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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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einer derartigen Aufgabe. Er ist Laie in kirchengeschichtlichen Dingen, wo¬
rüber uns seine vielen Citate nicht täuschen, seine Auffassung Jesu, seiner
Jünger und sonstiger Personen der heiligen Geschichte ist die des allerflachsten
Rationalismus. Die Anordnung des Stoffes, der nicht viel mehr als ein
Sammelsurium zum Theil amüsanter Proben von Albernheiten ist, welche die
Pfaffen- und Mönchsphantasie seit Constantin zu vermeintlicher Verherrlichung
der Kirche ausgeheckt hat, ist von der Art, daß das Ganze mehr wie ein
Geplauder, als wie ein Versuch, Geschichte zu schreiben, aussieht. Die Ab¬
sicht geht offenbar weniger dahin, wahr, als pikant zu sein. Der Stil des
Verfassers erinnert an den Ton der Bierschenke; daß er Christus mit "der
Angestrichne" oder "der Angepinselte" übersetzt, ist noch lange nicht die wider¬
lichste seiner vielen Geschmacklosigkeiten. Neben einigen guten und berechtigten
Witzen über plumpe und unsaubere Legenden, Mirakel u. d. läuft eine Fluth
der schalsten Späße über das Höchste und Heiligste her, die nicht selten bis
zur Zote herabsinken. Wir würden nicht blos gegen den Anstand, sondern
auch gegen das Strafgesetzbuch verstoßen, wenn wir dieses Urtheil mit Proben
aus dem frechen und wüsten Machwerk belegen wollten, welches selbst den
Ungläubigsten anekeln muß, wenn ihm einiger Sinn für Schicklichkeit und
Würde geblieben ist.


Römische Sagen über die Apostel Paulus und Petrus von
Victor Rydberg. Aus dem Schwedischen von Emil Jonas. Auto-
risirte Ausgabe. Leipzig, Verlag von C. G. Theile. 1876.

Der Uebersetzer hätte diese "Festgabe für Jung und Alt" getrost im
Schwedischen lassen können. Die deutsche Welt würde darüber nicht unglück¬
lich geworden sein. In dieser Weise erzählt man Sagen nicht, oder es sind
vielmehr gar keine Sagen, die uns hier geboten werden, sondern seuilletoni-
stisch herausgeputzte, mit allerlei Zuthat eines Halbgelehrten verbrämte No¬
vellen, die auf Grund von Sagen angefertigt sind, und die sich im Unter-
stübchen der "Germania" oder eines ähnlichen Blattes an der rechten Stelle
befinden würden, nicht aber in den Händen unsrer protestantischen Jugend.


Hypochondrische Plaudereien von Amyntor. Zweite Auflage. Verlag
von S. Lucas in Elberfeld.

Kleine Schilderungen aus dem Leben, Federzeichnungen von Typen der
Gesellschaft, die nicht gerade viel Neues und Originelles bringen, aber meist
von guter Beobachtung, gesundem Verstand und richtigem Gefühl zeugen
und von einem gewissen breiten Witz begleitet sind, der einigermaßen an
Weber's "Demokritus" erinnert, nur daß hier neben ihm gelegentlich jene
etwas selbstgefällige und zudringliche Gottesfürchtigkeit aus dem Fenster sieht,
welche unter dem vorigen Regiment in Preußen Mode wurde und sich jetzt


einer derartigen Aufgabe. Er ist Laie in kirchengeschichtlichen Dingen, wo¬
rüber uns seine vielen Citate nicht täuschen, seine Auffassung Jesu, seiner
Jünger und sonstiger Personen der heiligen Geschichte ist die des allerflachsten
Rationalismus. Die Anordnung des Stoffes, der nicht viel mehr als ein
Sammelsurium zum Theil amüsanter Proben von Albernheiten ist, welche die
Pfaffen- und Mönchsphantasie seit Constantin zu vermeintlicher Verherrlichung
der Kirche ausgeheckt hat, ist von der Art, daß das Ganze mehr wie ein
Geplauder, als wie ein Versuch, Geschichte zu schreiben, aussieht. Die Ab¬
sicht geht offenbar weniger dahin, wahr, als pikant zu sein. Der Stil des
Verfassers erinnert an den Ton der Bierschenke; daß er Christus mit „der
Angestrichne" oder „der Angepinselte" übersetzt, ist noch lange nicht die wider¬
lichste seiner vielen Geschmacklosigkeiten. Neben einigen guten und berechtigten
Witzen über plumpe und unsaubere Legenden, Mirakel u. d. läuft eine Fluth
der schalsten Späße über das Höchste und Heiligste her, die nicht selten bis
zur Zote herabsinken. Wir würden nicht blos gegen den Anstand, sondern
auch gegen das Strafgesetzbuch verstoßen, wenn wir dieses Urtheil mit Proben
aus dem frechen und wüsten Machwerk belegen wollten, welches selbst den
Ungläubigsten anekeln muß, wenn ihm einiger Sinn für Schicklichkeit und
Würde geblieben ist.


Römische Sagen über die Apostel Paulus und Petrus von
Victor Rydberg. Aus dem Schwedischen von Emil Jonas. Auto-
risirte Ausgabe. Leipzig, Verlag von C. G. Theile. 1876.

Der Uebersetzer hätte diese „Festgabe für Jung und Alt" getrost im
Schwedischen lassen können. Die deutsche Welt würde darüber nicht unglück¬
lich geworden sein. In dieser Weise erzählt man Sagen nicht, oder es sind
vielmehr gar keine Sagen, die uns hier geboten werden, sondern seuilletoni-
stisch herausgeputzte, mit allerlei Zuthat eines Halbgelehrten verbrämte No¬
vellen, die auf Grund von Sagen angefertigt sind, und die sich im Unter-
stübchen der „Germania" oder eines ähnlichen Blattes an der rechten Stelle
befinden würden, nicht aber in den Händen unsrer protestantischen Jugend.


Hypochondrische Plaudereien von Amyntor. Zweite Auflage. Verlag
von S. Lucas in Elberfeld.

Kleine Schilderungen aus dem Leben, Federzeichnungen von Typen der
Gesellschaft, die nicht gerade viel Neues und Originelles bringen, aber meist
von guter Beobachtung, gesundem Verstand und richtigem Gefühl zeugen
und von einem gewissen breiten Witz begleitet sind, der einigermaßen an
Weber's „Demokritus" erinnert, nur daß hier neben ihm gelegentlich jene
etwas selbstgefällige und zudringliche Gottesfürchtigkeit aus dem Fenster sieht,
welche unter dem vorigen Regiment in Preußen Mode wurde und sich jetzt


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[0487] einer derartigen Aufgabe. Er ist Laie in kirchengeschichtlichen Dingen, wo¬ rüber uns seine vielen Citate nicht täuschen, seine Auffassung Jesu, seiner Jünger und sonstiger Personen der heiligen Geschichte ist die des allerflachsten Rationalismus. Die Anordnung des Stoffes, der nicht viel mehr als ein Sammelsurium zum Theil amüsanter Proben von Albernheiten ist, welche die Pfaffen- und Mönchsphantasie seit Constantin zu vermeintlicher Verherrlichung der Kirche ausgeheckt hat, ist von der Art, daß das Ganze mehr wie ein Geplauder, als wie ein Versuch, Geschichte zu schreiben, aussieht. Die Ab¬ sicht geht offenbar weniger dahin, wahr, als pikant zu sein. Der Stil des Verfassers erinnert an den Ton der Bierschenke; daß er Christus mit „der Angestrichne" oder „der Angepinselte" übersetzt, ist noch lange nicht die wider¬ lichste seiner vielen Geschmacklosigkeiten. Neben einigen guten und berechtigten Witzen über plumpe und unsaubere Legenden, Mirakel u. d. läuft eine Fluth der schalsten Späße über das Höchste und Heiligste her, die nicht selten bis zur Zote herabsinken. Wir würden nicht blos gegen den Anstand, sondern auch gegen das Strafgesetzbuch verstoßen, wenn wir dieses Urtheil mit Proben aus dem frechen und wüsten Machwerk belegen wollten, welches selbst den Ungläubigsten anekeln muß, wenn ihm einiger Sinn für Schicklichkeit und Würde geblieben ist. Römische Sagen über die Apostel Paulus und Petrus von Victor Rydberg. Aus dem Schwedischen von Emil Jonas. Auto- risirte Ausgabe. Leipzig, Verlag von C. G. Theile. 1876. Der Uebersetzer hätte diese „Festgabe für Jung und Alt" getrost im Schwedischen lassen können. Die deutsche Welt würde darüber nicht unglück¬ lich geworden sein. In dieser Weise erzählt man Sagen nicht, oder es sind vielmehr gar keine Sagen, die uns hier geboten werden, sondern seuilletoni- stisch herausgeputzte, mit allerlei Zuthat eines Halbgelehrten verbrämte No¬ vellen, die auf Grund von Sagen angefertigt sind, und die sich im Unter- stübchen der „Germania" oder eines ähnlichen Blattes an der rechten Stelle befinden würden, nicht aber in den Händen unsrer protestantischen Jugend. Hypochondrische Plaudereien von Amyntor. Zweite Auflage. Verlag von S. Lucas in Elberfeld. Kleine Schilderungen aus dem Leben, Federzeichnungen von Typen der Gesellschaft, die nicht gerade viel Neues und Originelles bringen, aber meist von guter Beobachtung, gesundem Verstand und richtigem Gefühl zeugen und von einem gewissen breiten Witz begleitet sind, der einigermaßen an Weber's „Demokritus" erinnert, nur daß hier neben ihm gelegentlich jene etwas selbstgefällige und zudringliche Gottesfürchtigkeit aus dem Fenster sieht, welche unter dem vorigen Regiment in Preußen Mode wurde und sich jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/487>, abgerufen am 03.07.2024.