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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Und indem er sich wieder dem Marquis zuwendete, welcher mit Staunen
und Zittern der aufregenden Scene beigewohnt hatte, fuhr er fort:

"Euer Excellenz müssen mir die Freiheit verzeihen, die ich mir genommen
habe. Aber es war meine Pflicht, Eurer Herrlichkeit die Genugthuung zu
geben, die Ihre Güte verdient."

Von diesem Tage an hatte der Marquis V-- keinen treuerer, gehor¬
sameren und dienstbeflisseneren Diener als Vincenzo.

Ich muß in diesem Zusammenhange bemerken, daß, wenn der Marquis
jenen Bedienten selbst übelbehandelt und geschlagen hätte, der ganze Haufen
seiner Dienstleute und derjenigen anderer Herrschaften sich gegen ihn erklärt haben
würde, und daß es dann kein Ende seiner Noth gegeben hätte. Aber daß
er ihn wegen des von ihm begangnen dummen Streiches weggeschickt hatte,
wurde für gerecht angesehen, und daß er ihn auf die Verwendung des Führers
der Mafiusi unter den Dienstleuten wieder in seine Dienste nahm, hielt man
für eine sehr edle und barmherzige Handlung, welche alle Achtung und Aner¬
kennung verdiene, und Vincenzo unterwarf sich ruhig und demüthig der wuch¬
tigen Bearbeitung seiner Backen durch Coka's Fäuste, die ihm als eine Strafe
erschien, während sie, vom Marquis vollzogen, ihm und seiner ganzen Classe
als unleidliche Unbill vorgekommen sein würde.

In jener Züchtigung lag aber noch eine sonderbare und sehr charakteristi¬
sche Eigenthümlichkeit. Cota gebrauchte dabei seine Hand auf Vincenzo's
Gesicht, weil er durch dessen Frau entfernt mit ihm verwandt war und des¬
halb in gewissem Maße das Recht der Vetternschaft ihm gegenüber hatte.
Wäre Vincenzo ein ihm völlig Fremder gewesen, so hätte er nicht seine Hand
brauchen dürfen, sondern nur einen Lederriemen, einen Ochsenziemer oder seine
Füße. Denn jemand mit der Hand ins Gesicht schlagen, heißt ihn, wenn
man nicht ein älterer Verwandter ist, entehren, und der so Beleidigte hat
dann das Recht, es übel zu nehmen und sogar an blutige Rache zu denken,
wenn er sich nicht auf andere Weise Genugthuung verschaffen kann. Jeder
Mann tritt dann auf seine Seite. Dieses Vorurtheil ist ebenfalls morgen¬
ländischen Ursprungs; denn im Orient ist es eine Schande und mit Verlust
der Kaste verbunden, wenn jemandes Gesicht oder Bart von einem Andern
berührt worden ist. Eine tüchtige Auspeitschung mit der Karbatsche wird für
weniger entehrend gehalten als eine einzige Ohrfeige.




Und indem er sich wieder dem Marquis zuwendete, welcher mit Staunen
und Zittern der aufregenden Scene beigewohnt hatte, fuhr er fort:

„Euer Excellenz müssen mir die Freiheit verzeihen, die ich mir genommen
habe. Aber es war meine Pflicht, Eurer Herrlichkeit die Genugthuung zu
geben, die Ihre Güte verdient."

Von diesem Tage an hatte der Marquis V— keinen treuerer, gehor¬
sameren und dienstbeflisseneren Diener als Vincenzo.

Ich muß in diesem Zusammenhange bemerken, daß, wenn der Marquis
jenen Bedienten selbst übelbehandelt und geschlagen hätte, der ganze Haufen
seiner Dienstleute und derjenigen anderer Herrschaften sich gegen ihn erklärt haben
würde, und daß es dann kein Ende seiner Noth gegeben hätte. Aber daß
er ihn wegen des von ihm begangnen dummen Streiches weggeschickt hatte,
wurde für gerecht angesehen, und daß er ihn auf die Verwendung des Führers
der Mafiusi unter den Dienstleuten wieder in seine Dienste nahm, hielt man
für eine sehr edle und barmherzige Handlung, welche alle Achtung und Aner¬
kennung verdiene, und Vincenzo unterwarf sich ruhig und demüthig der wuch¬
tigen Bearbeitung seiner Backen durch Coka's Fäuste, die ihm als eine Strafe
erschien, während sie, vom Marquis vollzogen, ihm und seiner ganzen Classe
als unleidliche Unbill vorgekommen sein würde.

In jener Züchtigung lag aber noch eine sonderbare und sehr charakteristi¬
sche Eigenthümlichkeit. Cota gebrauchte dabei seine Hand auf Vincenzo's
Gesicht, weil er durch dessen Frau entfernt mit ihm verwandt war und des¬
halb in gewissem Maße das Recht der Vetternschaft ihm gegenüber hatte.
Wäre Vincenzo ein ihm völlig Fremder gewesen, so hätte er nicht seine Hand
brauchen dürfen, sondern nur einen Lederriemen, einen Ochsenziemer oder seine
Füße. Denn jemand mit der Hand ins Gesicht schlagen, heißt ihn, wenn
man nicht ein älterer Verwandter ist, entehren, und der so Beleidigte hat
dann das Recht, es übel zu nehmen und sogar an blutige Rache zu denken,
wenn er sich nicht auf andere Weise Genugthuung verschaffen kann. Jeder
Mann tritt dann auf seine Seite. Dieses Vorurtheil ist ebenfalls morgen¬
ländischen Ursprungs; denn im Orient ist es eine Schande und mit Verlust
der Kaste verbunden, wenn jemandes Gesicht oder Bart von einem Andern
berührt worden ist. Eine tüchtige Auspeitschung mit der Karbatsche wird für
weniger entehrend gehalten als eine einzige Ohrfeige.




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[0027] Und indem er sich wieder dem Marquis zuwendete, welcher mit Staunen und Zittern der aufregenden Scene beigewohnt hatte, fuhr er fort: „Euer Excellenz müssen mir die Freiheit verzeihen, die ich mir genommen habe. Aber es war meine Pflicht, Eurer Herrlichkeit die Genugthuung zu geben, die Ihre Güte verdient." Von diesem Tage an hatte der Marquis V— keinen treuerer, gehor¬ sameren und dienstbeflisseneren Diener als Vincenzo. Ich muß in diesem Zusammenhange bemerken, daß, wenn der Marquis jenen Bedienten selbst übelbehandelt und geschlagen hätte, der ganze Haufen seiner Dienstleute und derjenigen anderer Herrschaften sich gegen ihn erklärt haben würde, und daß es dann kein Ende seiner Noth gegeben hätte. Aber daß er ihn wegen des von ihm begangnen dummen Streiches weggeschickt hatte, wurde für gerecht angesehen, und daß er ihn auf die Verwendung des Führers der Mafiusi unter den Dienstleuten wieder in seine Dienste nahm, hielt man für eine sehr edle und barmherzige Handlung, welche alle Achtung und Aner¬ kennung verdiene, und Vincenzo unterwarf sich ruhig und demüthig der wuch¬ tigen Bearbeitung seiner Backen durch Coka's Fäuste, die ihm als eine Strafe erschien, während sie, vom Marquis vollzogen, ihm und seiner ganzen Classe als unleidliche Unbill vorgekommen sein würde. In jener Züchtigung lag aber noch eine sonderbare und sehr charakteristi¬ sche Eigenthümlichkeit. Cota gebrauchte dabei seine Hand auf Vincenzo's Gesicht, weil er durch dessen Frau entfernt mit ihm verwandt war und des¬ halb in gewissem Maße das Recht der Vetternschaft ihm gegenüber hatte. Wäre Vincenzo ein ihm völlig Fremder gewesen, so hätte er nicht seine Hand brauchen dürfen, sondern nur einen Lederriemen, einen Ochsenziemer oder seine Füße. Denn jemand mit der Hand ins Gesicht schlagen, heißt ihn, wenn man nicht ein älterer Verwandter ist, entehren, und der so Beleidigte hat dann das Recht, es übel zu nehmen und sogar an blutige Rache zu denken, wenn er sich nicht auf andere Weise Genugthuung verschaffen kann. Jeder Mann tritt dann auf seine Seite. Dieses Vorurtheil ist ebenfalls morgen¬ ländischen Ursprungs; denn im Orient ist es eine Schande und mit Verlust der Kaste verbunden, wenn jemandes Gesicht oder Bart von einem Andern berührt worden ist. Eine tüchtige Auspeitschung mit der Karbatsche wird für weniger entehrend gehalten als eine einzige Ohrfeige.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/27>, abgerufen am 30.11.2024.