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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Nachfolgerin gefunden; in Christen's, des Schöpfers wahrer Cabinetsstücke,
Fußtapfen tritt sehr vielversprechend Hausier. Auch der schon bejahrte Re¬
gisseur Jenke, der schon unter Jmmecmann gespielt, hat nach langjähriger
Pause einige Rollen Christen's, so den Jost in Minna von Barnhelm über¬
nommen und erinnert in ihnen an eine Zeit, die für das Schauspiel wirklich
eine "gute, alte" Zeit war. Vergessen wir nicht des feinfühlenden durch¬
gebildeten Richter, des scharf charakterisirenden Herz, des meist sehr guten
ersten Liebhabers Rohde, der Meisterin unverwüstlichen Humors und reizend
neckischer Darstellung, Fräulein Marie Meyer und des nicht minder fesselnden
Fräulein Ramlo, sowie der jüngst eingetretenen Mitglieder des trefflichen
Ensembles, der Damen Bland und Werner -- und wir werden wenigstens
die ersten und besten Namen genannt haben, auf die das Münchner Schau¬
spiel stolz sein kann.

Wir könnten nun eigentlich unsere Theaterrevue und auch unsern Brief
schließen. Aber das Münchner Theater hat für die Eingeweihten noch erwas
ganz Besonderes, das, weil man schon so mancherlei und darunter sehr viel
Falsches davon gelesen und gesprochen hat, auch hier angedeutet werden dürfte.
Wenn man manchmal in später Nachtstunde über den Residenzplatz der
Maximiliansstraße zu geht, und auf die großartig schöne Säulenvorhalle des
Theaters sieht, so gewahrt man zu seinem größten Erstaunen Licht aus dem¬
selben schimmern, man sieht das Haus hell erleuchtet, wie man es an Spiel¬
abenden gewohnt ist. Aber in dieser Stunde? Es ist vielleicht Mitternacht
schon vorüber. Der Kundige weiß, was das bedeutet: es ist Königsvorstellung.
König Ludwig liebt die Einsamkeit -- auch im Theater. Er wohnt zwar,
wenn er in der Hauptstadt weilt, sehr häusig den gewöhnlichen Vorstellungen,
namentlich der Wagner'schen Opern, an, aber fast noch häufiger sind diese
Seperataufführungen. Das Theater bietet dann einen höchst eigenthümlichen,
fast schreckhaften Anblick. Alles glänzend erleuchtet, aber in dem ganzen
großen, weiten Raum, vom Parterre bis hinauf durch die Logen zur Galerie
keine Menschenseele, kein Laut zu hören, alles leer und todtenstill. Nur
droben in der großen Königsloge sitzt ein junger, schöner, träumerisch blicken¬
der Mann, aber auch allein, mutterseelenallein, wie er es immer ist, droben
in seinem Feengarten über dem Dach seines Schlosses oder draußen in seinen
Alpen und eisumwällten Berghäusern, kein Adjutant neben, kein Lakai hinter
ihm. Er. der König, der einzige Zuschauer der "Jungfrau von Orleans"!
Jetzt klopft es ein-, zweimal hinter dem Vorhang. Dieser rauscht auf: die
glänzendste Decoration. das vollendetste Spiel, alles so, wie es immer ist,
als ob alle diese leeren Sitze oben und unten vollgepfropft wären mit Men¬
schen -- und die Schauspieler, die doch sonst so an diese Menschen und ihren


Nachfolgerin gefunden; in Christen's, des Schöpfers wahrer Cabinetsstücke,
Fußtapfen tritt sehr vielversprechend Hausier. Auch der schon bejahrte Re¬
gisseur Jenke, der schon unter Jmmecmann gespielt, hat nach langjähriger
Pause einige Rollen Christen's, so den Jost in Minna von Barnhelm über¬
nommen und erinnert in ihnen an eine Zeit, die für das Schauspiel wirklich
eine „gute, alte" Zeit war. Vergessen wir nicht des feinfühlenden durch¬
gebildeten Richter, des scharf charakterisirenden Herz, des meist sehr guten
ersten Liebhabers Rohde, der Meisterin unverwüstlichen Humors und reizend
neckischer Darstellung, Fräulein Marie Meyer und des nicht minder fesselnden
Fräulein Ramlo, sowie der jüngst eingetretenen Mitglieder des trefflichen
Ensembles, der Damen Bland und Werner — und wir werden wenigstens
die ersten und besten Namen genannt haben, auf die das Münchner Schau¬
spiel stolz sein kann.

Wir könnten nun eigentlich unsere Theaterrevue und auch unsern Brief
schließen. Aber das Münchner Theater hat für die Eingeweihten noch erwas
ganz Besonderes, das, weil man schon so mancherlei und darunter sehr viel
Falsches davon gelesen und gesprochen hat, auch hier angedeutet werden dürfte.
Wenn man manchmal in später Nachtstunde über den Residenzplatz der
Maximiliansstraße zu geht, und auf die großartig schöne Säulenvorhalle des
Theaters sieht, so gewahrt man zu seinem größten Erstaunen Licht aus dem¬
selben schimmern, man sieht das Haus hell erleuchtet, wie man es an Spiel¬
abenden gewohnt ist. Aber in dieser Stunde? Es ist vielleicht Mitternacht
schon vorüber. Der Kundige weiß, was das bedeutet: es ist Königsvorstellung.
König Ludwig liebt die Einsamkeit — auch im Theater. Er wohnt zwar,
wenn er in der Hauptstadt weilt, sehr häusig den gewöhnlichen Vorstellungen,
namentlich der Wagner'schen Opern, an, aber fast noch häufiger sind diese
Seperataufführungen. Das Theater bietet dann einen höchst eigenthümlichen,
fast schreckhaften Anblick. Alles glänzend erleuchtet, aber in dem ganzen
großen, weiten Raum, vom Parterre bis hinauf durch die Logen zur Galerie
keine Menschenseele, kein Laut zu hören, alles leer und todtenstill. Nur
droben in der großen Königsloge sitzt ein junger, schöner, träumerisch blicken¬
der Mann, aber auch allein, mutterseelenallein, wie er es immer ist, droben
in seinem Feengarten über dem Dach seines Schlosses oder draußen in seinen
Alpen und eisumwällten Berghäusern, kein Adjutant neben, kein Lakai hinter
ihm. Er. der König, der einzige Zuschauer der „Jungfrau von Orleans"!
Jetzt klopft es ein-, zweimal hinter dem Vorhang. Dieser rauscht auf: die
glänzendste Decoration. das vollendetste Spiel, alles so, wie es immer ist,
als ob alle diese leeren Sitze oben und unten vollgepfropft wären mit Men¬
schen — und die Schauspieler, die doch sonst so an diese Menschen und ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/45>, abgerufen am 02.10.2024.