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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Localpresse sich in den Händen der vereinigten Particularisten, Klerikalen und
Demokraten und nicht zuletzt der würde. Regierung befindet, angesichts ferner
der Art und Weise, wie man den reichsfreundlichen Reichstagsabgeordneten
(nicht von demokratischer und ultramontaner Seite aus! --) in ihren
Wahlkreisen mit Beziehung auf die Etsenbahnfrage entgegen zu wirken, und
sie dadurch jschon im Voraus bei ihrer Abstimmung einzuschüchtern
suchte. --

Sonderbar war die Haltung unserer I. Kammer, sie debattirte die Frage
in geheimer Vorbesprechung, wie wir hören -in sehr gedrückter Stimmung,
und nahm dann in öffentlicher Sitzung ohne Debatte einen Antrag an, welcher
sich gegen die Erwerbung einzelner Bahnen durch das Reich ausspricht,
die Erwerbung aller also nicht ausschließt! Auch so erklärt sich übrigens die
Einstimmigkeit nur durch die Abwesenheit des Reichstagsabg. Fürsten von
Hohenlohe-Langenburg, bekanntlich einem der treuesten Anhänger der Reichs¬
politik. Inzwischen bringt uns jeder Tag weitere Aufklärung. Mehr und
mehr gewinnt der Gedanke Gestaltung, aus den bisherigen Großdeutschen,
den Klerikalen, den Demokraten und einzelnen Abtrünnigen der deutschen
Partei eine neue Partei unter der Firma "hie gut Württemberg allewege"
und mit dem beliebten reichstreuen Anstrich zu gründen. Ein Leitartikel des
großdeutsch-klerikalen "deutschen Volksblatts" kündigt diese, uns vertraulich
schon seit einiger Zeit signalisirte Wandlung mit anerkennenswerther Offen¬
heit an, verspricht eine sehr starke compakte Mehrheit für diese Partei bei den
künftigen Wahlen und damit den Sieg des süddeutschen Föderalismus, "mit
welchem dann auch Bismarck zu rechnen haben werde." Die Sache ist wenig¬
stens in Württemberg nicht ohne Aussicht. Denn während von den Abtrün¬
nigen der deutschen Partei Manche sich sehr reelle Vortheile von der neuen
Parteibildung versprechen, eröffnet dieselbe einigen ungeduldigen Strebern der
großdeutschen Richtung die Aussicht auf eine neue politische Thätigkeit, auf
das Heraustreten aus dem bisherigen Schmollwinkel. Man hält die Ueber¬
läufer von der nationalen Partei für besonders brauchbar, um durch ihre
Bundesgenossenschaft gewissen verwitterten Ueberresten der großdeutschen
Partei aus der Zollparlamentsära eine neue etwas reichsfreundliche Tünche
zu verleihen, und die letzteren auf dem Berliner Boden wieder möglich zu
machen, wobei man sich freilich manchen Illusionen hingiebt. Nicht ohne
Grund wird es dann auch bereits als eine Frucht jener neuen Partetentwick-
lung bezeichnet, daß bet der letzten Abstimmung über den Wiener Gesandt¬
schaftsposten im Landtag, diese Position, welche in den letzten Jahren nur mit
knapper Mehrheit durchgesetzt werden konnte, neulich mit einer Mehrheit von
33 gegen 27 Stimmen zur Annahme gelangte.

Und doch wie kläglich würden alle diese Bestrebungen im Sande ver-


Localpresse sich in den Händen der vereinigten Particularisten, Klerikalen und
Demokraten und nicht zuletzt der würde. Regierung befindet, angesichts ferner
der Art und Weise, wie man den reichsfreundlichen Reichstagsabgeordneten
(nicht von demokratischer und ultramontaner Seite aus! —) in ihren
Wahlkreisen mit Beziehung auf die Etsenbahnfrage entgegen zu wirken, und
sie dadurch jschon im Voraus bei ihrer Abstimmung einzuschüchtern
suchte. —

Sonderbar war die Haltung unserer I. Kammer, sie debattirte die Frage
in geheimer Vorbesprechung, wie wir hören -in sehr gedrückter Stimmung,
und nahm dann in öffentlicher Sitzung ohne Debatte einen Antrag an, welcher
sich gegen die Erwerbung einzelner Bahnen durch das Reich ausspricht,
die Erwerbung aller also nicht ausschließt! Auch so erklärt sich übrigens die
Einstimmigkeit nur durch die Abwesenheit des Reichstagsabg. Fürsten von
Hohenlohe-Langenburg, bekanntlich einem der treuesten Anhänger der Reichs¬
politik. Inzwischen bringt uns jeder Tag weitere Aufklärung. Mehr und
mehr gewinnt der Gedanke Gestaltung, aus den bisherigen Großdeutschen,
den Klerikalen, den Demokraten und einzelnen Abtrünnigen der deutschen
Partei eine neue Partei unter der Firma „hie gut Württemberg allewege"
und mit dem beliebten reichstreuen Anstrich zu gründen. Ein Leitartikel des
großdeutsch-klerikalen „deutschen Volksblatts" kündigt diese, uns vertraulich
schon seit einiger Zeit signalisirte Wandlung mit anerkennenswerther Offen¬
heit an, verspricht eine sehr starke compakte Mehrheit für diese Partei bei den
künftigen Wahlen und damit den Sieg des süddeutschen Föderalismus, „mit
welchem dann auch Bismarck zu rechnen haben werde." Die Sache ist wenig¬
stens in Württemberg nicht ohne Aussicht. Denn während von den Abtrün¬
nigen der deutschen Partei Manche sich sehr reelle Vortheile von der neuen
Parteibildung versprechen, eröffnet dieselbe einigen ungeduldigen Strebern der
großdeutschen Richtung die Aussicht auf eine neue politische Thätigkeit, auf
das Heraustreten aus dem bisherigen Schmollwinkel. Man hält die Ueber¬
läufer von der nationalen Partei für besonders brauchbar, um durch ihre
Bundesgenossenschaft gewissen verwitterten Ueberresten der großdeutschen
Partei aus der Zollparlamentsära eine neue etwas reichsfreundliche Tünche
zu verleihen, und die letzteren auf dem Berliner Boden wieder möglich zu
machen, wobei man sich freilich manchen Illusionen hingiebt. Nicht ohne
Grund wird es dann auch bereits als eine Frucht jener neuen Partetentwick-
lung bezeichnet, daß bet der letzten Abstimmung über den Wiener Gesandt¬
schaftsposten im Landtag, diese Position, welche in den letzten Jahren nur mit
knapper Mehrheit durchgesetzt werden konnte, neulich mit einer Mehrheit von
33 gegen 27 Stimmen zur Annahme gelangte.

Und doch wie kläglich würden alle diese Bestrebungen im Sande ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/118>, abgerufen am 27.11.2024.