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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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rei. in. e. II- 118 und die Romanze über Pietro Barliano (oder Bailardo)
als Zugabe, ferner Pfeiffer's Germ. V. 94). Von der Statue, welche die
unkeuschen Frauen in die Hand biß, wenn sie ihr dieselbe in den offnen
Mund steckten, wußten sogar die Mongolen zu erzählen (vgl. Jülg "mongol.
Märchen", Insbruck 1868) und ganz ähnlich verhält es sich mit dem Bilde,
respective Kopf des Mercur, welcher im Tiber von Heiden versteckt und von
einer Frau gefunden, von dieser in ihrem Prozeß gegen den Kaiser Julian
zum Schiedsrichter gewählt wird und den Kaiser, als er ihm die Hand in den
Mund steckte, diese festhält so lange, bis Julian den Christengott wieder ab¬
schwört (Maßmann's "Kaiserchron." II. 105). Besonders an die Figur des
Zauberers Virgilius im Mittelalter knüpfen sich ähnliche Sagen, so der eherne
Bogenschütze zu Neapel, welcher in der Nähe eines immer brennenden Feuers
stand und die Inschrift trug: "Wenn Jemand mich schlägt, so schieß ich", und
der dann auch wirklich einen Narren, der ihn schlug, mit dem Pfeile schoß und
obendrein ins Feuer warf; sodann die ebenfalls eherne Bildsäule, "Fslvatio
Romav" genannt, welche mit einer Glocke schellte, sobald innerhalb des römi¬
schen Reiches irgend ein Volk sich empörte, und zwar gerade mit der Glocke,
welche auf den Namen des ihr eingeschriebenen Volkes deutete; rings um
den Leib waren sämmtliche Völker mit Namen verzeichnet und jedes durch
eine Glocke vertreten (S. d. sieben weisen Meister). Auch die zwei ehernen
Männer, ein Kunststück desselben Virgil's, welche jeden Samstag Schlag 9 Uhr
sich einen ehernen Ball zuwarfen, mögen hierher gerechnet werden.

In dem bekannten fabulosen Geschichtsbuch "gestg, living.noi'um" wird
eine Statue in einem unterirdischen Saal erwähnt, welche den Bogen gespannt
hält gegen einen glänzenden Karfunkel, später wirklich losschießt und den Kar¬
funkel zertrümmert. Eine Sage, welche unter dem Namen "der heilige Niklaus
und der Dieb" sich in der Grimm'schen Sammlung befindet, erzählt, wie der
Dieb, nachdem er den Gotteskasten beraubt, dem Heiligen den Borschlag
macht, mit ihm um die Wette zu laufen. Wirklich läuft das steinerne Bild
und überholt den Dieb dreimal, gleichwohl behält dieser seine Beute. Es ist
nichts als eine Spielart derselben Sage, wenn die Rollen des Diebes und des
Sanct Nikolaus auf den Verwalter und das Marienbild übertragen werden,
wie denn letzteres von der Legende in allerlei, oft ganz curiosen Situationen
dargestellt wird. Mit unserem Fall hat einige Aehnlichkeit die Geschichte,
welche dem heiligen Bernhard mit dem Muttergottesbild passirte. Als er
nämlich, so heißt es, einmal etwas spät zur Predigt kam, erhob das Marien¬
bild drohend den Finger gegen ihn und sprach laut die Worte: Veuis taräv,
Lanet Lörudaräe, worauf dieser entschlossen zur Antwort gab: znulior taevat
in ecclesia. Einen andern, aber gleichwohl hierhergehörenden Zug erzählt
G. Keller in seinen: "sieben Legenden." Eine Nonne hätte als Schaffnerin


rei. in. e. II- 118 und die Romanze über Pietro Barliano (oder Bailardo)
als Zugabe, ferner Pfeiffer's Germ. V. 94). Von der Statue, welche die
unkeuschen Frauen in die Hand biß, wenn sie ihr dieselbe in den offnen
Mund steckten, wußten sogar die Mongolen zu erzählen (vgl. Jülg „mongol.
Märchen", Insbruck 1868) und ganz ähnlich verhält es sich mit dem Bilde,
respective Kopf des Mercur, welcher im Tiber von Heiden versteckt und von
einer Frau gefunden, von dieser in ihrem Prozeß gegen den Kaiser Julian
zum Schiedsrichter gewählt wird und den Kaiser, als er ihm die Hand in den
Mund steckte, diese festhält so lange, bis Julian den Christengott wieder ab¬
schwört (Maßmann's „Kaiserchron." II. 105). Besonders an die Figur des
Zauberers Virgilius im Mittelalter knüpfen sich ähnliche Sagen, so der eherne
Bogenschütze zu Neapel, welcher in der Nähe eines immer brennenden Feuers
stand und die Inschrift trug: „Wenn Jemand mich schlägt, so schieß ich", und
der dann auch wirklich einen Narren, der ihn schlug, mit dem Pfeile schoß und
obendrein ins Feuer warf; sodann die ebenfalls eherne Bildsäule, „Fslvatio
Romav" genannt, welche mit einer Glocke schellte, sobald innerhalb des römi¬
schen Reiches irgend ein Volk sich empörte, und zwar gerade mit der Glocke,
welche auf den Namen des ihr eingeschriebenen Volkes deutete; rings um
den Leib waren sämmtliche Völker mit Namen verzeichnet und jedes durch
eine Glocke vertreten (S. d. sieben weisen Meister). Auch die zwei ehernen
Männer, ein Kunststück desselben Virgil's, welche jeden Samstag Schlag 9 Uhr
sich einen ehernen Ball zuwarfen, mögen hierher gerechnet werden.

In dem bekannten fabulosen Geschichtsbuch „gestg, living.noi'um" wird
eine Statue in einem unterirdischen Saal erwähnt, welche den Bogen gespannt
hält gegen einen glänzenden Karfunkel, später wirklich losschießt und den Kar¬
funkel zertrümmert. Eine Sage, welche unter dem Namen „der heilige Niklaus
und der Dieb" sich in der Grimm'schen Sammlung befindet, erzählt, wie der
Dieb, nachdem er den Gotteskasten beraubt, dem Heiligen den Borschlag
macht, mit ihm um die Wette zu laufen. Wirklich läuft das steinerne Bild
und überholt den Dieb dreimal, gleichwohl behält dieser seine Beute. Es ist
nichts als eine Spielart derselben Sage, wenn die Rollen des Diebes und des
Sanct Nikolaus auf den Verwalter und das Marienbild übertragen werden,
wie denn letzteres von der Legende in allerlei, oft ganz curiosen Situationen
dargestellt wird. Mit unserem Fall hat einige Aehnlichkeit die Geschichte,
welche dem heiligen Bernhard mit dem Muttergottesbild passirte. Als er
nämlich, so heißt es, einmal etwas spät zur Predigt kam, erhob das Marien¬
bild drohend den Finger gegen ihn und sprach laut die Worte: Veuis taräv,
Lanet Lörudaräe, worauf dieser entschlossen zur Antwort gab: znulior taevat
in ecclesia. Einen andern, aber gleichwohl hierhergehörenden Zug erzählt
G. Keller in seinen: „sieben Legenden." Eine Nonne hätte als Schaffnerin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/136>, abgerufen am 27.11.2024.