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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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er in derselben Stellung der Gräfin Bärnburg näher, bei der er seinen Freund
Wolfgang, den Bildhauer aussticht, und sich ein Vermögen macht durch Unter¬
schleife und Rechnungsfälschung als Verwalter des Grafen Bärnburg. Dann
macht er sich unabhängig, d. h. er wird Börsenräuber. Dann erkennt er seine
alte Flamme Marie Penecke, die er der Gräfin Bärnburg geopfert, wieder,
in der Person der gefeierten Schauspielerin Valeria, der selbst der junge König
zu Füßen liegt. Er kauft ihr eine Villa. Er ruinirt sich ihrethalben. Als
er es dahin gebracht, kündigt sie ihm sanft ihren Entschluß an, die Maitresse
des Königs werden zu wollen; ihren Plant macht sie dagegen zu'ihrem Be¬
dienten. Er läßt sich das ruhig gefallen. Er kann sich in dieser Stellung
ja von neuem etwas zurücklegen, und er thut es auch, bis er den Bedienten¬
rock mit der Charaktermaske des Revolver-Journalisten und Börsenwolfes
vertauschen kann. In einer fast schrankenlos gebietenden Stellung: an der
Spitze des gefürchtetsten Blattes und als den Häuptling der ruchlosesten
Börsenmachinationen, denen die Königin und die höchsten Gesellschaftskreise
sehr nahe stehen, und bei welchen der Verrath von Staatsgeheimnissen einen
wesentlichen Theil der glücklichen Rechnung ausmacht, und so zu sagen zum
täglichen Brode mit gehört, verlassen wir Plant am Ende des Romans im
Besitze hoher Orden und Reichthümer und geadelt. Was soll dieser Charakter
bedeuten? wird man sich fragen. Etwa den "Gründer" oder ein Zerrbild
desselben, in dessen Person alle nur denkbare Verworfenheit gehäuft ist? O nein!
Plant soll wie uns Herr Sander-Masons versichert, nichts weniger sein als "der
Musterdeu tsche" unsrer Tage und -- "der Ideale unsrer Zeit!" Die Landes¬
und Volkskenntniß des ruthenischen Mannes mit der Ammenphantasie ist
gewiß zu tief und demüthigend, als daß wir in unsres Nichts durch¬
bohrendem Gefühle bei dieser Charakteristik noch ein Wort der Vertheidigung
und Abwehr übrig hätten. Es ist ja nur die nackte Wahrheit, welche uns
der galizische Eulenspiegel vorhält.

Sehr niedlich ist natürlich der reine Charakter gerathen, welcher im Gegen¬
satz zu allen diesen schlechten Menschen den wahrhaft idealen Deutschen des Herrn
Sander-Masons darstellen soll: Autor. Dieser brave, unglaublich pedantische,
Mann ist, gerade wie der Verfasser vor Zeiten selbst, zu Anfang seiner Laufbahn
Privatdocent der Geschichte; er bringt es, wie der Verfasser, in dieser Stellung
nur zu unverschuldeter Zurücksetzung. Er wird auf Zureden eines Redacteurs
Journalist, Mitarbeiter des einzigen unabhängigen Blattes -- in Deutsch¬
land müssen wir hinzusetzen, denn wir haben uns immer daran zu erinnern,
daß es ja deutsche Zustände sind, welche der Spiegel des Galiziers uns vor¬
hält. Dieses einzige unabhängige deutsche Blatt steht natürlich auf Seiten
der Opposition. Es heißt aber nicht etwa "Organ für Jedermann aus dem
Volke", sondern die "Reform". Es raisonnirt nicht nach der Philosophie Franz


er in derselben Stellung der Gräfin Bärnburg näher, bei der er seinen Freund
Wolfgang, den Bildhauer aussticht, und sich ein Vermögen macht durch Unter¬
schleife und Rechnungsfälschung als Verwalter des Grafen Bärnburg. Dann
macht er sich unabhängig, d. h. er wird Börsenräuber. Dann erkennt er seine
alte Flamme Marie Penecke, die er der Gräfin Bärnburg geopfert, wieder,
in der Person der gefeierten Schauspielerin Valeria, der selbst der junge König
zu Füßen liegt. Er kauft ihr eine Villa. Er ruinirt sich ihrethalben. Als
er es dahin gebracht, kündigt sie ihm sanft ihren Entschluß an, die Maitresse
des Königs werden zu wollen; ihren Plant macht sie dagegen zu'ihrem Be¬
dienten. Er läßt sich das ruhig gefallen. Er kann sich in dieser Stellung
ja von neuem etwas zurücklegen, und er thut es auch, bis er den Bedienten¬
rock mit der Charaktermaske des Revolver-Journalisten und Börsenwolfes
vertauschen kann. In einer fast schrankenlos gebietenden Stellung: an der
Spitze des gefürchtetsten Blattes und als den Häuptling der ruchlosesten
Börsenmachinationen, denen die Königin und die höchsten Gesellschaftskreise
sehr nahe stehen, und bei welchen der Verrath von Staatsgeheimnissen einen
wesentlichen Theil der glücklichen Rechnung ausmacht, und so zu sagen zum
täglichen Brode mit gehört, verlassen wir Plant am Ende des Romans im
Besitze hoher Orden und Reichthümer und geadelt. Was soll dieser Charakter
bedeuten? wird man sich fragen. Etwa den „Gründer" oder ein Zerrbild
desselben, in dessen Person alle nur denkbare Verworfenheit gehäuft ist? O nein!
Plant soll wie uns Herr Sander-Masons versichert, nichts weniger sein als „der
Musterdeu tsche" unsrer Tage und — „der Ideale unsrer Zeit!" Die Landes¬
und Volkskenntniß des ruthenischen Mannes mit der Ammenphantasie ist
gewiß zu tief und demüthigend, als daß wir in unsres Nichts durch¬
bohrendem Gefühle bei dieser Charakteristik noch ein Wort der Vertheidigung
und Abwehr übrig hätten. Es ist ja nur die nackte Wahrheit, welche uns
der galizische Eulenspiegel vorhält.

Sehr niedlich ist natürlich der reine Charakter gerathen, welcher im Gegen¬
satz zu allen diesen schlechten Menschen den wahrhaft idealen Deutschen des Herrn
Sander-Masons darstellen soll: Autor. Dieser brave, unglaublich pedantische,
Mann ist, gerade wie der Verfasser vor Zeiten selbst, zu Anfang seiner Laufbahn
Privatdocent der Geschichte; er bringt es, wie der Verfasser, in dieser Stellung
nur zu unverschuldeter Zurücksetzung. Er wird auf Zureden eines Redacteurs
Journalist, Mitarbeiter des einzigen unabhängigen Blattes — in Deutsch¬
land müssen wir hinzusetzen, denn wir haben uns immer daran zu erinnern,
daß es ja deutsche Zustände sind, welche der Spiegel des Galiziers uns vor¬
hält. Dieses einzige unabhängige deutsche Blatt steht natürlich auf Seiten
der Opposition. Es heißt aber nicht etwa „Organ für Jedermann aus dem
Volke", sondern die „Reform". Es raisonnirt nicht nach der Philosophie Franz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/455>, abgerufen am 25.08.2024.