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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Sinn wird vom Autor als "Wahrheit" deutscher Zustände im Jahr 187S aus¬
gegeben, in solcher Weise von ihm der deutsche Offiziersstand geschildert. Der
Galizier an der Mur. dessen Phantasie zuerst durch eine kleinrussische Amme
geweckt wurde, verwendet einige seiner besten Zoten auf diese "wahrheitsge¬
treue" Schilderung des deutschen Osfiziersstandes. Seine Offiziere liegen in
dem Cass auf den Billards! Baron Keith "trug jeder Zeit einen kleinen,
in Silber gefaßten Spiegel in der Tasche, auch im letzten Kriege, und mitten
in der Schlacht im heftigsten Granatfeuer, als die feindlichen Kugeln rechts
und links Mann und Roß zu Boden schmetterten, blickte er in den Spiegel,
um sich zu überzeugen, ob er gut aussehe u. s. w." Man muß es als ein
Uebermaß von Gerechtigkeit ansehen, daß Herr Sander-Masons diesen Baron
Keith seine weiteren Heldenthaten: die Hochstapelei und den Creditbetrug im
Großen, die steigende Routine im Verbrecherleben und in der Gemeinheit, die
bis zum Verkauf der eigenen Frau gedeiht, nicht mehr in Uniform verüben
läßt. Dafür bekommen aber die anderen deutschen Offiziere bei jeder Ge¬
legenheit ihre Stiche aus der kleinrussischen Feder ab. Die deutschen Offiziere
Herrn Sander-Masons's sind nämlich ein Mittelding zwischen Affe und Louis.
Sie werfen ihre besten Uniformstücke in den Straßenkoth, um die Heldinnen
des Herrn Sander-Masons -- die ausnahmslos Lustdirnen sind -- darüber
schreiten zu lassen. Ja, sie lassen sich von der gemeinen Dirne, die Herrn
Sander-Masons's erste Heldinnenrolle spielt, einfach vor den Wagen spannen
und mit Zügel und Peitsche um die Villa der Dirne herumjagen. Der deutsche
Offizier gestattet (nach Herrn Sander - Masons) in einem öffentlichen Local, daß
eine abenteuernde Schauspielerin auf Kosten dieses Offiziers zu Nacht speist und
Champagner trinkt, ohne ihn vorher zu fragen, er gestattet, daß sie ihm vor
allem Publikum den Kellner mit der Rechnung sendet. Der deutsche Offizier
kann die Ausgabe nach Herrn Sander-Masons um so eher verschmerzen, als er
sich in Frankreich alle Taschen voll gerettet und gerollt hat. Gewiß der galizische
Mann sagt nur die Wahrheit, nichts als die Wahrheit! Tief beschämt wird
der deutsche Offiziersstand in Zukunft die Kameraden aus allen fremden
Nationen abweisen, die bisher in Deutschland zusammenströmten in dem
Wahne, vom deutschen Offiziersstand lernen, ihn mindestens in hohem Grade
achten zu können. Thörichte Illusionen! Zieht nach Brück an die deutsche
Mur, dort sitzt der große Ritter, der es besser weiß!

Bei alledem haben wir die Haupthelden Sander-Masons's noch gar nicht
näher erwähnt. Da ist vor Allem der bereits mit aufgezählte "Jurist" Plant,
der sein Brod mit Abschreiben bet einem Notar verdient! Er debutirt im
Anfang der Geschichte damit, daß er den Frack seines Freundes Autor diebisch
versetzt, ohne daß er dadurch irgend eine Chrenminderung zu erleiden glaubt. Er
wird dann der Zuhälter der Marie Penecke, der Trödlerstochter; dann tritt


Sinn wird vom Autor als „Wahrheit" deutscher Zustände im Jahr 187S aus¬
gegeben, in solcher Weise von ihm der deutsche Offiziersstand geschildert. Der
Galizier an der Mur. dessen Phantasie zuerst durch eine kleinrussische Amme
geweckt wurde, verwendet einige seiner besten Zoten auf diese „wahrheitsge¬
treue" Schilderung des deutschen Osfiziersstandes. Seine Offiziere liegen in
dem Cass auf den Billards! Baron Keith „trug jeder Zeit einen kleinen,
in Silber gefaßten Spiegel in der Tasche, auch im letzten Kriege, und mitten
in der Schlacht im heftigsten Granatfeuer, als die feindlichen Kugeln rechts
und links Mann und Roß zu Boden schmetterten, blickte er in den Spiegel,
um sich zu überzeugen, ob er gut aussehe u. s. w." Man muß es als ein
Uebermaß von Gerechtigkeit ansehen, daß Herr Sander-Masons diesen Baron
Keith seine weiteren Heldenthaten: die Hochstapelei und den Creditbetrug im
Großen, die steigende Routine im Verbrecherleben und in der Gemeinheit, die
bis zum Verkauf der eigenen Frau gedeiht, nicht mehr in Uniform verüben
läßt. Dafür bekommen aber die anderen deutschen Offiziere bei jeder Ge¬
legenheit ihre Stiche aus der kleinrussischen Feder ab. Die deutschen Offiziere
Herrn Sander-Masons's sind nämlich ein Mittelding zwischen Affe und Louis.
Sie werfen ihre besten Uniformstücke in den Straßenkoth, um die Heldinnen
des Herrn Sander-Masons — die ausnahmslos Lustdirnen sind — darüber
schreiten zu lassen. Ja, sie lassen sich von der gemeinen Dirne, die Herrn
Sander-Masons's erste Heldinnenrolle spielt, einfach vor den Wagen spannen
und mit Zügel und Peitsche um die Villa der Dirne herumjagen. Der deutsche
Offizier gestattet (nach Herrn Sander - Masons) in einem öffentlichen Local, daß
eine abenteuernde Schauspielerin auf Kosten dieses Offiziers zu Nacht speist und
Champagner trinkt, ohne ihn vorher zu fragen, er gestattet, daß sie ihm vor
allem Publikum den Kellner mit der Rechnung sendet. Der deutsche Offizier
kann die Ausgabe nach Herrn Sander-Masons um so eher verschmerzen, als er
sich in Frankreich alle Taschen voll gerettet und gerollt hat. Gewiß der galizische
Mann sagt nur die Wahrheit, nichts als die Wahrheit! Tief beschämt wird
der deutsche Offiziersstand in Zukunft die Kameraden aus allen fremden
Nationen abweisen, die bisher in Deutschland zusammenströmten in dem
Wahne, vom deutschen Offiziersstand lernen, ihn mindestens in hohem Grade
achten zu können. Thörichte Illusionen! Zieht nach Brück an die deutsche
Mur, dort sitzt der große Ritter, der es besser weiß!

Bei alledem haben wir die Haupthelden Sander-Masons's noch gar nicht
näher erwähnt. Da ist vor Allem der bereits mit aufgezählte „Jurist" Plant,
der sein Brod mit Abschreiben bet einem Notar verdient! Er debutirt im
Anfang der Geschichte damit, daß er den Frack seines Freundes Autor diebisch
versetzt, ohne daß er dadurch irgend eine Chrenminderung zu erleiden glaubt. Er
wird dann der Zuhälter der Marie Penecke, der Trödlerstochter; dann tritt


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[0454] Sinn wird vom Autor als „Wahrheit" deutscher Zustände im Jahr 187S aus¬ gegeben, in solcher Weise von ihm der deutsche Offiziersstand geschildert. Der Galizier an der Mur. dessen Phantasie zuerst durch eine kleinrussische Amme geweckt wurde, verwendet einige seiner besten Zoten auf diese „wahrheitsge¬ treue" Schilderung des deutschen Osfiziersstandes. Seine Offiziere liegen in dem Cass auf den Billards! Baron Keith „trug jeder Zeit einen kleinen, in Silber gefaßten Spiegel in der Tasche, auch im letzten Kriege, und mitten in der Schlacht im heftigsten Granatfeuer, als die feindlichen Kugeln rechts und links Mann und Roß zu Boden schmetterten, blickte er in den Spiegel, um sich zu überzeugen, ob er gut aussehe u. s. w." Man muß es als ein Uebermaß von Gerechtigkeit ansehen, daß Herr Sander-Masons diesen Baron Keith seine weiteren Heldenthaten: die Hochstapelei und den Creditbetrug im Großen, die steigende Routine im Verbrecherleben und in der Gemeinheit, die bis zum Verkauf der eigenen Frau gedeiht, nicht mehr in Uniform verüben läßt. Dafür bekommen aber die anderen deutschen Offiziere bei jeder Ge¬ legenheit ihre Stiche aus der kleinrussischen Feder ab. Die deutschen Offiziere Herrn Sander-Masons's sind nämlich ein Mittelding zwischen Affe und Louis. Sie werfen ihre besten Uniformstücke in den Straßenkoth, um die Heldinnen des Herrn Sander-Masons — die ausnahmslos Lustdirnen sind — darüber schreiten zu lassen. Ja, sie lassen sich von der gemeinen Dirne, die Herrn Sander-Masons's erste Heldinnenrolle spielt, einfach vor den Wagen spannen und mit Zügel und Peitsche um die Villa der Dirne herumjagen. Der deutsche Offizier gestattet (nach Herrn Sander - Masons) in einem öffentlichen Local, daß eine abenteuernde Schauspielerin auf Kosten dieses Offiziers zu Nacht speist und Champagner trinkt, ohne ihn vorher zu fragen, er gestattet, daß sie ihm vor allem Publikum den Kellner mit der Rechnung sendet. Der deutsche Offizier kann die Ausgabe nach Herrn Sander-Masons um so eher verschmerzen, als er sich in Frankreich alle Taschen voll gerettet und gerollt hat. Gewiß der galizische Mann sagt nur die Wahrheit, nichts als die Wahrheit! Tief beschämt wird der deutsche Offiziersstand in Zukunft die Kameraden aus allen fremden Nationen abweisen, die bisher in Deutschland zusammenströmten in dem Wahne, vom deutschen Offiziersstand lernen, ihn mindestens in hohem Grade achten zu können. Thörichte Illusionen! Zieht nach Brück an die deutsche Mur, dort sitzt der große Ritter, der es besser weiß! Bei alledem haben wir die Haupthelden Sander-Masons's noch gar nicht näher erwähnt. Da ist vor Allem der bereits mit aufgezählte „Jurist" Plant, der sein Brod mit Abschreiben bet einem Notar verdient! Er debutirt im Anfang der Geschichte damit, daß er den Frack seines Freundes Autor diebisch versetzt, ohne daß er dadurch irgend eine Chrenminderung zu erleiden glaubt. Er wird dann der Zuhälter der Marie Penecke, der Trödlerstochter; dann tritt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/454>, abgerufen am 25.08.2024.