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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Heimathsamtes im Gefolge, die Reichsstreitigkeiten in Unterstützungssachen
wurden der Rechtsprechung des Reichsamtes übertragen. Das Jahr 1874
führte sodann mit dem Jnslebentreten der neuen Verwaltungseinrichtungen
die bedeutsame Aenderung herbei, daß als Verwaltungsgerichte erster Instanz
die Bezirke- und Kreisausschüsse bestellt wurden. Die Rechtsprechung ward in
eine schöffengerichtsartige umgewandelt, die bürgerlichen Mitglieder wirken in
den Bezirks- und Kreisausschüssen gleichberechtigt mit. Es ist bezeichnend,
aber vielleicht nicht genug beachtet und gewürdigt, daß die Mitwirkung des
bürgerlichen Elements bei der Verwaltungsrechtspflege so unverhältntßmäßig viel
leichter und zweifelloser sich vollzieht als bei der nahe verwandten Strafrechts¬
pflege. Sollte die Neuheit der Sache nur die Zweifel nicht haben aufkommen
lassen? Sollte die Verwaltungsrechtsprechung ihrer Natur, ihrem Wesen nach
besonders für die bürgerliche Mitwirkung sich eignen? Sollte die herrschende
Richtung, die nach Selbstverwaltung im weitesten Umfange strebt, die An¬
schauungen auch in Betreff der Nerwaltungsrechtsprechung entscheidend be¬
einflussen?

Was der sächsischen Verwaltungsrechtspflege gegenwärtig zumeist Noth
thut, der von selbst gegebene Schritt zu ihrer Weiterentwickelung ist die Aus¬
gestaltung der Oberinstanz, die Schaffung eines Verwaltungsgerichtshofes.

Jede Neuforderung auf staatlichem Gebiete muß von den Bedrängnissen
des Augenblickes abgesehen um ihrer selbstwillen ernste Abwägung erfahren.
Die Vereinfachung, die Einfachheit der staatlichen Einrichtungen sind gebiete¬
rische Nothwendigkeit, mögen sie sich auch nicht in der Weise verwirklichen
lassen, wie das gewöhnlich gedacht wird. Bei den neuen Verwaltungseinrich¬
tungen von 1873 zeigte sich und wurde ja auch von der Regierungsbank un¬
umwunden anerkannt, daß ein Minderbedarf nicht zu ermöglichen sei. Wie
sollte es wohl auch? Soll der Staat allein billiger werden, wo alles theurer,
kostspieliger geworden ist? Genauer besehen sträubt sich der gesunde Sinn
der Zeit nicht gegen nothwendige staatliche Einrichtungen, um so unleidlicher
verhält er sich in Bezug auf alles, was entbehrlich, was überflüssig scheint.
Das Reich fordert eine Menge neue Organe und Einrichtungen: wer ver¬
schließt sich diesen Verlangen aus Ersparnißrücksichten? In den Ländern ist
es nicht anders. Ein neues Bedürfniß wie die Fabrikinspektoren findet eifrige
Vertretung, der Kostenpunkt begegnet kaum einer ernstlichen Einwendung.
Wo die öffentliche Meinung gegen eine Ausgabe sich erklärt, da, darf man an¬
nehmen, wird irgend ein guter Grund dafür vorliegen.

Es liegt nahe zu sagen, was im Jahre 1834 zu kostspielig geschienen, sei
es im Jahre 1876 erst recht. Um die beiden Jahre mit einander zu ver¬
gleichen, müßten die beiden Staatshaushalte und nicht bloß nach den Ziffern,
sondern ihrer inneren Bedeutung nach mit einander verglichen werden, eine


Heimathsamtes im Gefolge, die Reichsstreitigkeiten in Unterstützungssachen
wurden der Rechtsprechung des Reichsamtes übertragen. Das Jahr 1874
führte sodann mit dem Jnslebentreten der neuen Verwaltungseinrichtungen
die bedeutsame Aenderung herbei, daß als Verwaltungsgerichte erster Instanz
die Bezirke- und Kreisausschüsse bestellt wurden. Die Rechtsprechung ward in
eine schöffengerichtsartige umgewandelt, die bürgerlichen Mitglieder wirken in
den Bezirks- und Kreisausschüssen gleichberechtigt mit. Es ist bezeichnend,
aber vielleicht nicht genug beachtet und gewürdigt, daß die Mitwirkung des
bürgerlichen Elements bei der Verwaltungsrechtspflege so unverhältntßmäßig viel
leichter und zweifelloser sich vollzieht als bei der nahe verwandten Strafrechts¬
pflege. Sollte die Neuheit der Sache nur die Zweifel nicht haben aufkommen
lassen? Sollte die Verwaltungsrechtsprechung ihrer Natur, ihrem Wesen nach
besonders für die bürgerliche Mitwirkung sich eignen? Sollte die herrschende
Richtung, die nach Selbstverwaltung im weitesten Umfange strebt, die An¬
schauungen auch in Betreff der Nerwaltungsrechtsprechung entscheidend be¬
einflussen?

Was der sächsischen Verwaltungsrechtspflege gegenwärtig zumeist Noth
thut, der von selbst gegebene Schritt zu ihrer Weiterentwickelung ist die Aus¬
gestaltung der Oberinstanz, die Schaffung eines Verwaltungsgerichtshofes.

Jede Neuforderung auf staatlichem Gebiete muß von den Bedrängnissen
des Augenblickes abgesehen um ihrer selbstwillen ernste Abwägung erfahren.
Die Vereinfachung, die Einfachheit der staatlichen Einrichtungen sind gebiete¬
rische Nothwendigkeit, mögen sie sich auch nicht in der Weise verwirklichen
lassen, wie das gewöhnlich gedacht wird. Bei den neuen Verwaltungseinrich¬
tungen von 1873 zeigte sich und wurde ja auch von der Regierungsbank un¬
umwunden anerkannt, daß ein Minderbedarf nicht zu ermöglichen sei. Wie
sollte es wohl auch? Soll der Staat allein billiger werden, wo alles theurer,
kostspieliger geworden ist? Genauer besehen sträubt sich der gesunde Sinn
der Zeit nicht gegen nothwendige staatliche Einrichtungen, um so unleidlicher
verhält er sich in Bezug auf alles, was entbehrlich, was überflüssig scheint.
Das Reich fordert eine Menge neue Organe und Einrichtungen: wer ver¬
schließt sich diesen Verlangen aus Ersparnißrücksichten? In den Ländern ist
es nicht anders. Ein neues Bedürfniß wie die Fabrikinspektoren findet eifrige
Vertretung, der Kostenpunkt begegnet kaum einer ernstlichen Einwendung.
Wo die öffentliche Meinung gegen eine Ausgabe sich erklärt, da, darf man an¬
nehmen, wird irgend ein guter Grund dafür vorliegen.

Es liegt nahe zu sagen, was im Jahre 1834 zu kostspielig geschienen, sei
es im Jahre 1876 erst recht. Um die beiden Jahre mit einander zu ver¬
gleichen, müßten die beiden Staatshaushalte und nicht bloß nach den Ziffern,
sondern ihrer inneren Bedeutung nach mit einander verglichen werden, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/510>, abgerufen am 02.07.2024.