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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Deutschland bekam man den ganzen, wirklichen, Mozart'schen Don Juan mit
allen Recitativen zu hören und noch Rochlitz brachte in seiner sonst geschmack¬
vollen Uebersetzung (1802) den Dialog an. Ob Franz Kugler's Wunsch, der
in einem lesenswerthen Aufsatz auf eine endliche radicale Säuberung des viel¬
fach verunstalteten Textes und auf eine der Würde der Musik entsprechende
Uebersetzung dringt, an irgend einer Bühne Wiederhall, d. h. Berücksichtigung
gefunden habe, weiß ich nicht anzugeben.

Sicher ist nun, daß die Sage von Don Juan, wenn es eine solche ist,
das heißt die Sage vom steinernen Gaste und seine Beziehungen zu Don Juan,
zuerst von jenem Gabriel Tellez poetisch gestaltet und aus der Dämmerregion
des Volksbewußtseins in den hellen Glanz der Literatur eingeführt wurde;
es geschah dieß in dem oben erwähnten Stück "der Verführer von Sevilla und
der steinerne Gast". Ich habe absichtlich die Sage vom Don Juan in die Ver¬
bindung der zwei Faktoren, der Persönlichkeit des Don Juan und der Er¬
scheinung des steinernen Gastes, gesetzt, denn was als die Hauptsache der
ganzen Sage erscheint, die wandelnde, sprechende und wirkende Statue, ist
nicht zuerst von Tellez zum literarischen Eigenthum der Spanier gemacht
worden, sondern schon von Lope de Vega, wie wir gleich sehen werden, und
es kann sich nur noch um die beiden Fragen handeln: Ist das steinerne Bild
in seiner Eigenschaft als Gast seines Mörders die Erfindung des Dichters oder
hat die Sage es schon in diese eigenthümliche Beziehung gebracht -- und,
zweitens, wenn dieß der Fall ist, haben wir auch in dem Helden Don Juan
eine Gestaltung der Sage d. h. einen historischen oder mythologischen, von
der Sage umsponnenen Kern oder eine Phantasie des Dichters zu erkennen?
Die Sage schafft bekanntlich ihre Gestalten nie aus dem Nichts, sondern
sie bildet eine Hülle um einen vorhandenen Kern, sie hat den Don Juan
jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen, sondern so oder so vorgefunden und
auch der Gast im Hause des Mörders bedingt nothwendig eine concrete, be¬
kannte Gestalt, welche als Rächer jenem gegenübertritt. War aber der
Mörder schon von der Sage gegeben, so fehlte dem Dichter nicht nur
jeder Grund, die einmal vorgefundene Persönlichkeit willkürlich mit einer
andern zu vertauschen, sondern auch jede Berechtigung; die Autorität der
Sage mußte bei ihm unbedingt überwiegen, die Rücksicht, die Gewohnheit,
sein eigenes poetisches Interesse geboten es. Und man darf wohl sagen,
die ganze Don Juan-Geschichte trägt das volle, ganze Gepräge des sagen¬
haften an sich: Die typische Figur des Helden als Repräsentanten des rück¬
sichtslosesten Lebensgenusses, eines Genusses, der nur und ausschließlich in deo
irdischen Lust sein Genüge findet und in der Brust seines Besitzers nicht
einmal den Schauern der Geisterwelt, des Dämonischen, einen bescheidenen
Platz gönnen will, und hinwiederum der Vertreter dieses dämonischen Ele-


Deutschland bekam man den ganzen, wirklichen, Mozart'schen Don Juan mit
allen Recitativen zu hören und noch Rochlitz brachte in seiner sonst geschmack¬
vollen Uebersetzung (1802) den Dialog an. Ob Franz Kugler's Wunsch, der
in einem lesenswerthen Aufsatz auf eine endliche radicale Säuberung des viel¬
fach verunstalteten Textes und auf eine der Würde der Musik entsprechende
Uebersetzung dringt, an irgend einer Bühne Wiederhall, d. h. Berücksichtigung
gefunden habe, weiß ich nicht anzugeben.

Sicher ist nun, daß die Sage von Don Juan, wenn es eine solche ist,
das heißt die Sage vom steinernen Gaste und seine Beziehungen zu Don Juan,
zuerst von jenem Gabriel Tellez poetisch gestaltet und aus der Dämmerregion
des Volksbewußtseins in den hellen Glanz der Literatur eingeführt wurde;
es geschah dieß in dem oben erwähnten Stück „der Verführer von Sevilla und
der steinerne Gast". Ich habe absichtlich die Sage vom Don Juan in die Ver¬
bindung der zwei Faktoren, der Persönlichkeit des Don Juan und der Er¬
scheinung des steinernen Gastes, gesetzt, denn was als die Hauptsache der
ganzen Sage erscheint, die wandelnde, sprechende und wirkende Statue, ist
nicht zuerst von Tellez zum literarischen Eigenthum der Spanier gemacht
worden, sondern schon von Lope de Vega, wie wir gleich sehen werden, und
es kann sich nur noch um die beiden Fragen handeln: Ist das steinerne Bild
in seiner Eigenschaft als Gast seines Mörders die Erfindung des Dichters oder
hat die Sage es schon in diese eigenthümliche Beziehung gebracht — und,
zweitens, wenn dieß der Fall ist, haben wir auch in dem Helden Don Juan
eine Gestaltung der Sage d. h. einen historischen oder mythologischen, von
der Sage umsponnenen Kern oder eine Phantasie des Dichters zu erkennen?
Die Sage schafft bekanntlich ihre Gestalten nie aus dem Nichts, sondern
sie bildet eine Hülle um einen vorhandenen Kern, sie hat den Don Juan
jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen, sondern so oder so vorgefunden und
auch der Gast im Hause des Mörders bedingt nothwendig eine concrete, be¬
kannte Gestalt, welche als Rächer jenem gegenübertritt. War aber der
Mörder schon von der Sage gegeben, so fehlte dem Dichter nicht nur
jeder Grund, die einmal vorgefundene Persönlichkeit willkürlich mit einer
andern zu vertauschen, sondern auch jede Berechtigung; die Autorität der
Sage mußte bei ihm unbedingt überwiegen, die Rücksicht, die Gewohnheit,
sein eigenes poetisches Interesse geboten es. Und man darf wohl sagen,
die ganze Don Juan-Geschichte trägt das volle, ganze Gepräge des sagen¬
haften an sich: Die typische Figur des Helden als Repräsentanten des rück¬
sichtslosesten Lebensgenusses, eines Genusses, der nur und ausschließlich in deo
irdischen Lust sein Genüge findet und in der Brust seines Besitzers nicht
einmal den Schauern der Geisterwelt, des Dämonischen, einen bescheidenen
Platz gönnen will, und hinwiederum der Vertreter dieses dämonischen Ele-


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[0129] Deutschland bekam man den ganzen, wirklichen, Mozart'schen Don Juan mit allen Recitativen zu hören und noch Rochlitz brachte in seiner sonst geschmack¬ vollen Uebersetzung (1802) den Dialog an. Ob Franz Kugler's Wunsch, der in einem lesenswerthen Aufsatz auf eine endliche radicale Säuberung des viel¬ fach verunstalteten Textes und auf eine der Würde der Musik entsprechende Uebersetzung dringt, an irgend einer Bühne Wiederhall, d. h. Berücksichtigung gefunden habe, weiß ich nicht anzugeben. Sicher ist nun, daß die Sage von Don Juan, wenn es eine solche ist, das heißt die Sage vom steinernen Gaste und seine Beziehungen zu Don Juan, zuerst von jenem Gabriel Tellez poetisch gestaltet und aus der Dämmerregion des Volksbewußtseins in den hellen Glanz der Literatur eingeführt wurde; es geschah dieß in dem oben erwähnten Stück „der Verführer von Sevilla und der steinerne Gast". Ich habe absichtlich die Sage vom Don Juan in die Ver¬ bindung der zwei Faktoren, der Persönlichkeit des Don Juan und der Er¬ scheinung des steinernen Gastes, gesetzt, denn was als die Hauptsache der ganzen Sage erscheint, die wandelnde, sprechende und wirkende Statue, ist nicht zuerst von Tellez zum literarischen Eigenthum der Spanier gemacht worden, sondern schon von Lope de Vega, wie wir gleich sehen werden, und es kann sich nur noch um die beiden Fragen handeln: Ist das steinerne Bild in seiner Eigenschaft als Gast seines Mörders die Erfindung des Dichters oder hat die Sage es schon in diese eigenthümliche Beziehung gebracht — und, zweitens, wenn dieß der Fall ist, haben wir auch in dem Helden Don Juan eine Gestaltung der Sage d. h. einen historischen oder mythologischen, von der Sage umsponnenen Kern oder eine Phantasie des Dichters zu erkennen? Die Sage schafft bekanntlich ihre Gestalten nie aus dem Nichts, sondern sie bildet eine Hülle um einen vorhandenen Kern, sie hat den Don Juan jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen, sondern so oder so vorgefunden und auch der Gast im Hause des Mörders bedingt nothwendig eine concrete, be¬ kannte Gestalt, welche als Rächer jenem gegenübertritt. War aber der Mörder schon von der Sage gegeben, so fehlte dem Dichter nicht nur jeder Grund, die einmal vorgefundene Persönlichkeit willkürlich mit einer andern zu vertauschen, sondern auch jede Berechtigung; die Autorität der Sage mußte bei ihm unbedingt überwiegen, die Rücksicht, die Gewohnheit, sein eigenes poetisches Interesse geboten es. Und man darf wohl sagen, die ganze Don Juan-Geschichte trägt das volle, ganze Gepräge des sagen¬ haften an sich: Die typische Figur des Helden als Repräsentanten des rück¬ sichtslosesten Lebensgenusses, eines Genusses, der nur und ausschließlich in deo irdischen Lust sein Genüge findet und in der Brust seines Besitzers nicht einmal den Schauern der Geisterwelt, des Dämonischen, einen bescheidenen Platz gönnen will, und hinwiederum der Vertreter dieses dämonischen Ele-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/129>, abgerufen am 27.07.2024.