort Eingang fand,
wegen ihrer gemüthlichen herzlichen Natürlichkeit, und der vielseitigen geistigen
Anregung, welche dort geboten wurde, unvergeßlich sein. Sein merkwürdiges
Talent zu freier musikalischer Improvisation ließ Albrecht auch vor Gästen
oftmals hören. Sicher war man, sein Urtheil über die neuesten Erscheinungen
der Literatur -- nicht blos der fachwissenschaftlichen -- bei ihm zu Hause
zu vernehmen. Seit dem Tode der Gattin lebte er ganz zurückgezogen.
Selten nahm er Einladungen bei Freunden an.


lische Theilnahme an der großen Aufgabe der deutschen Nationalversamm¬
lung zu bekunden.

Nur einmal noch, zwanzig Jahre später, als Albrecht bei seiner Pensio-
nirung durch das Vertrauen des König Johann von Sachsen zum Mitglied
der I. sächsischen Kammer berufen wurde, hat Albrecht einer parlamentarischen
Versammlung angehört. Die Sitzungen der I. Kammer hat er indessen auch
nur wenige Wochen lang nach seiner Ernennung besucht, und nur einmal
das Wort ergriffen, als es sich um die Berathung eines Gesetzentwurfes
über die Patronatsrechte handelte.

Den deutschen Angelegenheiten aber ist Albrecht trotz seiner persönlichen
Zurückgezogenheit von allen politischen Geschäften stets auf das eifrigste, und
im letzten Jahrzehnt auf das freudigste gefolgt. Er war weit entfernt von
der Verbitterung und Verknöcherung seiner einstigen Göttinger Collegen und
Schicksalsgenossen, Gervinus und Ewald; er stand hoch über der doctrinären
Rechthaberei vieler anderer seiner Staatsxechtscollegen oder Frankfurter Kampf¬
genossen, welche .die historische Entwickelung der deutschen Politik und der
deutschen Verfassung als unerlaubte Abweichungen von dem in ihren engen
Köpfen festgefahrenen, unfehlbaren System, verurtheilten. Albrecht hat seiner
Zeit allerdings auch mit Bismarck gegrollt. Aber er hat auch mit rückhalt¬
loser Freude und stolzester Zuversicht den Wandel der deutschen Verfassungs¬
und Machtverhältnisse in den letzten zehn Jahren begrüßt. Er hat namentlich
den Kulturkampf mit Rom und die Rechtsgesetzgebung des Reichstags
bis in seine letzten Tage mit Spannung und Theilnahme verfolgt.

Albrecht war seit dem Anfang der Vierziger Jahre verheirathet. Er
lernte seine spätere Gattin kennen, als er im Zustande tiefster seelischer De¬
pression — die Reaction gegen die Göttinger Aufregung und die Ueberan¬
strengung mit Collegienlesen in Leipzig machte sich in einem schweren Nerven¬
leiden geltend — Marienbad in Böhmen besuchte. Hier traf er in Gesell¬
schaft Savigny's die spätere treue und überaus gemüthvolle und liebenswürdige
Gefährtin seines Lebens. Sie war wesentlich jünger als er. ging aber bereits
vor zehn Jahren im Tode ihm voran, indem sie plötzlich am 8. Oetober
1866 der Leipziger Choleraepidemie erlag. Diese Ehe ist kinderlos geblieben.
Gleichwohl wird die Häuslichkeit Albrecht's Jedem, der dort Eingang fand,
wegen ihrer gemüthlichen herzlichen Natürlichkeit, und der vielseitigen geistigen
Anregung, welche dort geboten wurde, unvergeßlich sein. Sein merkwürdiges
Talent zu freier musikalischer Improvisation ließ Albrecht auch vor Gästen
oftmals hören. Sicher war man, sein Urtheil über die neuesten Erscheinungen
der Literatur — nicht blos der fachwissenschaftlichen — bei ihm zu Hause
zu vernehmen. Seit dem Tode der Gattin lebte er ganz zurückgezogen.
Selten nahm er Einladungen bei Freunden an.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/371>, abgerufen am 27.11.2024.