Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Reiches ihre Geltung verlieren werden, als die Gestaltung der höhe¬
ren Verwaltung erfolgte, die fast volle vierzig Jahre, bis zum Jns-
lebentreten der neuen Verwaltungseinrichtungen von 1873, bestanden hat,
schwebte die Bedeutung der Verwaltungsrechtsprechung klar und bestimmt vor.
Nur Sparsamkeitsrücksichten ließen von der Bestellung eines Verwaltungs¬
gerichtshofes Abstand nehmen. Dafür wurde die Einsetzung einer Kommission
beschlossen, die die letzte Instanz in Administrativjustizsachen bildet und aus
dem Minister des Innern oder seinem Stellvertreter, aus zwei Räthen des
Ministeriums des Innern und zwei fortdauernd abgeordneten Räthen der oberen
Gerichtsstellen sich zusammensetzt. Führt man sich das Berliner Oberver¬
waltungsgericht in seiner gegenwärtigen Gestalt vor Augen, so wird man eine
gewisse Aehnlichkeit entdecken. Ein tiefgreifender Gegensatz besteht freilich, der für
die Gesammtbeurtheilung von entscheidendster Wichtigkeit ist. Der neue berliner
Gerichtshof hat seinen eigenen Präsidenten, mit dem er der Disziplin des
Ministeriums des Innern unterliegt, die sächsische Kommission ist ein Stück
Ministerium mit dem Minister an der Spitze. Indessen war es nicht diese
Art Halbbildung, die die sächsische Verwaltungspflege schädigte, die sie in einen
Zustand dauernden Kränkelns versetzte. Der Gesetzgeber von 1834, dem es so
ernst mit der Verwaltungsrechtsprechung war und der eine so tiefrichtige Be¬
stimmung wie die traf den Eid für den Verwaltungsstreit auszuschließen, be¬
ging einen verhängnißvollen Fehlgriff, indem er die Zuständigkeit von dem
Vorhandensein eines Parteienverhältnisses abhängig machte. Wo Parteien,
sagte der sächsische Gesetzgeber, da ist Verwaltungsstreit, wo keine Parteien,
da ist auch kein Verwaltungsstreit. Die Vorstellung des bürgerlichen Rechts¬
streites leitete. Statt nach dem Gegenstand des Rechtsstreites zu fragen,
frug man nach der Person des Rechtsstreites. Wie groß die Zahl der Par¬
teien, ob zwei oder vier oder wohl noch mehr, blieb sich gleich, wenn nur
zwei Parteien glücklich ermittelt wurden. Wozu diese Auffassungswetse des
Verwaltungsstreitverfahrens führte, braucht nicht dargelegt zu werden. Die
Verkennung des Wesens der Verwaltungsrechtspflege, ihre Verkümmerung, ihre
Verkrüppelung waren die nothwendige Folge. Kein Wunder, wenn die Vor¬
urtheile gegen die Verwaltungsrechtsprechung sich vermehrten, festsetzten. Daß
diese sich dennoch behauptete, darf als ein sicheres Zeichen ihrer Lebensfähig¬
keit, ihrer staatlichen Nothwendigkeit angesehen werden.

Die erste Neuerung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege brachte
das Jahr 1870, wo an Stelle der drei zwei Instanzen gesetzt wurden. Das
Zweiinstanzensystem hat sich in Baden bestens bewährt, es ist auch für
Preußen zum Theil angenommen worden. In Sachsen, dem früheren Lande
der Instanzen, ist wohl jeder mit der Neuerung zufrieden. Eine Neuerung
anderer Art hatte das Jahr 1871 mit dem Beginne der Thätigkeit des Bundes-


des Reiches ihre Geltung verlieren werden, als die Gestaltung der höhe¬
ren Verwaltung erfolgte, die fast volle vierzig Jahre, bis zum Jns-
lebentreten der neuen Verwaltungseinrichtungen von 1873, bestanden hat,
schwebte die Bedeutung der Verwaltungsrechtsprechung klar und bestimmt vor.
Nur Sparsamkeitsrücksichten ließen von der Bestellung eines Verwaltungs¬
gerichtshofes Abstand nehmen. Dafür wurde die Einsetzung einer Kommission
beschlossen, die die letzte Instanz in Administrativjustizsachen bildet und aus
dem Minister des Innern oder seinem Stellvertreter, aus zwei Räthen des
Ministeriums des Innern und zwei fortdauernd abgeordneten Räthen der oberen
Gerichtsstellen sich zusammensetzt. Führt man sich das Berliner Oberver¬
waltungsgericht in seiner gegenwärtigen Gestalt vor Augen, so wird man eine
gewisse Aehnlichkeit entdecken. Ein tiefgreifender Gegensatz besteht freilich, der für
die Gesammtbeurtheilung von entscheidendster Wichtigkeit ist. Der neue berliner
Gerichtshof hat seinen eigenen Präsidenten, mit dem er der Disziplin des
Ministeriums des Innern unterliegt, die sächsische Kommission ist ein Stück
Ministerium mit dem Minister an der Spitze. Indessen war es nicht diese
Art Halbbildung, die die sächsische Verwaltungspflege schädigte, die sie in einen
Zustand dauernden Kränkelns versetzte. Der Gesetzgeber von 1834, dem es so
ernst mit der Verwaltungsrechtsprechung war und der eine so tiefrichtige Be¬
stimmung wie die traf den Eid für den Verwaltungsstreit auszuschließen, be¬
ging einen verhängnißvollen Fehlgriff, indem er die Zuständigkeit von dem
Vorhandensein eines Parteienverhältnisses abhängig machte. Wo Parteien,
sagte der sächsische Gesetzgeber, da ist Verwaltungsstreit, wo keine Parteien,
da ist auch kein Verwaltungsstreit. Die Vorstellung des bürgerlichen Rechts¬
streites leitete. Statt nach dem Gegenstand des Rechtsstreites zu fragen,
frug man nach der Person des Rechtsstreites. Wie groß die Zahl der Par¬
teien, ob zwei oder vier oder wohl noch mehr, blieb sich gleich, wenn nur
zwei Parteien glücklich ermittelt wurden. Wozu diese Auffassungswetse des
Verwaltungsstreitverfahrens führte, braucht nicht dargelegt zu werden. Die
Verkennung des Wesens der Verwaltungsrechtspflege, ihre Verkümmerung, ihre
Verkrüppelung waren die nothwendige Folge. Kein Wunder, wenn die Vor¬
urtheile gegen die Verwaltungsrechtsprechung sich vermehrten, festsetzten. Daß
diese sich dennoch behauptete, darf als ein sicheres Zeichen ihrer Lebensfähig¬
keit, ihrer staatlichen Nothwendigkeit angesehen werden.

Die erste Neuerung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege brachte
das Jahr 1870, wo an Stelle der drei zwei Instanzen gesetzt wurden. Das
Zweiinstanzensystem hat sich in Baden bestens bewährt, es ist auch für
Preußen zum Theil angenommen worden. In Sachsen, dem früheren Lande
der Instanzen, ist wohl jeder mit der Neuerung zufrieden. Eine Neuerung
anderer Art hatte das Jahr 1871 mit dem Beginne der Thätigkeit des Bundes-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135562"/>
          <p xml:id="ID_1549" prev="#ID_1548"> des Reiches ihre Geltung verlieren werden, als die Gestaltung der höhe¬<lb/>
ren Verwaltung erfolgte, die fast volle vierzig Jahre, bis zum Jns-<lb/>
lebentreten der neuen Verwaltungseinrichtungen von 1873, bestanden hat,<lb/>
schwebte die Bedeutung der Verwaltungsrechtsprechung klar und bestimmt vor.<lb/>
Nur Sparsamkeitsrücksichten ließen von der Bestellung eines Verwaltungs¬<lb/>
gerichtshofes Abstand nehmen. Dafür wurde die Einsetzung einer Kommission<lb/>
beschlossen, die die letzte Instanz in Administrativjustizsachen bildet und aus<lb/>
dem Minister des Innern oder seinem Stellvertreter, aus zwei Räthen des<lb/>
Ministeriums des Innern und zwei fortdauernd abgeordneten Räthen der oberen<lb/>
Gerichtsstellen sich zusammensetzt. Führt man sich das Berliner Oberver¬<lb/>
waltungsgericht in seiner gegenwärtigen Gestalt vor Augen, so wird man eine<lb/>
gewisse Aehnlichkeit entdecken. Ein tiefgreifender Gegensatz besteht freilich, der für<lb/>
die Gesammtbeurtheilung von entscheidendster Wichtigkeit ist. Der neue berliner<lb/>
Gerichtshof hat seinen eigenen Präsidenten, mit dem er der Disziplin des<lb/>
Ministeriums des Innern unterliegt, die sächsische Kommission ist ein Stück<lb/>
Ministerium mit dem Minister an der Spitze. Indessen war es nicht diese<lb/>
Art Halbbildung, die die sächsische Verwaltungspflege schädigte, die sie in einen<lb/>
Zustand dauernden Kränkelns versetzte. Der Gesetzgeber von 1834, dem es so<lb/>
ernst mit der Verwaltungsrechtsprechung war und der eine so tiefrichtige Be¬<lb/>
stimmung wie die traf den Eid für den Verwaltungsstreit auszuschließen, be¬<lb/>
ging einen verhängnißvollen Fehlgriff, indem er die Zuständigkeit von dem<lb/>
Vorhandensein eines Parteienverhältnisses abhängig machte. Wo Parteien,<lb/>
sagte der sächsische Gesetzgeber, da ist Verwaltungsstreit, wo keine Parteien,<lb/>
da ist auch kein Verwaltungsstreit. Die Vorstellung des bürgerlichen Rechts¬<lb/>
streites leitete. Statt nach dem Gegenstand des Rechtsstreites zu fragen,<lb/>
frug man nach der Person des Rechtsstreites. Wie groß die Zahl der Par¬<lb/>
teien, ob zwei oder vier oder wohl noch mehr, blieb sich gleich, wenn nur<lb/>
zwei Parteien glücklich ermittelt wurden. Wozu diese Auffassungswetse des<lb/>
Verwaltungsstreitverfahrens führte, braucht nicht dargelegt zu werden. Die<lb/>
Verkennung des Wesens der Verwaltungsrechtspflege, ihre Verkümmerung, ihre<lb/>
Verkrüppelung waren die nothwendige Folge. Kein Wunder, wenn die Vor¬<lb/>
urtheile gegen die Verwaltungsrechtsprechung sich vermehrten, festsetzten. Daß<lb/>
diese sich dennoch behauptete, darf als ein sicheres Zeichen ihrer Lebensfähig¬<lb/>
keit, ihrer staatlichen Nothwendigkeit angesehen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1550" next="#ID_1551"> Die erste Neuerung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege brachte<lb/>
das Jahr 1870, wo an Stelle der drei zwei Instanzen gesetzt wurden. Das<lb/>
Zweiinstanzensystem hat sich in Baden bestens bewährt, es ist auch für<lb/>
Preußen zum Theil angenommen worden. In Sachsen, dem früheren Lande<lb/>
der Instanzen, ist wohl jeder mit der Neuerung zufrieden. Eine Neuerung<lb/>
anderer Art hatte das Jahr 1871 mit dem Beginne der Thätigkeit des Bundes-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] des Reiches ihre Geltung verlieren werden, als die Gestaltung der höhe¬ ren Verwaltung erfolgte, die fast volle vierzig Jahre, bis zum Jns- lebentreten der neuen Verwaltungseinrichtungen von 1873, bestanden hat, schwebte die Bedeutung der Verwaltungsrechtsprechung klar und bestimmt vor. Nur Sparsamkeitsrücksichten ließen von der Bestellung eines Verwaltungs¬ gerichtshofes Abstand nehmen. Dafür wurde die Einsetzung einer Kommission beschlossen, die die letzte Instanz in Administrativjustizsachen bildet und aus dem Minister des Innern oder seinem Stellvertreter, aus zwei Räthen des Ministeriums des Innern und zwei fortdauernd abgeordneten Räthen der oberen Gerichtsstellen sich zusammensetzt. Führt man sich das Berliner Oberver¬ waltungsgericht in seiner gegenwärtigen Gestalt vor Augen, so wird man eine gewisse Aehnlichkeit entdecken. Ein tiefgreifender Gegensatz besteht freilich, der für die Gesammtbeurtheilung von entscheidendster Wichtigkeit ist. Der neue berliner Gerichtshof hat seinen eigenen Präsidenten, mit dem er der Disziplin des Ministeriums des Innern unterliegt, die sächsische Kommission ist ein Stück Ministerium mit dem Minister an der Spitze. Indessen war es nicht diese Art Halbbildung, die die sächsische Verwaltungspflege schädigte, die sie in einen Zustand dauernden Kränkelns versetzte. Der Gesetzgeber von 1834, dem es so ernst mit der Verwaltungsrechtsprechung war und der eine so tiefrichtige Be¬ stimmung wie die traf den Eid für den Verwaltungsstreit auszuschließen, be¬ ging einen verhängnißvollen Fehlgriff, indem er die Zuständigkeit von dem Vorhandensein eines Parteienverhältnisses abhängig machte. Wo Parteien, sagte der sächsische Gesetzgeber, da ist Verwaltungsstreit, wo keine Parteien, da ist auch kein Verwaltungsstreit. Die Vorstellung des bürgerlichen Rechts¬ streites leitete. Statt nach dem Gegenstand des Rechtsstreites zu fragen, frug man nach der Person des Rechtsstreites. Wie groß die Zahl der Par¬ teien, ob zwei oder vier oder wohl noch mehr, blieb sich gleich, wenn nur zwei Parteien glücklich ermittelt wurden. Wozu diese Auffassungswetse des Verwaltungsstreitverfahrens führte, braucht nicht dargelegt zu werden. Die Verkennung des Wesens der Verwaltungsrechtspflege, ihre Verkümmerung, ihre Verkrüppelung waren die nothwendige Folge. Kein Wunder, wenn die Vor¬ urtheile gegen die Verwaltungsrechtsprechung sich vermehrten, festsetzten. Daß diese sich dennoch behauptete, darf als ein sicheres Zeichen ihrer Lebensfähig¬ keit, ihrer staatlichen Nothwendigkeit angesehen werden. Die erste Neuerung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege brachte das Jahr 1870, wo an Stelle der drei zwei Instanzen gesetzt wurden. Das Zweiinstanzensystem hat sich in Baden bestens bewährt, es ist auch für Preußen zum Theil angenommen worden. In Sachsen, dem früheren Lande der Instanzen, ist wohl jeder mit der Neuerung zufrieden. Eine Neuerung anderer Art hatte das Jahr 1871 mit dem Beginne der Thätigkeit des Bundes-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/509>, abgerufen am 01.07.2024.