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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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krähte: OKristus natus est," wobei der Prediger den Hahnenschrei nachahmte.
"Der Ochse fragte: Ubi udi?" fuhr jener fort, indem er das Ubi brüllend
ausstieß. "Das Schaf antwortete: Zu Bethlehem, zu Bethlehem! Der Esel
endlich ermunterte alle durch ein lainus! kanns! sich zu dem göttlichen Kinde
zu begeben". Das Mittelalter wird Aehnliches in allen Kirchen gehört haben.
Aber noch viel später war dergleichen Verzierung des Kanzelvortrags hier
und da zu finden.

Pere Honore, ein berühmter Kapuziner des siebzehnten Jahrhunderts, zog
während einer Predigt über den Tod und die Eitelkeit und Vergänglichkeit
alles Irdischen plötzlich einen Totenkopf hervor, um ihn anzureden. "Sag
'mal", fragte er ihn, "bist Du etwa der Schädel eines Richters?" Damit
setzte er ihm das Barett eines solchen auf. "Hast Du niemals die Gerechtig¬
keit für schnödes Gold verkauft, Du Schurke? Hast Du niemals in der Sitzung
geschlafen, anstatt den Angeklagten zu hören? Oder bist Du vielleicht der
Kopf eines vielbewunderten hübschen jungen Mädchens gewesen? Ja, das
wirst Du wohl gewesen sein. Obwohl Du jetzt Dein sauberes Gesichtchen
eingebüßt hast, bist Du ganz, was Du ehedem warst. Hodl, hohl, hohl!
Sag doch, wo ist jetzt der reizende Mund mit den rosigen Lippen, und wo
sind die bezaubernden Augen, die so Viele unglücklich machten? Allerdings,
Deine Zähne sind noch so weiß wie früher, ein wahres Fressen für den Teufel."

Noch komödiantenhafter trieb es Brydaine, der einst -- zu Anfang des
vorigen Jahrhunderts -- folgende Posse auf der Kanzel aufführte. Ein Diener
Mußte ihm einen Strick um den Hals legen und ihn mitten durch die an¬
dächtige Gemeinde nach jener hinführen. Oben angelangt, duckte er sich, als
ob er versänke, und verschwand hinter der Einfassung der Kanzel, worauf er
durch Aechzen und Stöhnen einen Verdammten nachahmte, der in der Hölle
die ewige Pein litt. Dann tauchte er wieder auf über der Brüstung und
rief mit Donnerstimme: "Nicht lange, so werdet ihr die Posaune des jüngsten
Gerichts vernehmen. Vielleicht schon morgen! Wie, morgen? Vielleicht schon
heute." Und unmittelbar nach diesen Worten begannen zwölf hinter einem
Vorhange versteckte Trompeter die Weltgerichtsposaune zu blasen.

Ein Mönch, Namens Seraphim, hatte einst Ludwig XIV. zum Zuhörer
bei seiner Predigt. Er begann mit folgender Anrede an den König: "Sire,
ich weiß, daß es Sitte ist, Sie mit einer Höflichkeit zu begrüßen, Sie wollen
wir aber verzeihen, ich habe die ganze Bibel durchstudirt und keinen einzigen
Ausdruck der Höflichkeit gegen Eure Majestät darin zu finden vermocht, und
deshalb werde ich Sie ganz so behandeln wie andere sündhafte Geschöpfe."
Man denke sich, wie diese kecken Worte den stolzesten König seines Jahrhun-
derts berührt haben mögen.

Nicht weniger kühn war in einer Zeit, wo die Revolution den Hochmuth


krähte: OKristus natus est," wobei der Prediger den Hahnenschrei nachahmte.
„Der Ochse fragte: Ubi udi?" fuhr jener fort, indem er das Ubi brüllend
ausstieß. „Das Schaf antwortete: Zu Bethlehem, zu Bethlehem! Der Esel
endlich ermunterte alle durch ein lainus! kanns! sich zu dem göttlichen Kinde
zu begeben". Das Mittelalter wird Aehnliches in allen Kirchen gehört haben.
Aber noch viel später war dergleichen Verzierung des Kanzelvortrags hier
und da zu finden.

Pere Honore, ein berühmter Kapuziner des siebzehnten Jahrhunderts, zog
während einer Predigt über den Tod und die Eitelkeit und Vergänglichkeit
alles Irdischen plötzlich einen Totenkopf hervor, um ihn anzureden. „Sag
'mal", fragte er ihn, „bist Du etwa der Schädel eines Richters?" Damit
setzte er ihm das Barett eines solchen auf. „Hast Du niemals die Gerechtig¬
keit für schnödes Gold verkauft, Du Schurke? Hast Du niemals in der Sitzung
geschlafen, anstatt den Angeklagten zu hören? Oder bist Du vielleicht der
Kopf eines vielbewunderten hübschen jungen Mädchens gewesen? Ja, das
wirst Du wohl gewesen sein. Obwohl Du jetzt Dein sauberes Gesichtchen
eingebüßt hast, bist Du ganz, was Du ehedem warst. Hodl, hohl, hohl!
Sag doch, wo ist jetzt der reizende Mund mit den rosigen Lippen, und wo
sind die bezaubernden Augen, die so Viele unglücklich machten? Allerdings,
Deine Zähne sind noch so weiß wie früher, ein wahres Fressen für den Teufel."

Noch komödiantenhafter trieb es Brydaine, der einst — zu Anfang des
vorigen Jahrhunderts — folgende Posse auf der Kanzel aufführte. Ein Diener
Mußte ihm einen Strick um den Hals legen und ihn mitten durch die an¬
dächtige Gemeinde nach jener hinführen. Oben angelangt, duckte er sich, als
ob er versänke, und verschwand hinter der Einfassung der Kanzel, worauf er
durch Aechzen und Stöhnen einen Verdammten nachahmte, der in der Hölle
die ewige Pein litt. Dann tauchte er wieder auf über der Brüstung und
rief mit Donnerstimme: „Nicht lange, so werdet ihr die Posaune des jüngsten
Gerichts vernehmen. Vielleicht schon morgen! Wie, morgen? Vielleicht schon
heute." Und unmittelbar nach diesen Worten begannen zwölf hinter einem
Vorhange versteckte Trompeter die Weltgerichtsposaune zu blasen.

Ein Mönch, Namens Seraphim, hatte einst Ludwig XIV. zum Zuhörer
bei seiner Predigt. Er begann mit folgender Anrede an den König: „Sire,
ich weiß, daß es Sitte ist, Sie mit einer Höflichkeit zu begrüßen, Sie wollen
wir aber verzeihen, ich habe die ganze Bibel durchstudirt und keinen einzigen
Ausdruck der Höflichkeit gegen Eure Majestät darin zu finden vermocht, und
deshalb werde ich Sie ganz so behandeln wie andere sündhafte Geschöpfe."
Man denke sich, wie diese kecken Worte den stolzesten König seines Jahrhun-
derts berührt haben mögen.

Nicht weniger kühn war in einer Zeit, wo die Revolution den Hochmuth


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/287>, abgerufen am 27.07.2024.