Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.Kicharo Türschmann's Kecitation der beiden Hedipus und der Kntigone des Sophokles. Daß unsere neuere Dichtung gerade in ihren vollendetsten Erscheinungen Kicharo Türschmann's Kecitation der beiden Hedipus und der Kntigone des Sophokles. Daß unsere neuere Dichtung gerade in ihren vollendetsten Erscheinungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135609"/> </div> <div n="1"> <head> Kicharo Türschmann's Kecitation der beiden Hedipus<lb/> und der Kntigone des Sophokles.</head><lb/> <p xml:id="ID_86" next="#ID_87"> Daß unsere neuere Dichtung gerade in ihren vollendetsten Erscheinungen<lb/> von dem griechischen Schönheitsideal beherrscht und durchleuchtet ist, daß sich<lb/> dieses wohlthätigen und bildenden Einflusses der Antike unsere größten Dichter<lb/> stets klar bewußt gewesen sind, ist jedem Kundigen unverkennbar. Ebenso<lb/> gewiß ist es aber, daß nicht bloß der schaffende Künstler, sondern auch der<lb/> ästhetisch Genießende wohl noch auf lange Zeit hin in der altgriechischen<lb/> Poesie Läuterung seines Geschmacksurtheils finden wird. In dieser Ueber¬<lb/> zeugung darf auch die vorübergehende undankbare Gleichgültigkeit, ja unver-<lb/> holene Abneigung sunt streitlustige Feindschaft, die jetzt in manchen Kreisen<lb/> gegen die Antike überhaupt herrscht, uns nicht irre machen. Freilich, wer die<lb/> griechische Dichtung wirklich kennt, wer durch das Dornengestrüpp schwieriger<lb/> Formen, ungewohnter Verbindungen, fremdartiger Anschauungen sich htndurch-<lb/> gerungen hat in die Sonnenlichter Fluren der Homerischen oder Sophokleischen<lb/> Kunst, der wird von Herzen einstimmen in Lichtenberg's Worte: „Meine Be¬<lb/> wunderung der Alten wächst täglich, und ich schätze mich glücklich, daß ich<lb/> von Grund meines Herzens überzeugt bin, daß sie die Unsterblichkeit verdienen,<lb/> die sie erhalten haben." Der wird für unsere Gymnasien, in denen der todte<lb/> Formaltsmus mehr und mehr vor dem begeisterten Erfassen des Kunstideals<lb/> zurückweicht, keinen dringenderen Wunsch hegen, als daß in den oberen Classen<lb/> durch vermehrte Stundenzahl des Griechischen dem Lehrer die Möglichkeit<lb/> geboten werde, eine breitere Anschauung zu geben von dem königlichen Reich¬<lb/> thum der griechischen Literatur. Und dem entsprechend wird er für die Real¬<lb/> schulen solche Uebersetzungen der großen tragischen und epischen Poesien des<lb/> griechischen Alterthums herbeisehnen, wie sie Geibel vor Kurzem von griechischen<lb/> und römischen Lyrikern in seinem vortrefflichen „classischen Liederbuch" gegeben<lb/> hat. Vielleicht daß dann in späteren Generationen die Einsicht allgemeiner<lb/> wird, daß der Ausdruck begeisterter Hochhaltung der Antike nicht leere Redens¬<lb/> arten sind, von Philologen in Umlauf gesetzt, um einen Nimbus um ihre<lb/> wissenschaftliche Thätigkeit zu verbreiten, sondern ernste, innige und dankbare<lb/> Ueberzeugung von Männern, deren Seele durch diese unvergleichlichen Meister¬<lb/> werke erhoben und geläutert ist. Und von je reicheren Erfolgen das be¬<lb/> wunderungswürdige Ringen des Menschengeistes nach Einsicht in den Zu¬<lb/> sammenhang der Naturerscheinungen gekrönt wird, um so mehr müßte er<lb/> Verlangen tragen nach der Welt der stillen ewigen Formen, in deren An¬<lb/> schauung der forschende Verstand am schönsten ausruht; und je mehr der Mensch<lb/> die Naturkräfte seinen praktischen Zwecken dienstbar macht und dadurch die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Kicharo Türschmann's Kecitation der beiden Hedipus
und der Kntigone des Sophokles.
Daß unsere neuere Dichtung gerade in ihren vollendetsten Erscheinungen
von dem griechischen Schönheitsideal beherrscht und durchleuchtet ist, daß sich
dieses wohlthätigen und bildenden Einflusses der Antike unsere größten Dichter
stets klar bewußt gewesen sind, ist jedem Kundigen unverkennbar. Ebenso
gewiß ist es aber, daß nicht bloß der schaffende Künstler, sondern auch der
ästhetisch Genießende wohl noch auf lange Zeit hin in der altgriechischen
Poesie Läuterung seines Geschmacksurtheils finden wird. In dieser Ueber¬
zeugung darf auch die vorübergehende undankbare Gleichgültigkeit, ja unver-
holene Abneigung sunt streitlustige Feindschaft, die jetzt in manchen Kreisen
gegen die Antike überhaupt herrscht, uns nicht irre machen. Freilich, wer die
griechische Dichtung wirklich kennt, wer durch das Dornengestrüpp schwieriger
Formen, ungewohnter Verbindungen, fremdartiger Anschauungen sich htndurch-
gerungen hat in die Sonnenlichter Fluren der Homerischen oder Sophokleischen
Kunst, der wird von Herzen einstimmen in Lichtenberg's Worte: „Meine Be¬
wunderung der Alten wächst täglich, und ich schätze mich glücklich, daß ich
von Grund meines Herzens überzeugt bin, daß sie die Unsterblichkeit verdienen,
die sie erhalten haben." Der wird für unsere Gymnasien, in denen der todte
Formaltsmus mehr und mehr vor dem begeisterten Erfassen des Kunstideals
zurückweicht, keinen dringenderen Wunsch hegen, als daß in den oberen Classen
durch vermehrte Stundenzahl des Griechischen dem Lehrer die Möglichkeit
geboten werde, eine breitere Anschauung zu geben von dem königlichen Reich¬
thum der griechischen Literatur. Und dem entsprechend wird er für die Real¬
schulen solche Uebersetzungen der großen tragischen und epischen Poesien des
griechischen Alterthums herbeisehnen, wie sie Geibel vor Kurzem von griechischen
und römischen Lyrikern in seinem vortrefflichen „classischen Liederbuch" gegeben
hat. Vielleicht daß dann in späteren Generationen die Einsicht allgemeiner
wird, daß der Ausdruck begeisterter Hochhaltung der Antike nicht leere Redens¬
arten sind, von Philologen in Umlauf gesetzt, um einen Nimbus um ihre
wissenschaftliche Thätigkeit zu verbreiten, sondern ernste, innige und dankbare
Ueberzeugung von Männern, deren Seele durch diese unvergleichlichen Meister¬
werke erhoben und geläutert ist. Und von je reicheren Erfolgen das be¬
wunderungswürdige Ringen des Menschengeistes nach Einsicht in den Zu¬
sammenhang der Naturerscheinungen gekrönt wird, um so mehr müßte er
Verlangen tragen nach der Welt der stillen ewigen Formen, in deren An¬
schauung der forschende Verstand am schönsten ausruht; und je mehr der Mensch
die Naturkräfte seinen praktischen Zwecken dienstbar macht und dadurch die
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