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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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mengt; das Licht gab dem ganzen Raum ein fremdartiges, gespenstisches
Aussehen. Er wurde auf einen Stuhl gesetzt, vor ihm befand sich ein impro-
visirtes Theater. Langsam, feierlich und weich ertönte Musik, die einer der
Offiziere hinter einem Vorhang auf einer Ziehharmonika ausführte, und
während die "Citrone" in Bewunderung um sich blickte und lauschte, erhob sich
langsam der Vorhang und mit feierlicher Gravität erschien die tanzende Gott'
heit. Sowie letztere anfing ihre Sprünge zu machen, entdeckte der General
auf dem Gesichte des Indianers einen ganz eigenthümlichen, plötzlich kommenden
und verschwindenden Ausdruck. Er pflegte in späteren Jahren zu erzählen,
daß die Geschichte des ganzen Krieges und Friedensschlusses auf dem einen
Blicke des jungen Gefangenen ruhte. Schnell und erfahren, wie der alte
Soldat war, die Gesichtsausdrucke von Indianern sofort zu verstehen, wußte
er, daß er unabsichtlich an ein großes und tiefes Geheimniß des indianischen
Gemüths gerührt hatte. Es war der Blick nicht der Ausdruck von bloßer
Verwunderung mehr, sondern der des Entsetzens, ein dem Beobachter bekanntes,
tiefes Geheimniß plötzlich vorgeführt zu sehen. -- Und es war allerdings ein
eigenthümliches Geheimniß, an dessen Erinnerung, durch einen Zufall, der
Gefangene mächtig gemahnt wurde. Bei den Navajos herrschte die Sage,
daß sie niemals besiegt werden könnten, bis nicht ein Feind ihnen gegenüber
stünde, welcher den Tanz-Gott mit sich führte. Diese Gottheit war vor
urdenklichen Zeiten den Navajos durch eine "mächtige Medicin" geraubt
worden, und würde, wenn zurückerlangt, einen heiligen Talisman" bilden,
welche also recht eigentlich ihren Schutzgott vorstelle. -- Der junge India¬
ner bewachte mit angestrengtem Eifer jede Bewegung der Marionette; aber die
Bewegungen derselben, welche Kinder der civilisirten Völker zum hellsten
Lachen gebracht hätten, erfüllten den Sohn der Wildniß mit unaussprechlichem
Ernst und tiefer Verehrung. Er sammelte sich offenbar mit Aufmerksamkeit die
Erinnerungen an jede einzelne Bewegung. -- Nach Beendigung der Borstellung
wurde ihm ein gutes Pferd zur Verfügung gestellt, eine schöne wollene Decke
und andere werthvolle Geschenke gereicht und dann wurde er mit der feier¬
lichen Erklärung auf die offene Prairie geführt, daß wenn irgend ein Mit¬
glied seines Stammes sich wieder ums Fort ertappen ließ, dieser sicherlich
ganz auf dieselbe Art bestraft werden würde. --

Das Erste, was die "Citrone" that, als er seinen Stamm erreichte, war,
eine große Rathsversammlung zu berufen, an deren Feuer er Alles ihr"
Widerfahrene wahrheitsgetreu mittheilte. Mancher möchte vielleicht annehmen,
daß nach all den Erlebnissen des Zurückkehrten dieser von Seinesgleichen herz¬
lich empfangen, vielleicht gar bewundert worden wäre. Dem war aber nicht
so; im Gegentheil war sein Empfang sehr feindlicher Natur. Die Mehrzahl
der um das Rathsfeuer Versammelten verlangten die sofortige Hinrichtung


mengt; das Licht gab dem ganzen Raum ein fremdartiges, gespenstisches
Aussehen. Er wurde auf einen Stuhl gesetzt, vor ihm befand sich ein impro-
visirtes Theater. Langsam, feierlich und weich ertönte Musik, die einer der
Offiziere hinter einem Vorhang auf einer Ziehharmonika ausführte, und
während die „Citrone" in Bewunderung um sich blickte und lauschte, erhob sich
langsam der Vorhang und mit feierlicher Gravität erschien die tanzende Gott'
heit. Sowie letztere anfing ihre Sprünge zu machen, entdeckte der General
auf dem Gesichte des Indianers einen ganz eigenthümlichen, plötzlich kommenden
und verschwindenden Ausdruck. Er pflegte in späteren Jahren zu erzählen,
daß die Geschichte des ganzen Krieges und Friedensschlusses auf dem einen
Blicke des jungen Gefangenen ruhte. Schnell und erfahren, wie der alte
Soldat war, die Gesichtsausdrucke von Indianern sofort zu verstehen, wußte
er, daß er unabsichtlich an ein großes und tiefes Geheimniß des indianischen
Gemüths gerührt hatte. Es war der Blick nicht der Ausdruck von bloßer
Verwunderung mehr, sondern der des Entsetzens, ein dem Beobachter bekanntes,
tiefes Geheimniß plötzlich vorgeführt zu sehen. — Und es war allerdings ein
eigenthümliches Geheimniß, an dessen Erinnerung, durch einen Zufall, der
Gefangene mächtig gemahnt wurde. Bei den Navajos herrschte die Sage,
daß sie niemals besiegt werden könnten, bis nicht ein Feind ihnen gegenüber
stünde, welcher den Tanz-Gott mit sich führte. Diese Gottheit war vor
urdenklichen Zeiten den Navajos durch eine „mächtige Medicin" geraubt
worden, und würde, wenn zurückerlangt, einen heiligen Talisman» bilden,
welche also recht eigentlich ihren Schutzgott vorstelle. — Der junge India¬
ner bewachte mit angestrengtem Eifer jede Bewegung der Marionette; aber die
Bewegungen derselben, welche Kinder der civilisirten Völker zum hellsten
Lachen gebracht hätten, erfüllten den Sohn der Wildniß mit unaussprechlichem
Ernst und tiefer Verehrung. Er sammelte sich offenbar mit Aufmerksamkeit die
Erinnerungen an jede einzelne Bewegung. — Nach Beendigung der Borstellung
wurde ihm ein gutes Pferd zur Verfügung gestellt, eine schöne wollene Decke
und andere werthvolle Geschenke gereicht und dann wurde er mit der feier¬
lichen Erklärung auf die offene Prairie geführt, daß wenn irgend ein Mit¬
glied seines Stammes sich wieder ums Fort ertappen ließ, dieser sicherlich
ganz auf dieselbe Art bestraft werden würde. —

Das Erste, was die „Citrone" that, als er seinen Stamm erreichte, war,
eine große Rathsversammlung zu berufen, an deren Feuer er Alles ihr»
Widerfahrene wahrheitsgetreu mittheilte. Mancher möchte vielleicht annehmen,
daß nach all den Erlebnissen des Zurückkehrten dieser von Seinesgleichen herz¬
lich empfangen, vielleicht gar bewundert worden wäre. Dem war aber nicht
so; im Gegentheil war sein Empfang sehr feindlicher Natur. Die Mehrzahl
der um das Rathsfeuer Versammelten verlangten die sofortige Hinrichtung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/186>, abgerufen am 27.07.2024.