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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Handlung, in der ganzen Welt nicht existire. Das ist vollkommen richtig,
und der Schluß doch die graueste der grauen Theorie. Kein anderer Staat
hat eine Seehandlung. aber kein einziger Staat kommt mehr wie Preußen
mit der alleinigen Hülfe der großen Nationalbank aus. Weder in Paris noch
in London noch in Wien behilft sich der Staat mit der Reichsbank allein,
sondern er steht außerdem in offenkundiger Verbindung mit den großen Bank¬
häusern. Diese Verbindung begründet ein immerhin gegenseitiges Abhängig¬
keitsverhältniß. Was ist nun besser: Abhängigkeit von den großen Bank¬
häusern, oder die Dienste eines Instituts, wie die Seehandlung, das lediglich
vom Staat abhängt? So steht es mit der doktrinären Beurtheilung der See-
Handlung. Man hat von einer Aera Bleichröder in Preußen geschrieben.
Aber nun vergleiche man einmal mit unbefangenem Auge die Stellung des
Hauses Bleichröder zum preußischen Staat mit derjenigen der Häuser Stieglitz,
Sina, Rothschild (in London) und seiner Zeit Pereire. -- Was die Angriffe
der Altconservativen und des Centrums auf die Seehandlung betrifft, so hat
das Letztere wohl einfach die Schwächung der jetzigen Staatsregierung im
Auge, während die Altconservativen den Sturz Camphausen's vor allem er¬
sehnen mögen. Sie glauben sich durch diesen Minister in den Interessen des
Grundbesitzes geschädigt. Sie finden, daß sie zu viel Steuern zahlen, einmal
die Grundsteuer und daneben die Einkommensteuer. Die Grundsteuer ist zwar
contingentirt und beträgt durchschnittlich nur 4 bis 5"/o des Reinertrags,
aber sie berücksichtigt nicht die aus dem Grundbesitz haftenden Schulden. Was
die Einkommensteuer betrifft, so erblickt der Grundbesitz in ihr eine Doppelbe¬
steuerung, glaubt sich aber außerdem benachteiligt, weil die Grundlage der
Einschätzung, nämlich der liegende Besitz, erkennbar ist, was nicht der Fall
ist mit dem Einkommen aus Gewerben und aus zinstragenden Papieren.
Der Grundbesitz glaubt sich aber auch noch drittens durch die Klassensteuer
benachtheiligt, weil er das meiste Gesinde hat und für dieses die Klassensteuer
übernimmt. Diese Klagen, denen man nicht allen Grund absprechen kann,
erfordern allerdings eine Abhülfe. Nur sind die Vorschläge zur Abhülfe,
welche bis jetzt aus den Reihen des Grundbesitzes kommen, sehr ungeeignet.
Richtig ist die Forderung, die Grundsteuer zur Localsteuer zu machen. Diese
Forderung sollte noch einmüthiger und nachdrücklicher erhoben werden. Das
klassensteuerpflichtige Einkommen sollte erst mit 300 Thalern beginnen; damit
würde das ländliche Gesinde zum großen Theil von der Personalsteuer be¬
freit werden. Durchaus verwerflich und kurzsichtig ist aber die Forderung,
den Grundbesitz von der Einkommensteuer durch indirecte Steuern zu entlasten;
darum verwerflich, weil solche Steuern aus dem Finanzsystem der Einzel¬
staaten überhaupt verschwinden müssen. Die Einkommensteuer läßt sich für
die deutschen Einzelstaaten nicht entbehrlich machen. Der Weg aber, das ge-


Handlung, in der ganzen Welt nicht existire. Das ist vollkommen richtig,
und der Schluß doch die graueste der grauen Theorie. Kein anderer Staat
hat eine Seehandlung. aber kein einziger Staat kommt mehr wie Preußen
mit der alleinigen Hülfe der großen Nationalbank aus. Weder in Paris noch
in London noch in Wien behilft sich der Staat mit der Reichsbank allein,
sondern er steht außerdem in offenkundiger Verbindung mit den großen Bank¬
häusern. Diese Verbindung begründet ein immerhin gegenseitiges Abhängig¬
keitsverhältniß. Was ist nun besser: Abhängigkeit von den großen Bank¬
häusern, oder die Dienste eines Instituts, wie die Seehandlung, das lediglich
vom Staat abhängt? So steht es mit der doktrinären Beurtheilung der See-
Handlung. Man hat von einer Aera Bleichröder in Preußen geschrieben.
Aber nun vergleiche man einmal mit unbefangenem Auge die Stellung des
Hauses Bleichröder zum preußischen Staat mit derjenigen der Häuser Stieglitz,
Sina, Rothschild (in London) und seiner Zeit Pereire. — Was die Angriffe
der Altconservativen und des Centrums auf die Seehandlung betrifft, so hat
das Letztere wohl einfach die Schwächung der jetzigen Staatsregierung im
Auge, während die Altconservativen den Sturz Camphausen's vor allem er¬
sehnen mögen. Sie glauben sich durch diesen Minister in den Interessen des
Grundbesitzes geschädigt. Sie finden, daß sie zu viel Steuern zahlen, einmal
die Grundsteuer und daneben die Einkommensteuer. Die Grundsteuer ist zwar
contingentirt und beträgt durchschnittlich nur 4 bis 5"/o des Reinertrags,
aber sie berücksichtigt nicht die aus dem Grundbesitz haftenden Schulden. Was
die Einkommensteuer betrifft, so erblickt der Grundbesitz in ihr eine Doppelbe¬
steuerung, glaubt sich aber außerdem benachteiligt, weil die Grundlage der
Einschätzung, nämlich der liegende Besitz, erkennbar ist, was nicht der Fall
ist mit dem Einkommen aus Gewerben und aus zinstragenden Papieren.
Der Grundbesitz glaubt sich aber auch noch drittens durch die Klassensteuer
benachtheiligt, weil er das meiste Gesinde hat und für dieses die Klassensteuer
übernimmt. Diese Klagen, denen man nicht allen Grund absprechen kann,
erfordern allerdings eine Abhülfe. Nur sind die Vorschläge zur Abhülfe,
welche bis jetzt aus den Reihen des Grundbesitzes kommen, sehr ungeeignet.
Richtig ist die Forderung, die Grundsteuer zur Localsteuer zu machen. Diese
Forderung sollte noch einmüthiger und nachdrücklicher erhoben werden. Das
klassensteuerpflichtige Einkommen sollte erst mit 300 Thalern beginnen; damit
würde das ländliche Gesinde zum großen Theil von der Personalsteuer be¬
freit werden. Durchaus verwerflich und kurzsichtig ist aber die Forderung,
den Grundbesitz von der Einkommensteuer durch indirecte Steuern zu entlasten;
darum verwerflich, weil solche Steuern aus dem Finanzsystem der Einzel¬
staaten überhaupt verschwinden müssen. Die Einkommensteuer läßt sich für
die deutschen Einzelstaaten nicht entbehrlich machen. Der Weg aber, das ge-


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[0480] Handlung, in der ganzen Welt nicht existire. Das ist vollkommen richtig, und der Schluß doch die graueste der grauen Theorie. Kein anderer Staat hat eine Seehandlung. aber kein einziger Staat kommt mehr wie Preußen mit der alleinigen Hülfe der großen Nationalbank aus. Weder in Paris noch in London noch in Wien behilft sich der Staat mit der Reichsbank allein, sondern er steht außerdem in offenkundiger Verbindung mit den großen Bank¬ häusern. Diese Verbindung begründet ein immerhin gegenseitiges Abhängig¬ keitsverhältniß. Was ist nun besser: Abhängigkeit von den großen Bank¬ häusern, oder die Dienste eines Instituts, wie die Seehandlung, das lediglich vom Staat abhängt? So steht es mit der doktrinären Beurtheilung der See- Handlung. Man hat von einer Aera Bleichröder in Preußen geschrieben. Aber nun vergleiche man einmal mit unbefangenem Auge die Stellung des Hauses Bleichröder zum preußischen Staat mit derjenigen der Häuser Stieglitz, Sina, Rothschild (in London) und seiner Zeit Pereire. — Was die Angriffe der Altconservativen und des Centrums auf die Seehandlung betrifft, so hat das Letztere wohl einfach die Schwächung der jetzigen Staatsregierung im Auge, während die Altconservativen den Sturz Camphausen's vor allem er¬ sehnen mögen. Sie glauben sich durch diesen Minister in den Interessen des Grundbesitzes geschädigt. Sie finden, daß sie zu viel Steuern zahlen, einmal die Grundsteuer und daneben die Einkommensteuer. Die Grundsteuer ist zwar contingentirt und beträgt durchschnittlich nur 4 bis 5"/o des Reinertrags, aber sie berücksichtigt nicht die aus dem Grundbesitz haftenden Schulden. Was die Einkommensteuer betrifft, so erblickt der Grundbesitz in ihr eine Doppelbe¬ steuerung, glaubt sich aber außerdem benachteiligt, weil die Grundlage der Einschätzung, nämlich der liegende Besitz, erkennbar ist, was nicht der Fall ist mit dem Einkommen aus Gewerben und aus zinstragenden Papieren. Der Grundbesitz glaubt sich aber auch noch drittens durch die Klassensteuer benachtheiligt, weil er das meiste Gesinde hat und für dieses die Klassensteuer übernimmt. Diese Klagen, denen man nicht allen Grund absprechen kann, erfordern allerdings eine Abhülfe. Nur sind die Vorschläge zur Abhülfe, welche bis jetzt aus den Reihen des Grundbesitzes kommen, sehr ungeeignet. Richtig ist die Forderung, die Grundsteuer zur Localsteuer zu machen. Diese Forderung sollte noch einmüthiger und nachdrücklicher erhoben werden. Das klassensteuerpflichtige Einkommen sollte erst mit 300 Thalern beginnen; damit würde das ländliche Gesinde zum großen Theil von der Personalsteuer be¬ freit werden. Durchaus verwerflich und kurzsichtig ist aber die Forderung, den Grundbesitz von der Einkommensteuer durch indirecte Steuern zu entlasten; darum verwerflich, weil solche Steuern aus dem Finanzsystem der Einzel¬ staaten überhaupt verschwinden müssen. Die Einkommensteuer läßt sich für die deutschen Einzelstaaten nicht entbehrlich machen. Der Weg aber, das ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/480>, abgerufen am 03.07.2024.