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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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sein!" Da machten die jungen Leute wichtige Mienen, weil jeder für den
unbekannten Starken gehalten sein wollte.

Die Behandlung Kagsagsuk's wurde im Winter noch schlimmer als bis¬
her, er blieb aber geduldig und ließ sich von seiner Stärke nichts merken, bis
endlich eines Tages, als die See zugefroren war, die Nachricht eintraf, daß
man drei große Bären einen Eisberg hinaufklettern sähe. Niemand wagte aber,
sie anzugreifen, und jetzt war Kasägsuk's Zeit gekommen. "Mutter", sagte er,
"gieb mir Deine Stiefeln, daß ich hinausgehe und mir die Bären besehe." Sie
gab sie ihm, indem sie spöttisch sagte: "Dann hol mir ein Fell zum Unter¬
bett und eines zur Decke zum Dank für das Borgen." Er nahm die Stiefeln
und eilte nach den Bären hin. Die Umstehenden riefen: "El, ist das nicht
KagsagsukI Was will der hier. Gebt ihm einen Fußtritt", und die Weiber
sagten: "Der muß verrückt sein." Aber Kagsagsuk lief mitten durch sie hin¬
durch wie durch einen Haufen kleiner Fische, seine Fersen schienen seinen
Nacken zu berühren, und der aufgewirbelte Schnee funkelte in Regenbogen-
farben. Er erstieg den Eisberg, und als der größte Bär seine Tatze gegen
ihn erhob, machte er sich hart (durch Zauber), packte das Thier an den Vorder¬
pfoten, hob es in die Luft und schmetterte es gegen den Eisberg, daß das
ganze Hinterviertel abflog. Dann warf er es zu den Umstehenden hinab,
indem er rief: "Das ist meine erste Jagdbeute, jetzt zieht ihn ab und theilt
ihn euch." Der zweite Bär wurde auf gleiche Weise getödtet. Mit dem dritten
aber schlug er mit den Worten: "Dieser Kerl behandelte mich schändlich"
einen der Umstehenden und gleich darauf mit dem Rufe: "Und dieser machte
es noch ärger" einen zweiten zu Boden, worauf die Andern in großer Be¬
stürzung nach dem Hause flohen. Als Kagsagsuk dort Mit den Bären an¬
kam, ging er auf seine Pflegemutter zu und sagte, indem er ihr zwei Häute
gab, hier wäre ihr Unterbett und ihre Decke, dann befahl er das Fleisch zu
putzen und zu kochen. Man lud ihn jetzt ein, in das Hauptzimmer zu kommen,
er aber blieb unter der Schwelle liegen und sagte: "Ich kann nicht anders
hinüber, als bis mich jemand an den Nasenlöchern hinaufzieht." Niemand
wagte das jetzt, und so mußte seine Pflegemutter es thun. Alle Männer
waren nun sehr höflich gegen ihn. "Tritt näher", sagte der Eine. "Komm
und setze dich", rief ein Anderer. "Nein, nicht dahin, wo die Bank keine
Decke hat", fügte ein Dritter hinzu, "hier ist ein hübscher Sitz für Kagsag-
suk." Einige schrien: "Wir haben Stiefeln für Kagsagsuk", Andere: "Wir
haben Hosen für ihn", und alle Mädchen wollten ihm Kleider machen. Nach
dem Abendessen hieß einer von ihnen ein Mädchen für den "lieben Kagsagsuk"
Wasser holen. Als sie zurückkam und er getrunken, zog er sie an sich und
lobte sie, daß sie so gefällig gewesen. Plötzlich aber drückte er sie so heftig
an sich, daß ihr das Blut aus dem Munde spritzte. Er sagte aber nur:


sein!" Da machten die jungen Leute wichtige Mienen, weil jeder für den
unbekannten Starken gehalten sein wollte.

Die Behandlung Kagsagsuk's wurde im Winter noch schlimmer als bis¬
her, er blieb aber geduldig und ließ sich von seiner Stärke nichts merken, bis
endlich eines Tages, als die See zugefroren war, die Nachricht eintraf, daß
man drei große Bären einen Eisberg hinaufklettern sähe. Niemand wagte aber,
sie anzugreifen, und jetzt war Kasägsuk's Zeit gekommen. „Mutter", sagte er,
„gieb mir Deine Stiefeln, daß ich hinausgehe und mir die Bären besehe." Sie
gab sie ihm, indem sie spöttisch sagte: „Dann hol mir ein Fell zum Unter¬
bett und eines zur Decke zum Dank für das Borgen." Er nahm die Stiefeln
und eilte nach den Bären hin. Die Umstehenden riefen: „El, ist das nicht
KagsagsukI Was will der hier. Gebt ihm einen Fußtritt", und die Weiber
sagten: „Der muß verrückt sein." Aber Kagsagsuk lief mitten durch sie hin¬
durch wie durch einen Haufen kleiner Fische, seine Fersen schienen seinen
Nacken zu berühren, und der aufgewirbelte Schnee funkelte in Regenbogen-
farben. Er erstieg den Eisberg, und als der größte Bär seine Tatze gegen
ihn erhob, machte er sich hart (durch Zauber), packte das Thier an den Vorder¬
pfoten, hob es in die Luft und schmetterte es gegen den Eisberg, daß das
ganze Hinterviertel abflog. Dann warf er es zu den Umstehenden hinab,
indem er rief: „Das ist meine erste Jagdbeute, jetzt zieht ihn ab und theilt
ihn euch." Der zweite Bär wurde auf gleiche Weise getödtet. Mit dem dritten
aber schlug er mit den Worten: „Dieser Kerl behandelte mich schändlich"
einen der Umstehenden und gleich darauf mit dem Rufe: „Und dieser machte
es noch ärger" einen zweiten zu Boden, worauf die Andern in großer Be¬
stürzung nach dem Hause flohen. Als Kagsagsuk dort Mit den Bären an¬
kam, ging er auf seine Pflegemutter zu und sagte, indem er ihr zwei Häute
gab, hier wäre ihr Unterbett und ihre Decke, dann befahl er das Fleisch zu
putzen und zu kochen. Man lud ihn jetzt ein, in das Hauptzimmer zu kommen,
er aber blieb unter der Schwelle liegen und sagte: „Ich kann nicht anders
hinüber, als bis mich jemand an den Nasenlöchern hinaufzieht." Niemand
wagte das jetzt, und so mußte seine Pflegemutter es thun. Alle Männer
waren nun sehr höflich gegen ihn. „Tritt näher", sagte der Eine. „Komm
und setze dich", rief ein Anderer. „Nein, nicht dahin, wo die Bank keine
Decke hat", fügte ein Dritter hinzu, „hier ist ein hübscher Sitz für Kagsag-
suk.« Einige schrien: „Wir haben Stiefeln für Kagsagsuk", Andere: „Wir
haben Hosen für ihn", und alle Mädchen wollten ihm Kleider machen. Nach
dem Abendessen hieß einer von ihnen ein Mädchen für den „lieben Kagsagsuk"
Wasser holen. Als sie zurückkam und er getrunken, zog er sie an sich und
lobte sie, daß sie so gefällig gewesen. Plötzlich aber drückte er sie so heftig
an sich, daß ihr das Blut aus dem Munde spritzte. Er sagte aber nur:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/178>, abgerufen am 27.07.2024.