Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Indianers einzuschmeicheln. Der Corporal der Patrouille, ein Sachverstän¬
diger in Jndtanerangelegenheiten, kritisirte seinen Vorgesetzten also: "Was
Lieut. Brown über Jnjuns (Indianer) nicht weiß, ist überhaupt nicht werth
gekannt zu sein, giebt es dagegen irgend Etwas, was sein General nicht weiß,
so kostet es demselben höchstens zwei Sekunden, sich wieder daran zu erinnern.
Bei dieser Gelegenheit beehrte der Corporal den Gefangenen, als er ihn in das
Wachlokal oder den "Ochsenpferch" einbrachte mit der herzlichen Ermunterung:
"Geh hinein, Citrone, geh hinein! Wenn der General die eine Hälfte einer
Quetsche und Lieut. Brown die andere Hälfte derselben ist, so hat eine Frucht
wie Du bist nicht viel Aussicht." -- Von dieser Stunde an wurde der Nava-
joskrieger im Fort nicht bei seinem Heldennamen, nicht "Tanzende Eule"
genannt, sondern er hieß für alle Zeiten die Citrone.

Als Lieutenant Brown am nächsten Morgen seinem Gefangenen einen
Besuch abstattete, bemerkte er, daß dieser die ihm gebrachte Nahrung nicht
angerührt hatte. Der Glaube an Marter war geschwunden und hatte entweder
der Ueberzeugung Platz gemacht, daß er vergiftet werden sollte, oder in
dem Wilden war der schreckliche Entschluß gereift, sich zu Tode zu fasten. Der
Lieutenant erkannte die ganze Sachlage sogleich. Sollte er selbst von
der Nahrung genießen, um deren Unschädlichkeit darzuthun? Das hätte den
Gefangenen beschämt und ihn nur widerhaariger gemacht. Sofort fiel der
Lieutenant auf das einzige anzuwendende Mittel. Neben andern Eigenschaf¬
ten hatte Brown eine sehr respektable Fertigkeit in der Ausführung von
Zauberkunststücken erlangt, welche damals am Mtssisippi unter der indianischen
Bezeichnung "Hankey-Partey" bekannt waren. Nur wenige Kunstgriffe waren
ihm fremd und lange Uebung hatte ihm eine Fingerfertigkeit gegeben, wie
wenige Dilettanten sie erreichen. -- Brown verschwand aus dem Ochsenpferch
oder Gefängniß, kehrte aber nach einer Stunde zurück, setzte sich dem Indianer
gegenüber auf den Boden und redete denselben also an:

"Mein Bruder ißt nicht", bemerkte er als Einleitung, nicht im Dialect
der Navajos sondern in dem eines benachbarten Stammes, welchen er mit
ziemlicher Geläufigkeit sprach.

Er erhielt keine weitere Antwort als ein verächtliches "Hugh", welches
wie die Abkürzung eines indianischen Todtengesanges klingen sollte. Da der
Lieutenant nichts anders erwartet hatte, setzte ihn diese Kürze nicht in Verlegen¬
heit, sondern er zog aus seiner Tasche einen kleinen scharlachrothen Sack und
, fuhr fort:

"Solche Nahrung ist allerdings nicht passend für einen so tapferen Krieger,
wie mein Bruder es ist; er soll essen, wie ich selbst esse, d. h. Nahrung, welche
vom Großen Geist selbst gereicht wird." -- Er schlug mehrere Male auf den


Indianers einzuschmeicheln. Der Corporal der Patrouille, ein Sachverstän¬
diger in Jndtanerangelegenheiten, kritisirte seinen Vorgesetzten also: „Was
Lieut. Brown über Jnjuns (Indianer) nicht weiß, ist überhaupt nicht werth
gekannt zu sein, giebt es dagegen irgend Etwas, was sein General nicht weiß,
so kostet es demselben höchstens zwei Sekunden, sich wieder daran zu erinnern.
Bei dieser Gelegenheit beehrte der Corporal den Gefangenen, als er ihn in das
Wachlokal oder den „Ochsenpferch" einbrachte mit der herzlichen Ermunterung:
„Geh hinein, Citrone, geh hinein! Wenn der General die eine Hälfte einer
Quetsche und Lieut. Brown die andere Hälfte derselben ist, so hat eine Frucht
wie Du bist nicht viel Aussicht." — Von dieser Stunde an wurde der Nava-
joskrieger im Fort nicht bei seinem Heldennamen, nicht „Tanzende Eule"
genannt, sondern er hieß für alle Zeiten die Citrone.

Als Lieutenant Brown am nächsten Morgen seinem Gefangenen einen
Besuch abstattete, bemerkte er, daß dieser die ihm gebrachte Nahrung nicht
angerührt hatte. Der Glaube an Marter war geschwunden und hatte entweder
der Ueberzeugung Platz gemacht, daß er vergiftet werden sollte, oder in
dem Wilden war der schreckliche Entschluß gereift, sich zu Tode zu fasten. Der
Lieutenant erkannte die ganze Sachlage sogleich. Sollte er selbst von
der Nahrung genießen, um deren Unschädlichkeit darzuthun? Das hätte den
Gefangenen beschämt und ihn nur widerhaariger gemacht. Sofort fiel der
Lieutenant auf das einzige anzuwendende Mittel. Neben andern Eigenschaf¬
ten hatte Brown eine sehr respektable Fertigkeit in der Ausführung von
Zauberkunststücken erlangt, welche damals am Mtssisippi unter der indianischen
Bezeichnung „Hankey-Partey" bekannt waren. Nur wenige Kunstgriffe waren
ihm fremd und lange Uebung hatte ihm eine Fingerfertigkeit gegeben, wie
wenige Dilettanten sie erreichen. — Brown verschwand aus dem Ochsenpferch
oder Gefängniß, kehrte aber nach einer Stunde zurück, setzte sich dem Indianer
gegenüber auf den Boden und redete denselben also an:

„Mein Bruder ißt nicht", bemerkte er als Einleitung, nicht im Dialect
der Navajos sondern in dem eines benachbarten Stammes, welchen er mit
ziemlicher Geläufigkeit sprach.

Er erhielt keine weitere Antwort als ein verächtliches „Hugh", welches
wie die Abkürzung eines indianischen Todtengesanges klingen sollte. Da der
Lieutenant nichts anders erwartet hatte, setzte ihn diese Kürze nicht in Verlegen¬
heit, sondern er zog aus seiner Tasche einen kleinen scharlachrothen Sack und
, fuhr fort:

„Solche Nahrung ist allerdings nicht passend für einen so tapferen Krieger,
wie mein Bruder es ist; er soll essen, wie ich selbst esse, d. h. Nahrung, welche
vom Großen Geist selbst gereicht wird." — Er schlug mehrere Male auf den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135764"/>
          <p xml:id="ID_613" prev="#ID_612"> Indianers einzuschmeicheln. Der Corporal der Patrouille, ein Sachverstän¬<lb/>
diger in Jndtanerangelegenheiten, kritisirte seinen Vorgesetzten also: &#x201E;Was<lb/>
Lieut. Brown über Jnjuns (Indianer) nicht weiß, ist überhaupt nicht werth<lb/>
gekannt zu sein, giebt es dagegen irgend Etwas, was sein General nicht weiß,<lb/>
so kostet es demselben höchstens zwei Sekunden, sich wieder daran zu erinnern.<lb/>
Bei dieser Gelegenheit beehrte der Corporal den Gefangenen, als er ihn in das<lb/>
Wachlokal oder den &#x201E;Ochsenpferch" einbrachte mit der herzlichen Ermunterung:<lb/>
&#x201E;Geh hinein, Citrone, geh hinein! Wenn der General die eine Hälfte einer<lb/>
Quetsche und Lieut. Brown die andere Hälfte derselben ist, so hat eine Frucht<lb/>
wie Du bist nicht viel Aussicht." &#x2014; Von dieser Stunde an wurde der Nava-<lb/>
joskrieger im Fort nicht bei seinem Heldennamen, nicht &#x201E;Tanzende Eule"<lb/>
genannt, sondern er hieß für alle Zeiten die Citrone.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_614"> Als Lieutenant Brown am nächsten Morgen seinem Gefangenen einen<lb/>
Besuch abstattete, bemerkte er, daß dieser die ihm gebrachte Nahrung nicht<lb/>
angerührt hatte. Der Glaube an Marter war geschwunden und hatte entweder<lb/>
der Ueberzeugung Platz gemacht, daß er vergiftet werden sollte, oder in<lb/>
dem Wilden war der schreckliche Entschluß gereift, sich zu Tode zu fasten. Der<lb/>
Lieutenant erkannte die ganze Sachlage sogleich. Sollte er selbst von<lb/>
der Nahrung genießen, um deren Unschädlichkeit darzuthun? Das hätte den<lb/>
Gefangenen beschämt und ihn nur widerhaariger gemacht. Sofort fiel der<lb/>
Lieutenant auf das einzige anzuwendende Mittel. Neben andern Eigenschaf¬<lb/>
ten hatte Brown eine sehr respektable Fertigkeit in der Ausführung von<lb/>
Zauberkunststücken erlangt, welche damals am Mtssisippi unter der indianischen<lb/>
Bezeichnung &#x201E;Hankey-Partey" bekannt waren. Nur wenige Kunstgriffe waren<lb/>
ihm fremd und lange Uebung hatte ihm eine Fingerfertigkeit gegeben, wie<lb/>
wenige Dilettanten sie erreichen. &#x2014; Brown verschwand aus dem Ochsenpferch<lb/>
oder Gefängniß, kehrte aber nach einer Stunde zurück, setzte sich dem Indianer<lb/>
gegenüber auf den Boden und redete denselben also an:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_615"> &#x201E;Mein Bruder ißt nicht", bemerkte er als Einleitung, nicht im Dialect<lb/>
der Navajos sondern in dem eines benachbarten Stammes, welchen er mit<lb/>
ziemlicher Geläufigkeit sprach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_616"> Er erhielt keine weitere Antwort als ein verächtliches &#x201E;Hugh", welches<lb/>
wie die Abkürzung eines indianischen Todtengesanges klingen sollte. Da der<lb/>
Lieutenant nichts anders erwartet hatte, setzte ihn diese Kürze nicht in Verlegen¬<lb/>
heit, sondern er zog aus seiner Tasche einen kleinen scharlachrothen Sack und<lb/>
, fuhr fort:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_617" next="#ID_618"> &#x201E;Solche Nahrung ist allerdings nicht passend für einen so tapferen Krieger,<lb/>
wie mein Bruder es ist; er soll essen, wie ich selbst esse, d. h. Nahrung, welche<lb/>
vom Großen Geist selbst gereicht wird." &#x2014; Er schlug mehrere Male auf den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0183] Indianers einzuschmeicheln. Der Corporal der Patrouille, ein Sachverstän¬ diger in Jndtanerangelegenheiten, kritisirte seinen Vorgesetzten also: „Was Lieut. Brown über Jnjuns (Indianer) nicht weiß, ist überhaupt nicht werth gekannt zu sein, giebt es dagegen irgend Etwas, was sein General nicht weiß, so kostet es demselben höchstens zwei Sekunden, sich wieder daran zu erinnern. Bei dieser Gelegenheit beehrte der Corporal den Gefangenen, als er ihn in das Wachlokal oder den „Ochsenpferch" einbrachte mit der herzlichen Ermunterung: „Geh hinein, Citrone, geh hinein! Wenn der General die eine Hälfte einer Quetsche und Lieut. Brown die andere Hälfte derselben ist, so hat eine Frucht wie Du bist nicht viel Aussicht." — Von dieser Stunde an wurde der Nava- joskrieger im Fort nicht bei seinem Heldennamen, nicht „Tanzende Eule" genannt, sondern er hieß für alle Zeiten die Citrone. Als Lieutenant Brown am nächsten Morgen seinem Gefangenen einen Besuch abstattete, bemerkte er, daß dieser die ihm gebrachte Nahrung nicht angerührt hatte. Der Glaube an Marter war geschwunden und hatte entweder der Ueberzeugung Platz gemacht, daß er vergiftet werden sollte, oder in dem Wilden war der schreckliche Entschluß gereift, sich zu Tode zu fasten. Der Lieutenant erkannte die ganze Sachlage sogleich. Sollte er selbst von der Nahrung genießen, um deren Unschädlichkeit darzuthun? Das hätte den Gefangenen beschämt und ihn nur widerhaariger gemacht. Sofort fiel der Lieutenant auf das einzige anzuwendende Mittel. Neben andern Eigenschaf¬ ten hatte Brown eine sehr respektable Fertigkeit in der Ausführung von Zauberkunststücken erlangt, welche damals am Mtssisippi unter der indianischen Bezeichnung „Hankey-Partey" bekannt waren. Nur wenige Kunstgriffe waren ihm fremd und lange Uebung hatte ihm eine Fingerfertigkeit gegeben, wie wenige Dilettanten sie erreichen. — Brown verschwand aus dem Ochsenpferch oder Gefängniß, kehrte aber nach einer Stunde zurück, setzte sich dem Indianer gegenüber auf den Boden und redete denselben also an: „Mein Bruder ißt nicht", bemerkte er als Einleitung, nicht im Dialect der Navajos sondern in dem eines benachbarten Stammes, welchen er mit ziemlicher Geläufigkeit sprach. Er erhielt keine weitere Antwort als ein verächtliches „Hugh", welches wie die Abkürzung eines indianischen Todtengesanges klingen sollte. Da der Lieutenant nichts anders erwartet hatte, setzte ihn diese Kürze nicht in Verlegen¬ heit, sondern er zog aus seiner Tasche einen kleinen scharlachrothen Sack und , fuhr fort: „Solche Nahrung ist allerdings nicht passend für einen so tapferen Krieger, wie mein Bruder es ist; er soll essen, wie ich selbst esse, d. h. Nahrung, welche vom Großen Geist selbst gereicht wird." — Er schlug mehrere Male auf den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/183
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/183>, abgerufen am 27.07.2024.