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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Georg, so auch fast in bissen Altter, so hab ich mit Rath gutter Leute zu
Verhüllung künfftig alerlej Misverstand me im Namen gottes Georg Christoff
genant und dergestaltt bej dem Rector einschreiben lassen, und sol also sein
und seiner großvattern Namen sum. gott geb im zu allen seinen segen."
Der hier genannte Rector, Dr. Johann Meyer, leitete die Leipziger Universi¬
tät von 1601 -- 1602. Das "Deponiren" gehört zu den Universitätsbräuchen
des 16. und 17. Jahrhunderts. Es war diejenige Ceremonie, durch welche
die "Beanen", die heute sogenannte "Füchse", unter die Studenten aufge¬
nommen wurden, also die Vorläuferin der "Fuchstaufe". Sie bestand eigentlich
aus nichts als lauter rüden Späßen, denen aber allen eine tiefe symbolische
Bedeutung beigelegt wurde. Die zu deponirenden wurden in lächerlicher
Weise angekleidet, es wurde ihnen das Gesicht geschwärzt, Ochsenhörner und
Eselsohren wurden ihnen angesetzt und zwei mächtige Schweinszähne --
"Bacchantenzähne", wie man sie nannte, -- in den Mund gesteckt. Dann hielt
der Depositor eine Ansprache an sie, richtete Fragen an sie, die sie beant¬
worten mußten, darauf wurden die thierischen Gliedmaßen ihnen einzeln ab¬
genommen, wobei sie ermahnt wurden, mit den Schweinszähnen auch alle
Unmäßigkeit. mit den Eselsohren alle Faulheit und mit den Stierhörnern
alle Rohheit abzuthun. Dann wurden sie mit einer Axt beHauen, lang auf
den Boden gelegt und mit einem Hobel ringsum behobelt, es wurde ihnen
das Haar geschnitten, der Bart geschoren, mit einem Ohrlöffel die Ohren ge¬
reinigt und endlich ihnen ein Gefäß mit Wasser über den Kops gegossen und
die lächerliche Verkleidung ausgezogen. Durch alles dies sollte angedeutet sein,
daß sie von nun an ein ganz neues Leben führen, alle schlimmen Gewohn¬
heiten ablegen und durch Wissenschaften und Künste zu gebildeten Menschen
gemacht werden sollten. Diese Depositton war keineswegs ein bloß von den
Studenten eingeführtes Possenspiel, sondern eine von den Obrigkeiten gebilligte
und bis ins 18. Jahrhundert herein aufrecht erhaltene Ceremonie. Niemand
wurde auf einer Universität inseribirt, der sich nicht vorher hatte deponiren
lassen. Nun kam es aber vielfach vor, daß man Knaben, selbst im zartesten
Alter, schon inseribiren ließ. Von Georg Planck's Söhnen war Daniel bei
seiner Jnscription elf, Georg sogar erst vier Jahre alt. In solchen Fällen
wurde die Deposition, natürlich in glimpflicherer Form und nachweislich in
wesentlich abweichender Auffassung, im Kreise der Familie und in Gegenwart
von Freunden des Hauses vorgenommen und als eine Art Familienfest ge¬
gefeiert. Auch Luther hat gelegentlich bet solchen Kinderdepositionen als
Depositor fungirt und die Knaben "absolvirt" oder, wie Planck in seinem
Eintrag sagt, "salfirt". Matthesius erzählt in einer seiner Predigten, daß
Luther bei einer solchen Gelegenheit unter anderm gesprochen habe: "Das ist
nur eine Kinderdeposition, wenn sie erwachsen und in Kirchen, Schulen, Re-


Georg, so auch fast in bissen Altter, so hab ich mit Rath gutter Leute zu
Verhüllung künfftig alerlej Misverstand me im Namen gottes Georg Christoff
genant und dergestaltt bej dem Rector einschreiben lassen, und sol also sein
und seiner großvattern Namen sum. gott geb im zu allen seinen segen."
Der hier genannte Rector, Dr. Johann Meyer, leitete die Leipziger Universi¬
tät von 1601 — 1602. Das „Deponiren" gehört zu den Universitätsbräuchen
des 16. und 17. Jahrhunderts. Es war diejenige Ceremonie, durch welche
die „Beanen", die heute sogenannte „Füchse", unter die Studenten aufge¬
nommen wurden, also die Vorläuferin der „Fuchstaufe". Sie bestand eigentlich
aus nichts als lauter rüden Späßen, denen aber allen eine tiefe symbolische
Bedeutung beigelegt wurde. Die zu deponirenden wurden in lächerlicher
Weise angekleidet, es wurde ihnen das Gesicht geschwärzt, Ochsenhörner und
Eselsohren wurden ihnen angesetzt und zwei mächtige Schweinszähne —
„Bacchantenzähne", wie man sie nannte, — in den Mund gesteckt. Dann hielt
der Depositor eine Ansprache an sie, richtete Fragen an sie, die sie beant¬
worten mußten, darauf wurden die thierischen Gliedmaßen ihnen einzeln ab¬
genommen, wobei sie ermahnt wurden, mit den Schweinszähnen auch alle
Unmäßigkeit. mit den Eselsohren alle Faulheit und mit den Stierhörnern
alle Rohheit abzuthun. Dann wurden sie mit einer Axt beHauen, lang auf
den Boden gelegt und mit einem Hobel ringsum behobelt, es wurde ihnen
das Haar geschnitten, der Bart geschoren, mit einem Ohrlöffel die Ohren ge¬
reinigt und endlich ihnen ein Gefäß mit Wasser über den Kops gegossen und
die lächerliche Verkleidung ausgezogen. Durch alles dies sollte angedeutet sein,
daß sie von nun an ein ganz neues Leben führen, alle schlimmen Gewohn¬
heiten ablegen und durch Wissenschaften und Künste zu gebildeten Menschen
gemacht werden sollten. Diese Depositton war keineswegs ein bloß von den
Studenten eingeführtes Possenspiel, sondern eine von den Obrigkeiten gebilligte
und bis ins 18. Jahrhundert herein aufrecht erhaltene Ceremonie. Niemand
wurde auf einer Universität inseribirt, der sich nicht vorher hatte deponiren
lassen. Nun kam es aber vielfach vor, daß man Knaben, selbst im zartesten
Alter, schon inseribiren ließ. Von Georg Planck's Söhnen war Daniel bei
seiner Jnscription elf, Georg sogar erst vier Jahre alt. In solchen Fällen
wurde die Deposition, natürlich in glimpflicherer Form und nachweislich in
wesentlich abweichender Auffassung, im Kreise der Familie und in Gegenwart
von Freunden des Hauses vorgenommen und als eine Art Familienfest ge¬
gefeiert. Auch Luther hat gelegentlich bet solchen Kinderdepositionen als
Depositor fungirt und die Knaben „absolvirt" oder, wie Planck in seinem
Eintrag sagt, „salfirt". Matthesius erzählt in einer seiner Predigten, daß
Luther bei einer solchen Gelegenheit unter anderm gesprochen habe: „Das ist
nur eine Kinderdeposition, wenn sie erwachsen und in Kirchen, Schulen, Re-


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[0225] Georg, so auch fast in bissen Altter, so hab ich mit Rath gutter Leute zu Verhüllung künfftig alerlej Misverstand me im Namen gottes Georg Christoff genant und dergestaltt bej dem Rector einschreiben lassen, und sol also sein und seiner großvattern Namen sum. gott geb im zu allen seinen segen." Der hier genannte Rector, Dr. Johann Meyer, leitete die Leipziger Universi¬ tät von 1601 — 1602. Das „Deponiren" gehört zu den Universitätsbräuchen des 16. und 17. Jahrhunderts. Es war diejenige Ceremonie, durch welche die „Beanen", die heute sogenannte „Füchse", unter die Studenten aufge¬ nommen wurden, also die Vorläuferin der „Fuchstaufe". Sie bestand eigentlich aus nichts als lauter rüden Späßen, denen aber allen eine tiefe symbolische Bedeutung beigelegt wurde. Die zu deponirenden wurden in lächerlicher Weise angekleidet, es wurde ihnen das Gesicht geschwärzt, Ochsenhörner und Eselsohren wurden ihnen angesetzt und zwei mächtige Schweinszähne — „Bacchantenzähne", wie man sie nannte, — in den Mund gesteckt. Dann hielt der Depositor eine Ansprache an sie, richtete Fragen an sie, die sie beant¬ worten mußten, darauf wurden die thierischen Gliedmaßen ihnen einzeln ab¬ genommen, wobei sie ermahnt wurden, mit den Schweinszähnen auch alle Unmäßigkeit. mit den Eselsohren alle Faulheit und mit den Stierhörnern alle Rohheit abzuthun. Dann wurden sie mit einer Axt beHauen, lang auf den Boden gelegt und mit einem Hobel ringsum behobelt, es wurde ihnen das Haar geschnitten, der Bart geschoren, mit einem Ohrlöffel die Ohren ge¬ reinigt und endlich ihnen ein Gefäß mit Wasser über den Kops gegossen und die lächerliche Verkleidung ausgezogen. Durch alles dies sollte angedeutet sein, daß sie von nun an ein ganz neues Leben führen, alle schlimmen Gewohn¬ heiten ablegen und durch Wissenschaften und Künste zu gebildeten Menschen gemacht werden sollten. Diese Depositton war keineswegs ein bloß von den Studenten eingeführtes Possenspiel, sondern eine von den Obrigkeiten gebilligte und bis ins 18. Jahrhundert herein aufrecht erhaltene Ceremonie. Niemand wurde auf einer Universität inseribirt, der sich nicht vorher hatte deponiren lassen. Nun kam es aber vielfach vor, daß man Knaben, selbst im zartesten Alter, schon inseribiren ließ. Von Georg Planck's Söhnen war Daniel bei seiner Jnscription elf, Georg sogar erst vier Jahre alt. In solchen Fällen wurde die Deposition, natürlich in glimpflicherer Form und nachweislich in wesentlich abweichender Auffassung, im Kreise der Familie und in Gegenwart von Freunden des Hauses vorgenommen und als eine Art Familienfest ge¬ gefeiert. Auch Luther hat gelegentlich bet solchen Kinderdepositionen als Depositor fungirt und die Knaben „absolvirt" oder, wie Planck in seinem Eintrag sagt, „salfirt". Matthesius erzählt in einer seiner Predigten, daß Luther bei einer solchen Gelegenheit unter anderm gesprochen habe: „Das ist nur eine Kinderdeposition, wenn sie erwachsen und in Kirchen, Schulen, Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/225>, abgerufen am 27.07.2024.