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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Ferne auf, den Vater aber quälten die Gewissensbisse immer mehr, bis er sich
endlich auf den Weg nach Rom begab, um vom Papste Verzeihung zu erflehen.
schluchzend sank er vor demselben hin und küßte seine Füße, der Papst aber
hieß Leo IX. -- es war sein eigener Sohn.

In solcher Weise lebt die Sage noch heute im Munde des Elsässer
Volkes, denn diesem gehört doch eigentlich die Gestalt Leo's IX. an, wie ja
auch Dagsburg selbst, die Stätte seiner Geburt damals zum Elsaß zählte.
Für den enormen Ruf, den er seinerzeit genoß, spricht schon die Sage, daß bei
seinem Tode die Glocken von Se. Peter von selbst zu läuten begannen; noch
jetzt gilt er im Oberelsaß als Patron der Winzer und sein Name wird nicht
genannt ohne Stolz und Verehrung.

Als im Jahre 1280 das alte Geschlecht von Dagsburg erlosch, da kam
das Schloß an die Grafen von Leiningen, die es bis in das 17. Jahrhundert
behielten, wo die französischen Plünderer vor diese trotzigen Mauern traten.
Auch die Ortschaft, welche damals noch den Rang einer Stadt besaß und
wie die Mauerspuren zeigen, bedeutend größer war, hatte furchtbar zu leiden;
den Gebietern aber, die dereinst dies Alles ihr eigen nannten, blieb nichts
mehr als ihr besiegtes Schwert, gehäufte Trümmer und die Einsamkeit end¬
loser Wälder.

Und in diese Waldeinsamkeit (für uns nicht der letzte Reiz einer Land¬
schaft) werfen wir noch einmal den Blick, bevor wir scheiden. Ihren vollen
Odem wollen wir schlürfen. Vergessen wir den Stolz und die Schmerzen,
die die Geschichte wecken mag, umfangen wir ganz dies tiefe Grün der holden
Frühlingstage, denn sie sind doch der schönste und der unvergänglichste Zau¬
K -- r. ber der alten "Tageszburg".




Dom preußischen Landtag.

Die Rede, mit welcher in der Sitzung vom 26. Februar der Kultus¬
minister I)r. Falk auf den Vortrag des Abg. Virchow entgegnete, bot außer
der Gewandtheit und Geistesgegenwart, mit denen der Minister die schwachen
Seiten des Angreifers der Kirchenverfassung zu treffen wußte, noch eine hoch¬
bedeutsame Erklärung. Der Minister sagte nämlich -- indem er das Recht
des Landtags wiederholt zugab, vom Standpunkt der allgemeinen Staats-
interessen Schutzmittel zur Sicherung dieser Interessen zu ergreifen bei der


Grenzboten I. 1876. 54

Ferne auf, den Vater aber quälten die Gewissensbisse immer mehr, bis er sich
endlich auf den Weg nach Rom begab, um vom Papste Verzeihung zu erflehen.
schluchzend sank er vor demselben hin und küßte seine Füße, der Papst aber
hieß Leo IX. — es war sein eigener Sohn.

In solcher Weise lebt die Sage noch heute im Munde des Elsässer
Volkes, denn diesem gehört doch eigentlich die Gestalt Leo's IX. an, wie ja
auch Dagsburg selbst, die Stätte seiner Geburt damals zum Elsaß zählte.
Für den enormen Ruf, den er seinerzeit genoß, spricht schon die Sage, daß bei
seinem Tode die Glocken von Se. Peter von selbst zu läuten begannen; noch
jetzt gilt er im Oberelsaß als Patron der Winzer und sein Name wird nicht
genannt ohne Stolz und Verehrung.

Als im Jahre 1280 das alte Geschlecht von Dagsburg erlosch, da kam
das Schloß an die Grafen von Leiningen, die es bis in das 17. Jahrhundert
behielten, wo die französischen Plünderer vor diese trotzigen Mauern traten.
Auch die Ortschaft, welche damals noch den Rang einer Stadt besaß und
wie die Mauerspuren zeigen, bedeutend größer war, hatte furchtbar zu leiden;
den Gebietern aber, die dereinst dies Alles ihr eigen nannten, blieb nichts
mehr als ihr besiegtes Schwert, gehäufte Trümmer und die Einsamkeit end¬
loser Wälder.

Und in diese Waldeinsamkeit (für uns nicht der letzte Reiz einer Land¬
schaft) werfen wir noch einmal den Blick, bevor wir scheiden. Ihren vollen
Odem wollen wir schlürfen. Vergessen wir den Stolz und die Schmerzen,
die die Geschichte wecken mag, umfangen wir ganz dies tiefe Grün der holden
Frühlingstage, denn sie sind doch der schönste und der unvergänglichste Zau¬
K — r. ber der alten „Tageszburg".




Dom preußischen Landtag.

Die Rede, mit welcher in der Sitzung vom 26. Februar der Kultus¬
minister I)r. Falk auf den Vortrag des Abg. Virchow entgegnete, bot außer
der Gewandtheit und Geistesgegenwart, mit denen der Minister die schwachen
Seiten des Angreifers der Kirchenverfassung zu treffen wußte, noch eine hoch¬
bedeutsame Erklärung. Der Minister sagte nämlich — indem er das Recht
des Landtags wiederholt zugab, vom Standpunkt der allgemeinen Staats-
interessen Schutzmittel zur Sicherung dieser Interessen zu ergreifen bei der


Grenzboten I. 1876. 54
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[0433] Ferne auf, den Vater aber quälten die Gewissensbisse immer mehr, bis er sich endlich auf den Weg nach Rom begab, um vom Papste Verzeihung zu erflehen. schluchzend sank er vor demselben hin und küßte seine Füße, der Papst aber hieß Leo IX. — es war sein eigener Sohn. In solcher Weise lebt die Sage noch heute im Munde des Elsässer Volkes, denn diesem gehört doch eigentlich die Gestalt Leo's IX. an, wie ja auch Dagsburg selbst, die Stätte seiner Geburt damals zum Elsaß zählte. Für den enormen Ruf, den er seinerzeit genoß, spricht schon die Sage, daß bei seinem Tode die Glocken von Se. Peter von selbst zu läuten begannen; noch jetzt gilt er im Oberelsaß als Patron der Winzer und sein Name wird nicht genannt ohne Stolz und Verehrung. Als im Jahre 1280 das alte Geschlecht von Dagsburg erlosch, da kam das Schloß an die Grafen von Leiningen, die es bis in das 17. Jahrhundert behielten, wo die französischen Plünderer vor diese trotzigen Mauern traten. Auch die Ortschaft, welche damals noch den Rang einer Stadt besaß und wie die Mauerspuren zeigen, bedeutend größer war, hatte furchtbar zu leiden; den Gebietern aber, die dereinst dies Alles ihr eigen nannten, blieb nichts mehr als ihr besiegtes Schwert, gehäufte Trümmer und die Einsamkeit end¬ loser Wälder. Und in diese Waldeinsamkeit (für uns nicht der letzte Reiz einer Land¬ schaft) werfen wir noch einmal den Blick, bevor wir scheiden. Ihren vollen Odem wollen wir schlürfen. Vergessen wir den Stolz und die Schmerzen, die die Geschichte wecken mag, umfangen wir ganz dies tiefe Grün der holden Frühlingstage, denn sie sind doch der schönste und der unvergänglichste Zau¬ K — r. ber der alten „Tageszburg". Dom preußischen Landtag. Die Rede, mit welcher in der Sitzung vom 26. Februar der Kultus¬ minister I)r. Falk auf den Vortrag des Abg. Virchow entgegnete, bot außer der Gewandtheit und Geistesgegenwart, mit denen der Minister die schwachen Seiten des Angreifers der Kirchenverfassung zu treffen wußte, noch eine hoch¬ bedeutsame Erklärung. Der Minister sagte nämlich — indem er das Recht des Landtags wiederholt zugab, vom Standpunkt der allgemeinen Staats- interessen Schutzmittel zur Sicherung dieser Interessen zu ergreifen bei der Grenzboten I. 1876. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/433>, abgerufen am 22.07.2024.