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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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mentes, als wandelnder und aus dem Steinbild herauswirkender Geist, noch
dazu in die Potenz des Ermordeten erhoben, der seinen, menschliche und gött¬
liche Scheu versöhnenden Mörder aufsucht -- Das alles sieht nicht nach der
Erfindung eines einzelnen Dichterindividuums aus, und ebensowenig kann es
die Schlauheit der Menschen ausgeheckt haben. Man wollte nämlich, allzu¬
rationalistisch, behaupten, die Mönche hätten die Sage ersonnen, um den
Verdacht einer Unthat von sich abzulenken. Sie hätten den Wüstling Don
Juan, der auch ihnen und der Kirche arg mitgespielt habe, unter irgend
einem Vorwand in ein Kloster gelockt und hier ermordet, dann aber das Ge¬
rücht ausgesprengt, der Frevler sei von der Statue des Comthurs, die er in
der Capelle insultirt, in die Hölle gestürzt worden,*) Aus einem solchen
Lügenmärchen blüht aber niemals die Sage hervor. Der Spanier Eugenio
Ochoa, der geneigt ist, jenen Mord durch die Franciskaner als eine geschicht¬
liche Thatsache zu betrachten, giebt doch zu, daß "die Sage vom Don Juan
sehr im Charakter jener Epoche gehalten und ganz dazu geeignet ist, die
Einbildungskraft der Dichter zu entflammen" u. s. w. Wir unserseits finden,
daß auch der ganze Inhalt gar sehr im Geiste der Sage gehalten und von
allen den Elementen gesättigt ist, welche wir bei der Sage treffen. Und zu
diesen inneren Gründen treten nun auch äußere bestätigend hinzu. Schon
der Schluß des Tirso'schen Stückes beweist wenigstens so viel, daß die Sage,
wie es ja immer der Fall ist, an concrete Erscheinungen anknüpfte. Nachdem
dort nämlich Don Juan in der Capelle des Comthurs, wo er diesem einen
Gegenbesuch gemacht hat, sammt Grabmal und Statue in die Erde versunken
ist, sagt der König:


Laßt das Grabmal übertragen
Nach Madrid in San Francisco.
Warnung für die spät'sten Tage.

Das konnte ein Theaterdichter, der sein ganzes Leben abwechselnd theils
in Sevilla, theils in Madrid zubrachte, keine seiner Personen, am allerwenigsten
einen König und noch dazu an der markirtesten Stelle des Stückes, am Ende,
sagen lassen, wenn nicht Thatsachen zu Grunde lagen. Allerdings können
wir uns nicht recht denken, wie ein versunkenes Grabmal translocirt
werden kann, aber dadurch wird unsere oben ausgesprochene Behauptung
nicht erschüttert. Nach der Angabe eines spanischen Forschers (des schon oben
erwähnten Ochoa) wurde Capelle sammt Statue des Comthurs, welche im
Kloster San Francisco (zu Sevilla) sich befanden, um die Mitte des 18. Jahr-



*) Man muß sich nur wundern, daß nicht auch dem Dichter, der ja Prior eines Barfüßer¬
klosters war, die Tendenz untergeschoben wurde, nachträglich auch noch durch das Mittel der
Poesie seine Confralres, von dem Verdachte zu entblößen! Vielleicht ist es nur darum nicht
geschehen, weit man bemerkte, daß bei diesem sonderbaren Kauz von Poeten gerade die Priester
sehr übel wegkamen!

mentes, als wandelnder und aus dem Steinbild herauswirkender Geist, noch
dazu in die Potenz des Ermordeten erhoben, der seinen, menschliche und gött¬
liche Scheu versöhnenden Mörder aufsucht — Das alles sieht nicht nach der
Erfindung eines einzelnen Dichterindividuums aus, und ebensowenig kann es
die Schlauheit der Menschen ausgeheckt haben. Man wollte nämlich, allzu¬
rationalistisch, behaupten, die Mönche hätten die Sage ersonnen, um den
Verdacht einer Unthat von sich abzulenken. Sie hätten den Wüstling Don
Juan, der auch ihnen und der Kirche arg mitgespielt habe, unter irgend
einem Vorwand in ein Kloster gelockt und hier ermordet, dann aber das Ge¬
rücht ausgesprengt, der Frevler sei von der Statue des Comthurs, die er in
der Capelle insultirt, in die Hölle gestürzt worden,*) Aus einem solchen
Lügenmärchen blüht aber niemals die Sage hervor. Der Spanier Eugenio
Ochoa, der geneigt ist, jenen Mord durch die Franciskaner als eine geschicht¬
liche Thatsache zu betrachten, giebt doch zu, daß „die Sage vom Don Juan
sehr im Charakter jener Epoche gehalten und ganz dazu geeignet ist, die
Einbildungskraft der Dichter zu entflammen" u. s. w. Wir unserseits finden,
daß auch der ganze Inhalt gar sehr im Geiste der Sage gehalten und von
allen den Elementen gesättigt ist, welche wir bei der Sage treffen. Und zu
diesen inneren Gründen treten nun auch äußere bestätigend hinzu. Schon
der Schluß des Tirso'schen Stückes beweist wenigstens so viel, daß die Sage,
wie es ja immer der Fall ist, an concrete Erscheinungen anknüpfte. Nachdem
dort nämlich Don Juan in der Capelle des Comthurs, wo er diesem einen
Gegenbesuch gemacht hat, sammt Grabmal und Statue in die Erde versunken
ist, sagt der König:


Laßt das Grabmal übertragen
Nach Madrid in San Francisco.
Warnung für die spät'sten Tage.

Das konnte ein Theaterdichter, der sein ganzes Leben abwechselnd theils
in Sevilla, theils in Madrid zubrachte, keine seiner Personen, am allerwenigsten
einen König und noch dazu an der markirtesten Stelle des Stückes, am Ende,
sagen lassen, wenn nicht Thatsachen zu Grunde lagen. Allerdings können
wir uns nicht recht denken, wie ein versunkenes Grabmal translocirt
werden kann, aber dadurch wird unsere oben ausgesprochene Behauptung
nicht erschüttert. Nach der Angabe eines spanischen Forschers (des schon oben
erwähnten Ochoa) wurde Capelle sammt Statue des Comthurs, welche im
Kloster San Francisco (zu Sevilla) sich befanden, um die Mitte des 18. Jahr-



*) Man muß sich nur wundern, daß nicht auch dem Dichter, der ja Prior eines Barfüßer¬
klosters war, die Tendenz untergeschoben wurde, nachträglich auch noch durch das Mittel der
Poesie seine Confralres, von dem Verdachte zu entblößen! Vielleicht ist es nur darum nicht
geschehen, weit man bemerkte, daß bei diesem sonderbaren Kauz von Poeten gerade die Priester
sehr übel wegkamen!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/130>, abgerufen am 27.07.2024.