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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Plant, "Jurist und eben mit seinem Examen beschäftigt, seinen bescheidenen
Unterhalt fand er dadurch, daß er in der Kanzlei eines Notars Abschreiber-
dienste verrichtete" -- im ganzen deutschen Reich ist ein "Jurist", der auf
diese Weise seinen "bescheidenen Unterhalt" suchte, einfach nicht zu finden.
Der Dritte, das Ideal des Autors, Autor, zurückgesetzter Privatdocent der
Geschichte. Von diesen drei Persönlichkeiten ist Wolfgang am schnellsten ab-
gethan. Er verdient es auch nicht besser. Er ist ein grober, hochfahrender,
verächtlicher Mensch, der zuerst den Galan bei einer verheiratheten Gräfin
Bärnburg abgiebt, dann vom König zum Hofbildhauer ernannt und zu einer
geheimen Sendung nach Se. Petersburg benutzt wird, welche den Zweck hat,
über die Vergangenheit der Prinzessin Paula klar zu werden, die der Kron¬
prinz liebt und später gegen den Willen des Königs heirathet. Der König
stirbt, und Wolfgang fällt in Ungnade. Er erhält einen ehrenvollen Ruf
nach Petersburg. Das ist aber nur eine Falle, welche die junge fromme
Königin dem Spion der todten Majestät stellt. Wolfgang wird nach Sibi¬
rien transportirt. Er kehrt vollständig versunken später zurück und entschwin¬
det unsern Augen. In ihm will der Verfasser -- den deutschen Künstler¬
stand schildern! Zahlreiche Belegstellen könnten für diese Tendenz angeführt
werden.

Die zweite untergeordnetere männliche Rolle, die gewissermaßen die Lücke
ausfüllen soll, welche das Abhandenkommen Wolfgang's offen läßt, spielt
der Baron Keith, ein Husarenoffizier, zu Anfang des Romans der Günst¬
ling der Gräfin Bärnburg, von der er unterhalten wird und bei der ihn
Wolfgang'"aussticht". Keith rächt sich an Wolfgang dadurch, daß er in Ge-
sellschaft einer Trödlerstochter, Marie Penecke, in Frauenkleidern ein Cafe'
besucht, hier mit Wolfgang ein Stelldichein verabredet, und als Frau verkleidet,
auf einen Divan hingestreckt, Wolfgang zu seinen Füßen sinken sieht. Da wirft
er die Frauenkleider ab und steht in seiner Uniform vor dem Bildhauer;
Marie beleuchtet die Scene und die Kameraden Keith's erscheinen zur Ver¬
vollständigung des Effectes. Die Kameraden und Keith betrinken sich hier¬
auf, sie wollen Marie Gewalt anthun; ihr Vater eilt herzu, Keith ersticht
ihn. "Einige Zeitungen besprachen den Vorfall in einer Weise, welcher ge¬
eignet gewesen wäre, Bismarck Nervenschmerzen zu verursachen, aber wir sind
in Deutschland, die Zeitungen wurden confiscire. Keith wurde in Arrest ge¬
schickt und später auf die Festung -- für volle drei Monate. Man bedeutete
ihn, seine Charge zu quittiren. Dies geschah aber nicht etwa deshalb, weil
er nach gemeinen Begriffen einen Mord begangen hatte, sondern nur, weil er
sich bei diesem Morde der ihm zustehenden Waffe nicht vorschriftsmäßig
bedient hatte. Hätte er den alten Penecke niedergehauen, so hätte er in
keiner Weise an Achtung eingebüßt oder eine Strafe erlitten!" Solcher Bist-


Plant, „Jurist und eben mit seinem Examen beschäftigt, seinen bescheidenen
Unterhalt fand er dadurch, daß er in der Kanzlei eines Notars Abschreiber-
dienste verrichtete" — im ganzen deutschen Reich ist ein „Jurist", der auf
diese Weise seinen „bescheidenen Unterhalt" suchte, einfach nicht zu finden.
Der Dritte, das Ideal des Autors, Autor, zurückgesetzter Privatdocent der
Geschichte. Von diesen drei Persönlichkeiten ist Wolfgang am schnellsten ab-
gethan. Er verdient es auch nicht besser. Er ist ein grober, hochfahrender,
verächtlicher Mensch, der zuerst den Galan bei einer verheiratheten Gräfin
Bärnburg abgiebt, dann vom König zum Hofbildhauer ernannt und zu einer
geheimen Sendung nach Se. Petersburg benutzt wird, welche den Zweck hat,
über die Vergangenheit der Prinzessin Paula klar zu werden, die der Kron¬
prinz liebt und später gegen den Willen des Königs heirathet. Der König
stirbt, und Wolfgang fällt in Ungnade. Er erhält einen ehrenvollen Ruf
nach Petersburg. Das ist aber nur eine Falle, welche die junge fromme
Königin dem Spion der todten Majestät stellt. Wolfgang wird nach Sibi¬
rien transportirt. Er kehrt vollständig versunken später zurück und entschwin¬
det unsern Augen. In ihm will der Verfasser — den deutschen Künstler¬
stand schildern! Zahlreiche Belegstellen könnten für diese Tendenz angeführt
werden.

Die zweite untergeordnetere männliche Rolle, die gewissermaßen die Lücke
ausfüllen soll, welche das Abhandenkommen Wolfgang's offen läßt, spielt
der Baron Keith, ein Husarenoffizier, zu Anfang des Romans der Günst¬
ling der Gräfin Bärnburg, von der er unterhalten wird und bei der ihn
Wolfgang'„aussticht". Keith rächt sich an Wolfgang dadurch, daß er in Ge-
sellschaft einer Trödlerstochter, Marie Penecke, in Frauenkleidern ein Cafe'
besucht, hier mit Wolfgang ein Stelldichein verabredet, und als Frau verkleidet,
auf einen Divan hingestreckt, Wolfgang zu seinen Füßen sinken sieht. Da wirft
er die Frauenkleider ab und steht in seiner Uniform vor dem Bildhauer;
Marie beleuchtet die Scene und die Kameraden Keith's erscheinen zur Ver¬
vollständigung des Effectes. Die Kameraden und Keith betrinken sich hier¬
auf, sie wollen Marie Gewalt anthun; ihr Vater eilt herzu, Keith ersticht
ihn. „Einige Zeitungen besprachen den Vorfall in einer Weise, welcher ge¬
eignet gewesen wäre, Bismarck Nervenschmerzen zu verursachen, aber wir sind
in Deutschland, die Zeitungen wurden confiscire. Keith wurde in Arrest ge¬
schickt und später auf die Festung — für volle drei Monate. Man bedeutete
ihn, seine Charge zu quittiren. Dies geschah aber nicht etwa deshalb, weil
er nach gemeinen Begriffen einen Mord begangen hatte, sondern nur, weil er
sich bei diesem Morde der ihm zustehenden Waffe nicht vorschriftsmäßig
bedient hatte. Hätte er den alten Penecke niedergehauen, so hätte er in
keiner Weise an Achtung eingebüßt oder eine Strafe erlitten!" Solcher Bist-


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[0453] Plant, „Jurist und eben mit seinem Examen beschäftigt, seinen bescheidenen Unterhalt fand er dadurch, daß er in der Kanzlei eines Notars Abschreiber- dienste verrichtete" — im ganzen deutschen Reich ist ein „Jurist", der auf diese Weise seinen „bescheidenen Unterhalt" suchte, einfach nicht zu finden. Der Dritte, das Ideal des Autors, Autor, zurückgesetzter Privatdocent der Geschichte. Von diesen drei Persönlichkeiten ist Wolfgang am schnellsten ab- gethan. Er verdient es auch nicht besser. Er ist ein grober, hochfahrender, verächtlicher Mensch, der zuerst den Galan bei einer verheiratheten Gräfin Bärnburg abgiebt, dann vom König zum Hofbildhauer ernannt und zu einer geheimen Sendung nach Se. Petersburg benutzt wird, welche den Zweck hat, über die Vergangenheit der Prinzessin Paula klar zu werden, die der Kron¬ prinz liebt und später gegen den Willen des Königs heirathet. Der König stirbt, und Wolfgang fällt in Ungnade. Er erhält einen ehrenvollen Ruf nach Petersburg. Das ist aber nur eine Falle, welche die junge fromme Königin dem Spion der todten Majestät stellt. Wolfgang wird nach Sibi¬ rien transportirt. Er kehrt vollständig versunken später zurück und entschwin¬ det unsern Augen. In ihm will der Verfasser — den deutschen Künstler¬ stand schildern! Zahlreiche Belegstellen könnten für diese Tendenz angeführt werden. Die zweite untergeordnetere männliche Rolle, die gewissermaßen die Lücke ausfüllen soll, welche das Abhandenkommen Wolfgang's offen läßt, spielt der Baron Keith, ein Husarenoffizier, zu Anfang des Romans der Günst¬ ling der Gräfin Bärnburg, von der er unterhalten wird und bei der ihn Wolfgang'„aussticht". Keith rächt sich an Wolfgang dadurch, daß er in Ge- sellschaft einer Trödlerstochter, Marie Penecke, in Frauenkleidern ein Cafe' besucht, hier mit Wolfgang ein Stelldichein verabredet, und als Frau verkleidet, auf einen Divan hingestreckt, Wolfgang zu seinen Füßen sinken sieht. Da wirft er die Frauenkleider ab und steht in seiner Uniform vor dem Bildhauer; Marie beleuchtet die Scene und die Kameraden Keith's erscheinen zur Ver¬ vollständigung des Effectes. Die Kameraden und Keith betrinken sich hier¬ auf, sie wollen Marie Gewalt anthun; ihr Vater eilt herzu, Keith ersticht ihn. „Einige Zeitungen besprachen den Vorfall in einer Weise, welcher ge¬ eignet gewesen wäre, Bismarck Nervenschmerzen zu verursachen, aber wir sind in Deutschland, die Zeitungen wurden confiscire. Keith wurde in Arrest ge¬ schickt und später auf die Festung — für volle drei Monate. Man bedeutete ihn, seine Charge zu quittiren. Dies geschah aber nicht etwa deshalb, weil er nach gemeinen Begriffen einen Mord begangen hatte, sondern nur, weil er sich bei diesem Morde der ihm zustehenden Waffe nicht vorschriftsmäßig bedient hatte. Hätte er den alten Penecke niedergehauen, so hätte er in keiner Weise an Achtung eingebüßt oder eine Strafe erlitten!" Solcher Bist-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/453>, abgerufen am 25.08.2024.