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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Bettlern an allen Orten, das wären einige von den Zügen der alten guten
Zeit. Die Volksschule lag überall tief im Argen, die höheren Unterrichts¬
anstalten waren meist von pedantischen Zopfthum regiert, die Professoren der
Universitäten waren mit einigen Ausnahmen pathetisch und pomphaft auf¬
tretende Mittelmäßigkeiten oder formlose, dem Leben abgewandte Anhäufungen
gelehrten Wissens, häufig auch nicht viel besser als Charlatane, die Studenten
zum großen Theile Säufer und renommistische Raufbolde. In der Literatur
trieben sich die verlotterten Talente zu Dutzenden herum. Die Sprache war
voll von unnützen Fremdwörtern. Den gewordenen, gepreßten, wie das Wild
in Fallen eingefangenen Soldaten blaute die Fuchtel die Regel des Gamaschen¬
dienstes ein. Der Bauer war in der Leibeigenschaft versumpft, der Bürger
in Zunftschranken eingepfercht. Willkür der crassesten Art, Kleinstädterei,
Quacksalberei, Eifersüchtelei von Stadt gegen Stadt, Staat gegen Staat
bildeten die Tagesordnung.

Auch die praktischen Theologen, die protestantischen und katholischen
Stadt- und Landgeistlichen, Pfarrer und Kapläne machten ihrer Mehrzahl
nach in Form und Inhalt ihrer Lehre und in ihrem Leben in gewissen
Perioden der alten Zeit keine Ausnahme von dieser Regel: auch sie standen
weit unter dem, was jetzt deutsche Bildung, Form und Sitte ist.

Ich spreche zunächst von der katholischen Kanzel der alten Zeit, die de߬
halb einen eigenthümlichen Charakter hatte und hier und da noch hat, weil
ihre Prediger vorwiegend bestimmten Orden angehörten, welche eigne Grund¬
sätze über die Art, wie man zum Volke sprechen müsse, ausbildeten und ver¬
folgten. Frühzeitig spielte in Kapuzinerpredigten der Hanswurst eine Rolle,
und da Kapuziner die hauptsächlichsten geistlichen Volksredner waren, so theilte
sich ihr Stil vielfach auch andern predigenden Mönchen und Priestern mit,
und das war nicht allein in Deutschland, sondern auch in Frankreich und
Italien der Fall, ohne daß man an den scurrilen Redewendungen und barocken
Einfällen, mit denen die Betreffenden in der Regel ihre Ermahnungen würzten,
irgendwie Anstoß nahm.

Es gab eine Zeit, in welcher die Scholastik sich an der Sorbonne über
die Fragen klar zu werden suchte- Ob Gott in seiner Allmacht die Welt
auch durch einen Esel habe erlösen lassen können? Ob durch einen Kürbis?
Wie der Esel gepredigt haben könnte, und wie ein Kürbis ohne Arme und
Beine zu kreuzigen gewesen wäre? Man feierte damals Eselsfeste in den
Kirchen und trieb in ihnen allerlei oft recht unheilige Thorheit. In dieser Zeit
oder in den Tagen, wo die Nachklänge solcher Possen sich noch nicht verloren
hatten, wird das zunächst folgende naive Späßchen, welches sich ein Mönch
zu Dijon machte, nicht aufgefallen sein und vielleicht sogar erbaut haben.

Der wackere Kuttenträger predigte von der Geburt Christi: "Der Hahn


Bettlern an allen Orten, das wären einige von den Zügen der alten guten
Zeit. Die Volksschule lag überall tief im Argen, die höheren Unterrichts¬
anstalten waren meist von pedantischen Zopfthum regiert, die Professoren der
Universitäten waren mit einigen Ausnahmen pathetisch und pomphaft auf¬
tretende Mittelmäßigkeiten oder formlose, dem Leben abgewandte Anhäufungen
gelehrten Wissens, häufig auch nicht viel besser als Charlatane, die Studenten
zum großen Theile Säufer und renommistische Raufbolde. In der Literatur
trieben sich die verlotterten Talente zu Dutzenden herum. Die Sprache war
voll von unnützen Fremdwörtern. Den gewordenen, gepreßten, wie das Wild
in Fallen eingefangenen Soldaten blaute die Fuchtel die Regel des Gamaschen¬
dienstes ein. Der Bauer war in der Leibeigenschaft versumpft, der Bürger
in Zunftschranken eingepfercht. Willkür der crassesten Art, Kleinstädterei,
Quacksalberei, Eifersüchtelei von Stadt gegen Stadt, Staat gegen Staat
bildeten die Tagesordnung.

Auch die praktischen Theologen, die protestantischen und katholischen
Stadt- und Landgeistlichen, Pfarrer und Kapläne machten ihrer Mehrzahl
nach in Form und Inhalt ihrer Lehre und in ihrem Leben in gewissen
Perioden der alten Zeit keine Ausnahme von dieser Regel: auch sie standen
weit unter dem, was jetzt deutsche Bildung, Form und Sitte ist.

Ich spreche zunächst von der katholischen Kanzel der alten Zeit, die de߬
halb einen eigenthümlichen Charakter hatte und hier und da noch hat, weil
ihre Prediger vorwiegend bestimmten Orden angehörten, welche eigne Grund¬
sätze über die Art, wie man zum Volke sprechen müsse, ausbildeten und ver¬
folgten. Frühzeitig spielte in Kapuzinerpredigten der Hanswurst eine Rolle,
und da Kapuziner die hauptsächlichsten geistlichen Volksredner waren, so theilte
sich ihr Stil vielfach auch andern predigenden Mönchen und Priestern mit,
und das war nicht allein in Deutschland, sondern auch in Frankreich und
Italien der Fall, ohne daß man an den scurrilen Redewendungen und barocken
Einfällen, mit denen die Betreffenden in der Regel ihre Ermahnungen würzten,
irgendwie Anstoß nahm.

Es gab eine Zeit, in welcher die Scholastik sich an der Sorbonne über
die Fragen klar zu werden suchte- Ob Gott in seiner Allmacht die Welt
auch durch einen Esel habe erlösen lassen können? Ob durch einen Kürbis?
Wie der Esel gepredigt haben könnte, und wie ein Kürbis ohne Arme und
Beine zu kreuzigen gewesen wäre? Man feierte damals Eselsfeste in den
Kirchen und trieb in ihnen allerlei oft recht unheilige Thorheit. In dieser Zeit
oder in den Tagen, wo die Nachklänge solcher Possen sich noch nicht verloren
hatten, wird das zunächst folgende naive Späßchen, welches sich ein Mönch
zu Dijon machte, nicht aufgefallen sein und vielleicht sogar erbaut haben.

Der wackere Kuttenträger predigte von der Geburt Christi: „Der Hahn


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[0286] Bettlern an allen Orten, das wären einige von den Zügen der alten guten Zeit. Die Volksschule lag überall tief im Argen, die höheren Unterrichts¬ anstalten waren meist von pedantischen Zopfthum regiert, die Professoren der Universitäten waren mit einigen Ausnahmen pathetisch und pomphaft auf¬ tretende Mittelmäßigkeiten oder formlose, dem Leben abgewandte Anhäufungen gelehrten Wissens, häufig auch nicht viel besser als Charlatane, die Studenten zum großen Theile Säufer und renommistische Raufbolde. In der Literatur trieben sich die verlotterten Talente zu Dutzenden herum. Die Sprache war voll von unnützen Fremdwörtern. Den gewordenen, gepreßten, wie das Wild in Fallen eingefangenen Soldaten blaute die Fuchtel die Regel des Gamaschen¬ dienstes ein. Der Bauer war in der Leibeigenschaft versumpft, der Bürger in Zunftschranken eingepfercht. Willkür der crassesten Art, Kleinstädterei, Quacksalberei, Eifersüchtelei von Stadt gegen Stadt, Staat gegen Staat bildeten die Tagesordnung. Auch die praktischen Theologen, die protestantischen und katholischen Stadt- und Landgeistlichen, Pfarrer und Kapläne machten ihrer Mehrzahl nach in Form und Inhalt ihrer Lehre und in ihrem Leben in gewissen Perioden der alten Zeit keine Ausnahme von dieser Regel: auch sie standen weit unter dem, was jetzt deutsche Bildung, Form und Sitte ist. Ich spreche zunächst von der katholischen Kanzel der alten Zeit, die de߬ halb einen eigenthümlichen Charakter hatte und hier und da noch hat, weil ihre Prediger vorwiegend bestimmten Orden angehörten, welche eigne Grund¬ sätze über die Art, wie man zum Volke sprechen müsse, ausbildeten und ver¬ folgten. Frühzeitig spielte in Kapuzinerpredigten der Hanswurst eine Rolle, und da Kapuziner die hauptsächlichsten geistlichen Volksredner waren, so theilte sich ihr Stil vielfach auch andern predigenden Mönchen und Priestern mit, und das war nicht allein in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Italien der Fall, ohne daß man an den scurrilen Redewendungen und barocken Einfällen, mit denen die Betreffenden in der Regel ihre Ermahnungen würzten, irgendwie Anstoß nahm. Es gab eine Zeit, in welcher die Scholastik sich an der Sorbonne über die Fragen klar zu werden suchte- Ob Gott in seiner Allmacht die Welt auch durch einen Esel habe erlösen lassen können? Ob durch einen Kürbis? Wie der Esel gepredigt haben könnte, und wie ein Kürbis ohne Arme und Beine zu kreuzigen gewesen wäre? Man feierte damals Eselsfeste in den Kirchen und trieb in ihnen allerlei oft recht unheilige Thorheit. In dieser Zeit oder in den Tagen, wo die Nachklänge solcher Possen sich noch nicht verloren hatten, wird das zunächst folgende naive Späßchen, welches sich ein Mönch zu Dijon machte, nicht aufgefallen sein und vielleicht sogar erbaut haben. Der wackere Kuttenträger predigte von der Geburt Christi: „Der Hahn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/286>, abgerufen am 27.07.2024.