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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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"El, ich glaube, sie ist geplatzt." Die Eltern erwiderten darauf ganz demüthig:
"Hat nichts zu bedeuten, sie war doch nur gut zum Wasserholen." Als die
Knaben hereinkamen, rief er: "El was werden das für große Walfischjäger
werden", zu gleicher Zeit aber zerquetschte er sie oder riß ihnen Arme und
Beine aus. Die Eltern aber sagten blos: "Schadet nichts, er taugte nicht
viel", oder: "Er spielte nur ein wenig den Schützen." Und so erschlug Kag.
sagsuk alle Insassen des Hauses bis aus die armen Leute, die freundlich gegen
ihn gewesen waren.

Eine Wittwe hatte einen Sohn Tutigak und eine Tochter Nayagta. Als
jener groß wurde, ging er auf die Seehundsjagd. Eines Tages kam er mit
einem sehr großen Seehunde zurück, aus dessen Fell er Riemen zur Jagd
schneiden wollte. Seine Mutter aber wünschte es zu einer Bankdecke, und
als er bei seiner Absicht blieb, bezauberte sie das Fell, indem sie sagte: "Wenn
er dich zu Riemen zerschneidet, wenn er dich entzwei schneidet, so schnappe ab
und schlag ihm in die Augen." Er zerschnitt es trotzdem, als er den ersten
Riemen aber streckte, platzte eine kleine Blase, und der Saft spritzte ihm in
die Augen, so daß er erblindete. Als nun der Winter kam, konnte er nicht
jagen, und so mußten sie blos von Muscheln leben. Da kam eines Tages
ein großer Bär und steckte seinen Kopf durchs Fenster. Die beiden Frauen
flohen erschrocken in die fernste Ecke, der Blinde aber ließ sich von der Schwester
seinen Bogen holen, und indem sie zielen mußte, spannte er ihn und schoß
den Bären durch das Herz. Die Mutter sagte, er habe nur das Fenster ge-
troffen und gab ihm nichts von dem Fleische, sondern ließ ihn noch immer
Muscheln essen. Die Schwester aber sagte ihm die Wahrheit und setzte ihm
seinen Theil von dem Bären vor, wenn die Mutter abwesend war. Als nun
der Frühling kam. sagte die Schwester: "Erinnerst du dich wohl, wie schön
es war, als du noch sehen konntest und wir im Lande herumstrichen." Der
Bruder erwiderte: "Ja wohl, aber laß uns wieder hinausgehen. Ich kann
wich an dich anhalten." So gingen sie am nächsten Morgen hinaus, indem
er sich an ihre Kleider anhielt, und wanderten den ganzen Tag umher, wobei
das Mädchen Gestrüpp zur Feuerung las. Sie kamen auf eine große Ebne
bei einem See, wo der Bruder sagte: "Ich will mich hier ein wenig hinlegen,
Du magst inzwischen mehr Holz suchen." Als er nun so ausruhte, hörte er
das Flattern von wilden Gänsen über sich, und eine davon sagte: "Sieh den
armen jungen Menschen da unten, er ist blind, und ich wollte, wir könnten
ihn sehend machen." Er aber blieb ruhig auf dem Rücken liegen. Da war
ihm, als fiele ihm etwas Warmes aus die Augen; es war aber der Koth
^ner der wilden Gänse, die über ihm hinzogen, und eine Stimme sagte:
"Halt die Augen geschlossen, bis Du unsere Flügel nicht mehr rauschen hörst,
dann kannst Du aufblicken." Er that so, und siehe da, er hatte sein Gesicht


»El, ich glaube, sie ist geplatzt." Die Eltern erwiderten darauf ganz demüthig:
»Hat nichts zu bedeuten, sie war doch nur gut zum Wasserholen." Als die
Knaben hereinkamen, rief er: „El was werden das für große Walfischjäger
werden", zu gleicher Zeit aber zerquetschte er sie oder riß ihnen Arme und
Beine aus. Die Eltern aber sagten blos: „Schadet nichts, er taugte nicht
viel", oder: „Er spielte nur ein wenig den Schützen." Und so erschlug Kag.
sagsuk alle Insassen des Hauses bis aus die armen Leute, die freundlich gegen
ihn gewesen waren.

Eine Wittwe hatte einen Sohn Tutigak und eine Tochter Nayagta. Als
jener groß wurde, ging er auf die Seehundsjagd. Eines Tages kam er mit
einem sehr großen Seehunde zurück, aus dessen Fell er Riemen zur Jagd
schneiden wollte. Seine Mutter aber wünschte es zu einer Bankdecke, und
als er bei seiner Absicht blieb, bezauberte sie das Fell, indem sie sagte: „Wenn
er dich zu Riemen zerschneidet, wenn er dich entzwei schneidet, so schnappe ab
und schlag ihm in die Augen." Er zerschnitt es trotzdem, als er den ersten
Riemen aber streckte, platzte eine kleine Blase, und der Saft spritzte ihm in
die Augen, so daß er erblindete. Als nun der Winter kam, konnte er nicht
jagen, und so mußten sie blos von Muscheln leben. Da kam eines Tages
ein großer Bär und steckte seinen Kopf durchs Fenster. Die beiden Frauen
flohen erschrocken in die fernste Ecke, der Blinde aber ließ sich von der Schwester
seinen Bogen holen, und indem sie zielen mußte, spannte er ihn und schoß
den Bären durch das Herz. Die Mutter sagte, er habe nur das Fenster ge-
troffen und gab ihm nichts von dem Fleische, sondern ließ ihn noch immer
Muscheln essen. Die Schwester aber sagte ihm die Wahrheit und setzte ihm
seinen Theil von dem Bären vor, wenn die Mutter abwesend war. Als nun
der Frühling kam. sagte die Schwester: „Erinnerst du dich wohl, wie schön
es war, als du noch sehen konntest und wir im Lande herumstrichen." Der
Bruder erwiderte: „Ja wohl, aber laß uns wieder hinausgehen. Ich kann
wich an dich anhalten." So gingen sie am nächsten Morgen hinaus, indem
er sich an ihre Kleider anhielt, und wanderten den ganzen Tag umher, wobei
das Mädchen Gestrüpp zur Feuerung las. Sie kamen auf eine große Ebne
bei einem See, wo der Bruder sagte: „Ich will mich hier ein wenig hinlegen,
Du magst inzwischen mehr Holz suchen." Als er nun so ausruhte, hörte er
das Flattern von wilden Gänsen über sich, und eine davon sagte: „Sieh den
armen jungen Menschen da unten, er ist blind, und ich wollte, wir könnten
ihn sehend machen." Er aber blieb ruhig auf dem Rücken liegen. Da war
ihm, als fiele ihm etwas Warmes aus die Augen; es war aber der Koth
^ner der wilden Gänse, die über ihm hinzogen, und eine Stimme sagte:
»Halt die Augen geschlossen, bis Du unsere Flügel nicht mehr rauschen hörst,
dann kannst Du aufblicken." Er that so, und siehe da, er hatte sein Gesicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/179>, abgerufen am 27.07.2024.