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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Sache jedoch umgekehrt: Im Wesen sind Me Ortschaften der Regierungs¬
bezirke Danzig, Marienwerder und Bromberg, deren Namen mehr oder weniger
verdeutscht worden sind, deutsch -- deutsch nicht blos wegen ihrer Zugehörig¬
keit zum deutschen Reich und wegen des ausschließlich deutschen Charakters
der Gesetze und Institutionen, deren sie sich erfreuen, sondern auch wegen der
Sprache, die von der gesammten oder der an Zahl oder doch an Bildung
und Wohlstand überwiegenden Bevölkerung gesprochen wird. Und es ist nur
die Frage, ob für alle Ewigkeit der polnische Schein beibehalten werden
soll, nachdem das Wesen längst deutsch geworden. Ich meine hieraus hat
ein Deutscher nur eine Antwort. -- Die "Pos. Zeitg." hatte damals (im
Herbst 1874) überhaupt einen unglücklichen Tag; so führte sie denn zugleich
noch folgende zwei Gründe gegen die Verdeutschung an: "das Polenthum
werde dadurch unnöthig gereizt und das sprachliche Gefühl auch der Deutschen
beleidigt"!! Das "sprachliche Gefühl" wird hier mit dem trägen Kleben an
der Gewohnheit verwechselt. Ueber die erstere Anführung gehen wir lieber
mit nachsichtigen Schweigen hinweg, zumal das Blatt unter derselben Re¬
daktion seitdem eine Wendung zu besserer Erkenntniß genommen hat und
jetzt wacker für die Rechte des Deutschthums den Anmaßungen der Polen
gegenüber eintritt, ohne deren Reizung zu scheuen.

Sehr gerechtfertigt ist der Vorwurf gegen die deutsche Umwandlung der
Ortsnamen, daß dabei kein bestimmtes Prinzip obwaltet, sondern die ver¬
schiedensten Gesichtspunkte maßgebend sind. Das ist aber nicht anders möglich,
da die zu Grunde liegende Bewegung aus der Mitte des Volkes hervorge¬
gangen ist und von den Staatsbehörden verschiedener Branchen nur gefördert
oder auch wiederum nach anderen selbständigen Prinzipien betrieben wird.
Dieser Systemlosigkeit würde nur dann abgeholfen werden, wenn die Namen¬
verdeutschung von der obersten Staatsregierung in die Hand genommen und
jeder Ortsname von ihr festgestellt würde. Gegen ein solches "Dekretiren"
vom grünen Tische aus würden sich aber noch viel gewichtigere Bedenken er¬
heben, es würde den deutschen Gutsherrn, Bürgern und Einwohnern, die,
wie wir gesehen haben, ohnedies z. Th. zur Opposition geneigt sind, als eine
Unerträgliche Bevormundung erscheinen und ihnen das nationale Streben
ganz verleiden. Schon die Anordnung der deutschen Schreibweise bei den
Städtenamen des Regierungs-Bezirks Bromberg durch den Präsidenten wurde
bon beachtenswerten Stimmen, besonders von der "Schlesischen Zeitung",
ein solches unberechtigtes "Dekretiren" angegriffen, es wurde verlangt,
daß die Anpassung der Ortsnamen an die deutsche Zunge der Entwickelung
durch die Zeit überlassen würde. In derselben Zeit erhob sich in der "Nordd.
^g- Ztg." eine Stimme, die u. a. äußerte: "Es giebt polnische Ortsnamen
in den amtlichen Listen, auf den offiziellen Ortstafeln, auf den Kreiskarten,


Grenzboten II. 187". 38

Sache jedoch umgekehrt: Im Wesen sind Me Ortschaften der Regierungs¬
bezirke Danzig, Marienwerder und Bromberg, deren Namen mehr oder weniger
verdeutscht worden sind, deutsch — deutsch nicht blos wegen ihrer Zugehörig¬
keit zum deutschen Reich und wegen des ausschließlich deutschen Charakters
der Gesetze und Institutionen, deren sie sich erfreuen, sondern auch wegen der
Sprache, die von der gesammten oder der an Zahl oder doch an Bildung
und Wohlstand überwiegenden Bevölkerung gesprochen wird. Und es ist nur
die Frage, ob für alle Ewigkeit der polnische Schein beibehalten werden
soll, nachdem das Wesen längst deutsch geworden. Ich meine hieraus hat
ein Deutscher nur eine Antwort. — Die „Pos. Zeitg." hatte damals (im
Herbst 1874) überhaupt einen unglücklichen Tag; so führte sie denn zugleich
noch folgende zwei Gründe gegen die Verdeutschung an: „das Polenthum
werde dadurch unnöthig gereizt und das sprachliche Gefühl auch der Deutschen
beleidigt"!! Das „sprachliche Gefühl" wird hier mit dem trägen Kleben an
der Gewohnheit verwechselt. Ueber die erstere Anführung gehen wir lieber
mit nachsichtigen Schweigen hinweg, zumal das Blatt unter derselben Re¬
daktion seitdem eine Wendung zu besserer Erkenntniß genommen hat und
jetzt wacker für die Rechte des Deutschthums den Anmaßungen der Polen
gegenüber eintritt, ohne deren Reizung zu scheuen.

Sehr gerechtfertigt ist der Vorwurf gegen die deutsche Umwandlung der
Ortsnamen, daß dabei kein bestimmtes Prinzip obwaltet, sondern die ver¬
schiedensten Gesichtspunkte maßgebend sind. Das ist aber nicht anders möglich,
da die zu Grunde liegende Bewegung aus der Mitte des Volkes hervorge¬
gangen ist und von den Staatsbehörden verschiedener Branchen nur gefördert
oder auch wiederum nach anderen selbständigen Prinzipien betrieben wird.
Dieser Systemlosigkeit würde nur dann abgeholfen werden, wenn die Namen¬
verdeutschung von der obersten Staatsregierung in die Hand genommen und
jeder Ortsname von ihr festgestellt würde. Gegen ein solches „Dekretiren"
vom grünen Tische aus würden sich aber noch viel gewichtigere Bedenken er¬
heben, es würde den deutschen Gutsherrn, Bürgern und Einwohnern, die,
wie wir gesehen haben, ohnedies z. Th. zur Opposition geneigt sind, als eine
Unerträgliche Bevormundung erscheinen und ihnen das nationale Streben
ganz verleiden. Schon die Anordnung der deutschen Schreibweise bei den
Städtenamen des Regierungs-Bezirks Bromberg durch den Präsidenten wurde
bon beachtenswerten Stimmen, besonders von der „Schlesischen Zeitung",
ein solches unberechtigtes „Dekretiren" angegriffen, es wurde verlangt,
daß die Anpassung der Ortsnamen an die deutsche Zunge der Entwickelung
durch die Zeit überlassen würde. In derselben Zeit erhob sich in der „Nordd.
^g- Ztg." eine Stimme, die u. a. äußerte: „Es giebt polnische Ortsnamen
in den amtlichen Listen, auf den offiziellen Ortstafeln, auf den Kreiskarten,


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[0301] Sache jedoch umgekehrt: Im Wesen sind Me Ortschaften der Regierungs¬ bezirke Danzig, Marienwerder und Bromberg, deren Namen mehr oder weniger verdeutscht worden sind, deutsch — deutsch nicht blos wegen ihrer Zugehörig¬ keit zum deutschen Reich und wegen des ausschließlich deutschen Charakters der Gesetze und Institutionen, deren sie sich erfreuen, sondern auch wegen der Sprache, die von der gesammten oder der an Zahl oder doch an Bildung und Wohlstand überwiegenden Bevölkerung gesprochen wird. Und es ist nur die Frage, ob für alle Ewigkeit der polnische Schein beibehalten werden soll, nachdem das Wesen längst deutsch geworden. Ich meine hieraus hat ein Deutscher nur eine Antwort. — Die „Pos. Zeitg." hatte damals (im Herbst 1874) überhaupt einen unglücklichen Tag; so führte sie denn zugleich noch folgende zwei Gründe gegen die Verdeutschung an: „das Polenthum werde dadurch unnöthig gereizt und das sprachliche Gefühl auch der Deutschen beleidigt"!! Das „sprachliche Gefühl" wird hier mit dem trägen Kleben an der Gewohnheit verwechselt. Ueber die erstere Anführung gehen wir lieber mit nachsichtigen Schweigen hinweg, zumal das Blatt unter derselben Re¬ daktion seitdem eine Wendung zu besserer Erkenntniß genommen hat und jetzt wacker für die Rechte des Deutschthums den Anmaßungen der Polen gegenüber eintritt, ohne deren Reizung zu scheuen. Sehr gerechtfertigt ist der Vorwurf gegen die deutsche Umwandlung der Ortsnamen, daß dabei kein bestimmtes Prinzip obwaltet, sondern die ver¬ schiedensten Gesichtspunkte maßgebend sind. Das ist aber nicht anders möglich, da die zu Grunde liegende Bewegung aus der Mitte des Volkes hervorge¬ gangen ist und von den Staatsbehörden verschiedener Branchen nur gefördert oder auch wiederum nach anderen selbständigen Prinzipien betrieben wird. Dieser Systemlosigkeit würde nur dann abgeholfen werden, wenn die Namen¬ verdeutschung von der obersten Staatsregierung in die Hand genommen und jeder Ortsname von ihr festgestellt würde. Gegen ein solches „Dekretiren" vom grünen Tische aus würden sich aber noch viel gewichtigere Bedenken er¬ heben, es würde den deutschen Gutsherrn, Bürgern und Einwohnern, die, wie wir gesehen haben, ohnedies z. Th. zur Opposition geneigt sind, als eine Unerträgliche Bevormundung erscheinen und ihnen das nationale Streben ganz verleiden. Schon die Anordnung der deutschen Schreibweise bei den Städtenamen des Regierungs-Bezirks Bromberg durch den Präsidenten wurde bon beachtenswerten Stimmen, besonders von der „Schlesischen Zeitung", ein solches unberechtigtes „Dekretiren" angegriffen, es wurde verlangt, daß die Anpassung der Ortsnamen an die deutsche Zunge der Entwickelung durch die Zeit überlassen würde. In derselben Zeit erhob sich in der „Nordd. ^g- Ztg." eine Stimme, die u. a. äußerte: „Es giebt polnische Ortsnamen in den amtlichen Listen, auf den offiziellen Ortstafeln, auf den Kreiskarten, Grenzboten II. 187«. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/301>, abgerufen am 27.11.2024.