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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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des Particularismus, weshalb derselbe auch, wie man sich erzählt, obgleich
selbst Mitglied der Abgeordnetenkammer, bei der Feststellung des Schmid-
Sarwey'schen Antrags, welche unter Mitwirkung der württembergischen Staats¬
regierung erfolgte, in auffallender Weise bei Seite gesetzt wurde.

Unter diesen Umständen ist das Ergebniß der Abstimmung, der Sttmmen-
zahl ungeachtet, nicht geeignet, irgend wozu imponiren. Es kommt dazu, daß
während unter den 6 Stimmen für den Elben'schen Antrag sich kein einziger
Beamter -- wohl aber die Vertreter der drei bedeutendsten Industrie- und
Handelsplätze des Landes (Stuttgart, Ulm, Reutlingen) befinden, die Mehr¬
heit dagegen -- von den klerikalen und volksparteilichen Stimmen abgesehen
^- mit ganz geringen Ausnahmen aus Staats- und Gemeindebeamten be¬
steht. Hätte die Regierung für gut befunden, der Abstimmung des preußi¬
schen Landtags durch ein Votum im Sinne der Reichsregierung zuvorzukom¬
men, wir zweifeln nicht, daß dann eine erdrückende Mehrheit zu Gunsten der
Bismarck'schen Vorlage sich ergeben hätte.

Welchen Eindruck kann also jenes Votum der 78 in Berlin machen, was
anders kann es beweisen, als daß die würde. Regierung zur Zeit dem Pro¬
jekt nicht zustimmt, und daß sie eine unbestreitbare Autorität bei ihren Be-
amten besitzt? Das Schlimmste aber ist: man weiß schon jetzt bestimmt, daß
an derjenigen Stelle wo die Entscheidung liegt, nämlich im Reichstag, das
Stimmverhältniß ein ganz anderes sein wird, daß von den 17 würde.
Reichstagsabgeordneten die Hälfte auf dem Boden des
Elben'schen Antrags steht; da von den Nationalliberalen nur Hölder
und Lenz neben den 3 Particularisten der Reichspartei (v. Varnbüler.
Sarwey und Schmid) und den 4 klerical-demokratischen Stimmen dem Reichs¬
eisenbahnprojekt entgegentreten werden. Uebrigens beginnt sich bereits --
aufgerüttelt durch die Debatten im Landtag -- der württembergische Handels¬
stand zu Gunsten des Reichs zu regen. Den Anfang hat eine große, der
Hauptsache nach aus industriellen Kreisen bestehende Versammlung in Ulm,
zweiten Stadt des Landes gemacht, indem sie nach vorgängiger Motivi-
^ung durch den Landtagsabg. Pfeiffer und den Reichstagsabg. Gaupp sich
^"stimmig für die Reform im Sinn des Elben'schen Antrags ausgesprochen
Hat. Weitere Manifestationen werden folgen, wenn erst der Terrorismus
überwunden sein wird, welcher innerhalb des Landes gegen die bisherige
Minorität geübt wird. In der That, so ruhig und besonnen, so allen Even¬
tualitäten der Zukunft Rechnung tragend auch im Uebrigen die Rede des
Herrn von Mittnacht war, so unerklärlich ist es, wenn derselbe von einem
Terrorismus der Anhänger der Reichsbahnen spricht Angesichts der That¬
sache, daß die gesammte polemische Presse des Inlands sowie die gesammte


Grenzboten II. 1876. 15

des Particularismus, weshalb derselbe auch, wie man sich erzählt, obgleich
selbst Mitglied der Abgeordnetenkammer, bei der Feststellung des Schmid-
Sarwey'schen Antrags, welche unter Mitwirkung der württembergischen Staats¬
regierung erfolgte, in auffallender Weise bei Seite gesetzt wurde.

Unter diesen Umständen ist das Ergebniß der Abstimmung, der Sttmmen-
zahl ungeachtet, nicht geeignet, irgend wozu imponiren. Es kommt dazu, daß
während unter den 6 Stimmen für den Elben'schen Antrag sich kein einziger
Beamter — wohl aber die Vertreter der drei bedeutendsten Industrie- und
Handelsplätze des Landes (Stuttgart, Ulm, Reutlingen) befinden, die Mehr¬
heit dagegen — von den klerikalen und volksparteilichen Stimmen abgesehen
^- mit ganz geringen Ausnahmen aus Staats- und Gemeindebeamten be¬
steht. Hätte die Regierung für gut befunden, der Abstimmung des preußi¬
schen Landtags durch ein Votum im Sinne der Reichsregierung zuvorzukom¬
men, wir zweifeln nicht, daß dann eine erdrückende Mehrheit zu Gunsten der
Bismarck'schen Vorlage sich ergeben hätte.

Welchen Eindruck kann also jenes Votum der 78 in Berlin machen, was
anders kann es beweisen, als daß die würde. Regierung zur Zeit dem Pro¬
jekt nicht zustimmt, und daß sie eine unbestreitbare Autorität bei ihren Be-
amten besitzt? Das Schlimmste aber ist: man weiß schon jetzt bestimmt, daß
an derjenigen Stelle wo die Entscheidung liegt, nämlich im Reichstag, das
Stimmverhältniß ein ganz anderes sein wird, daß von den 17 würde.
Reichstagsabgeordneten die Hälfte auf dem Boden des
Elben'schen Antrags steht; da von den Nationalliberalen nur Hölder
und Lenz neben den 3 Particularisten der Reichspartei (v. Varnbüler.
Sarwey und Schmid) und den 4 klerical-demokratischen Stimmen dem Reichs¬
eisenbahnprojekt entgegentreten werden. Uebrigens beginnt sich bereits —
aufgerüttelt durch die Debatten im Landtag — der württembergische Handels¬
stand zu Gunsten des Reichs zu regen. Den Anfang hat eine große, der
Hauptsache nach aus industriellen Kreisen bestehende Versammlung in Ulm,
zweiten Stadt des Landes gemacht, indem sie nach vorgängiger Motivi-
^ung durch den Landtagsabg. Pfeiffer und den Reichstagsabg. Gaupp sich
^«stimmig für die Reform im Sinn des Elben'schen Antrags ausgesprochen
Hat. Weitere Manifestationen werden folgen, wenn erst der Terrorismus
überwunden sein wird, welcher innerhalb des Landes gegen die bisherige
Minorität geübt wird. In der That, so ruhig und besonnen, so allen Even¬
tualitäten der Zukunft Rechnung tragend auch im Uebrigen die Rede des
Herrn von Mittnacht war, so unerklärlich ist es, wenn derselbe von einem
Terrorismus der Anhänger der Reichsbahnen spricht Angesichts der That¬
sache, daß die gesammte polemische Presse des Inlands sowie die gesammte


Grenzboten II. 1876. 15
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[0117] des Particularismus, weshalb derselbe auch, wie man sich erzählt, obgleich selbst Mitglied der Abgeordnetenkammer, bei der Feststellung des Schmid- Sarwey'schen Antrags, welche unter Mitwirkung der württembergischen Staats¬ regierung erfolgte, in auffallender Weise bei Seite gesetzt wurde. Unter diesen Umständen ist das Ergebniß der Abstimmung, der Sttmmen- zahl ungeachtet, nicht geeignet, irgend wozu imponiren. Es kommt dazu, daß während unter den 6 Stimmen für den Elben'schen Antrag sich kein einziger Beamter — wohl aber die Vertreter der drei bedeutendsten Industrie- und Handelsplätze des Landes (Stuttgart, Ulm, Reutlingen) befinden, die Mehr¬ heit dagegen — von den klerikalen und volksparteilichen Stimmen abgesehen ^- mit ganz geringen Ausnahmen aus Staats- und Gemeindebeamten be¬ steht. Hätte die Regierung für gut befunden, der Abstimmung des preußi¬ schen Landtags durch ein Votum im Sinne der Reichsregierung zuvorzukom¬ men, wir zweifeln nicht, daß dann eine erdrückende Mehrheit zu Gunsten der Bismarck'schen Vorlage sich ergeben hätte. Welchen Eindruck kann also jenes Votum der 78 in Berlin machen, was anders kann es beweisen, als daß die würde. Regierung zur Zeit dem Pro¬ jekt nicht zustimmt, und daß sie eine unbestreitbare Autorität bei ihren Be- amten besitzt? Das Schlimmste aber ist: man weiß schon jetzt bestimmt, daß an derjenigen Stelle wo die Entscheidung liegt, nämlich im Reichstag, das Stimmverhältniß ein ganz anderes sein wird, daß von den 17 würde. Reichstagsabgeordneten die Hälfte auf dem Boden des Elben'schen Antrags steht; da von den Nationalliberalen nur Hölder und Lenz neben den 3 Particularisten der Reichspartei (v. Varnbüler. Sarwey und Schmid) und den 4 klerical-demokratischen Stimmen dem Reichs¬ eisenbahnprojekt entgegentreten werden. Uebrigens beginnt sich bereits — aufgerüttelt durch die Debatten im Landtag — der württembergische Handels¬ stand zu Gunsten des Reichs zu regen. Den Anfang hat eine große, der Hauptsache nach aus industriellen Kreisen bestehende Versammlung in Ulm, zweiten Stadt des Landes gemacht, indem sie nach vorgängiger Motivi- ^ung durch den Landtagsabg. Pfeiffer und den Reichstagsabg. Gaupp sich ^«stimmig für die Reform im Sinn des Elben'schen Antrags ausgesprochen Hat. Weitere Manifestationen werden folgen, wenn erst der Terrorismus überwunden sein wird, welcher innerhalb des Landes gegen die bisherige Minorität geübt wird. In der That, so ruhig und besonnen, so allen Even¬ tualitäten der Zukunft Rechnung tragend auch im Uebrigen die Rede des Herrn von Mittnacht war, so unerklärlich ist es, wenn derselbe von einem Terrorismus der Anhänger der Reichsbahnen spricht Angesichts der That¬ sache, daß die gesammte polemische Presse des Inlands sowie die gesammte Grenzboten II. 1876. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/117>, abgerufen am 27.11.2024.