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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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die im Munde des Volkes so gut wie gar nicht mehr existiren und höchstens
von einzelnen polnischen Dienstleuten oder dem katholischen Pfarrer noch ge¬
braucht werden. Kein Mensch sagt mehr: Kamienitza-Mlyn, Dimbrowka,
Lysniewo, Sierakowiee, sondern: Mehltau, Damerkow, Lisnau, Schrockwitz.
Aber der amtliche Sprachgebrauch geht mit seiner Festhaltung des Fremd¬
ländischen ruhig über die Umwandlungen des wirklichen Lebens hinweg,"
u. s. f. Durch solche Zustände, die freilich nur an den sich stetig vorschiebenden
Grenzen des deutschen Hauptsprachgebietes vorkommen, erweist sich die unum¬
gängliche Nothwendigkeit des "Dekretirens" und somit auch das Verdienstliche
einer Thätigkeit, wie sie Herr Präsident v. Wegnern entwickelt.

Scheinbar sehr begründet ist der Einwand gegen die Germanisation der
Ortsnamen, daß dadurch die an die alten Namen geknüpften geschichtlichen
Erinnerungen verwischt werden. Scheinbar. Einzelne Gegner der Umwand¬
lung fordern sogar die Erhaltung der slawischen Ortsnamen als Beweisstücke
der Thatsache, daß im Osten der Saale dereinst überall Slawen gewohnt
haben. Als wenn daran noch irgend jemand zweifelte! Sehen wir ab von
solchen Auswüchsen der Querköpfigkeit, so werden von anderer Seite beachtens-
werthere Belege von Verwischungen geschichtlicher Erinnerungen angeführt.
So wurde im Kopernikus - Verein zu Thorn gerügt, daß Grziwno im Kulmer
Lande den Namen Brunau erhalten hat, da Grziwno doch von Griwe, dem
Oberpriester der alten Preußen, abzuleiten sei und ein Gut oder Feld desselben
bedeute, also zweckmäßig deutsch in Griewenau umzuwandeln gewesen wäre.
Ebenso, daß für Slawkowo nicht der alte deutsche Name Frödenau oder
Freudenau wiederhergestellt worden sei, der davon entnommen worden war,
daß die alten heidnischen Preußen dort Feste feierten; der jetzt angenommene
Name Friedenau habe eine ganz andere Bedeutung. Es ist nun ganz löblich,
wenn auf solche Mißgriffe aufmerksam gemacht wird; in der Wirklichkeit
werden die Fälle aber nur selten vorkommen. Die allermeisten slawischen
Ortsnamen sind in ihrem Ursprung geschichtlich völlig bedeutungs- und werth¬
los. Was aber die späteren geschichtlichen Erinnerungen aus der christlichen
Zeit betrifft, so haften sie bei weitem am meisten an späteren Städten, wie
Gnesen, Tremessen, Kruschwitz, Posen u. s. w., die der Geschichtsforscher auch
in solcher deutschen Hülle leicht erkennen oder deren polnischen Namen er
neben dem deutschen leicht ermitteln wird, wie z. B. Bydgosez für Bromberg,
Wszowa für Fraustadt, Walcz für Deutsch-Krone u. s. w. Ueberdies helfen
die Polen der etwaigen Verlegenheit künftiger Geschichtsforscher gegenwärtig
dadurch ab, daß sie ein Verzeichniß der polnischen Ortsnamen in Posen und
Westpreußen nebst Angabe der deutschen Namen anlegen.

Alle diese und andere Bemängelungen treten gegen das Recht und die
Pflicht der Deutschen und ihrer Staatsgewalt weit an Wichtigkeit zurück, in


die im Munde des Volkes so gut wie gar nicht mehr existiren und höchstens
von einzelnen polnischen Dienstleuten oder dem katholischen Pfarrer noch ge¬
braucht werden. Kein Mensch sagt mehr: Kamienitza-Mlyn, Dimbrowka,
Lysniewo, Sierakowiee, sondern: Mehltau, Damerkow, Lisnau, Schrockwitz.
Aber der amtliche Sprachgebrauch geht mit seiner Festhaltung des Fremd¬
ländischen ruhig über die Umwandlungen des wirklichen Lebens hinweg,"
u. s. f. Durch solche Zustände, die freilich nur an den sich stetig vorschiebenden
Grenzen des deutschen Hauptsprachgebietes vorkommen, erweist sich die unum¬
gängliche Nothwendigkeit des „Dekretirens" und somit auch das Verdienstliche
einer Thätigkeit, wie sie Herr Präsident v. Wegnern entwickelt.

Scheinbar sehr begründet ist der Einwand gegen die Germanisation der
Ortsnamen, daß dadurch die an die alten Namen geknüpften geschichtlichen
Erinnerungen verwischt werden. Scheinbar. Einzelne Gegner der Umwand¬
lung fordern sogar die Erhaltung der slawischen Ortsnamen als Beweisstücke
der Thatsache, daß im Osten der Saale dereinst überall Slawen gewohnt
haben. Als wenn daran noch irgend jemand zweifelte! Sehen wir ab von
solchen Auswüchsen der Querköpfigkeit, so werden von anderer Seite beachtens-
werthere Belege von Verwischungen geschichtlicher Erinnerungen angeführt.
So wurde im Kopernikus - Verein zu Thorn gerügt, daß Grziwno im Kulmer
Lande den Namen Brunau erhalten hat, da Grziwno doch von Griwe, dem
Oberpriester der alten Preußen, abzuleiten sei und ein Gut oder Feld desselben
bedeute, also zweckmäßig deutsch in Griewenau umzuwandeln gewesen wäre.
Ebenso, daß für Slawkowo nicht der alte deutsche Name Frödenau oder
Freudenau wiederhergestellt worden sei, der davon entnommen worden war,
daß die alten heidnischen Preußen dort Feste feierten; der jetzt angenommene
Name Friedenau habe eine ganz andere Bedeutung. Es ist nun ganz löblich,
wenn auf solche Mißgriffe aufmerksam gemacht wird; in der Wirklichkeit
werden die Fälle aber nur selten vorkommen. Die allermeisten slawischen
Ortsnamen sind in ihrem Ursprung geschichtlich völlig bedeutungs- und werth¬
los. Was aber die späteren geschichtlichen Erinnerungen aus der christlichen
Zeit betrifft, so haften sie bei weitem am meisten an späteren Städten, wie
Gnesen, Tremessen, Kruschwitz, Posen u. s. w., die der Geschichtsforscher auch
in solcher deutschen Hülle leicht erkennen oder deren polnischen Namen er
neben dem deutschen leicht ermitteln wird, wie z. B. Bydgosez für Bromberg,
Wszowa für Fraustadt, Walcz für Deutsch-Krone u. s. w. Ueberdies helfen
die Polen der etwaigen Verlegenheit künftiger Geschichtsforscher gegenwärtig
dadurch ab, daß sie ein Verzeichniß der polnischen Ortsnamen in Posen und
Westpreußen nebst Angabe der deutschen Namen anlegen.

Alle diese und andere Bemängelungen treten gegen das Recht und die
Pflicht der Deutschen und ihrer Staatsgewalt weit an Wichtigkeit zurück, in


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[0302] die im Munde des Volkes so gut wie gar nicht mehr existiren und höchstens von einzelnen polnischen Dienstleuten oder dem katholischen Pfarrer noch ge¬ braucht werden. Kein Mensch sagt mehr: Kamienitza-Mlyn, Dimbrowka, Lysniewo, Sierakowiee, sondern: Mehltau, Damerkow, Lisnau, Schrockwitz. Aber der amtliche Sprachgebrauch geht mit seiner Festhaltung des Fremd¬ ländischen ruhig über die Umwandlungen des wirklichen Lebens hinweg," u. s. f. Durch solche Zustände, die freilich nur an den sich stetig vorschiebenden Grenzen des deutschen Hauptsprachgebietes vorkommen, erweist sich die unum¬ gängliche Nothwendigkeit des „Dekretirens" und somit auch das Verdienstliche einer Thätigkeit, wie sie Herr Präsident v. Wegnern entwickelt. Scheinbar sehr begründet ist der Einwand gegen die Germanisation der Ortsnamen, daß dadurch die an die alten Namen geknüpften geschichtlichen Erinnerungen verwischt werden. Scheinbar. Einzelne Gegner der Umwand¬ lung fordern sogar die Erhaltung der slawischen Ortsnamen als Beweisstücke der Thatsache, daß im Osten der Saale dereinst überall Slawen gewohnt haben. Als wenn daran noch irgend jemand zweifelte! Sehen wir ab von solchen Auswüchsen der Querköpfigkeit, so werden von anderer Seite beachtens- werthere Belege von Verwischungen geschichtlicher Erinnerungen angeführt. So wurde im Kopernikus - Verein zu Thorn gerügt, daß Grziwno im Kulmer Lande den Namen Brunau erhalten hat, da Grziwno doch von Griwe, dem Oberpriester der alten Preußen, abzuleiten sei und ein Gut oder Feld desselben bedeute, also zweckmäßig deutsch in Griewenau umzuwandeln gewesen wäre. Ebenso, daß für Slawkowo nicht der alte deutsche Name Frödenau oder Freudenau wiederhergestellt worden sei, der davon entnommen worden war, daß die alten heidnischen Preußen dort Feste feierten; der jetzt angenommene Name Friedenau habe eine ganz andere Bedeutung. Es ist nun ganz löblich, wenn auf solche Mißgriffe aufmerksam gemacht wird; in der Wirklichkeit werden die Fälle aber nur selten vorkommen. Die allermeisten slawischen Ortsnamen sind in ihrem Ursprung geschichtlich völlig bedeutungs- und werth¬ los. Was aber die späteren geschichtlichen Erinnerungen aus der christlichen Zeit betrifft, so haften sie bei weitem am meisten an späteren Städten, wie Gnesen, Tremessen, Kruschwitz, Posen u. s. w., die der Geschichtsforscher auch in solcher deutschen Hülle leicht erkennen oder deren polnischen Namen er neben dem deutschen leicht ermitteln wird, wie z. B. Bydgosez für Bromberg, Wszowa für Fraustadt, Walcz für Deutsch-Krone u. s. w. Ueberdies helfen die Polen der etwaigen Verlegenheit künftiger Geschichtsforscher gegenwärtig dadurch ab, daß sie ein Verzeichniß der polnischen Ortsnamen in Posen und Westpreußen nebst Angabe der deutschen Namen anlegen. Alle diese und andere Bemängelungen treten gegen das Recht und die Pflicht der Deutschen und ihrer Staatsgewalt weit an Wichtigkeit zurück, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/302>, abgerufen am 28.07.2024.